Am Mittwochmittag hielt Ursula von der Leyen als Präsidentin der EU-Kommission ihre Rede zum Green Deal im Wirtschaftsforum in Davos und gab ein ehrgeiziges Ziel aus: "Bis 2050 wird Europa der erste klimaneutrale Kontinent".
Von der Leyen hatte bereits im Dezember ihren Green Deal vorgestellt. Er soll finanzielle Anreize setzen und über besseren Umweltschutz aufklären. Hierfür sollen bis 2030 eine Billion Euro – 1000 Milliarden – in das Projekt Green Deal fließen. Einige Mitgliedsstaaten, auch Deutschland, haben sich kritisch darüber geäußert, ihren Teil der Finanzierung zu übernehmen.
Wir haben mit dem Umweltökonomen Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig über den Green Deal gesprochen, die Auswirkungen dieses Projekts von Ursula von der Leyen und ob ihr Ziel, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, realistisch ist.
watson: Ursula von der Leyen hat gerade den Green Deal vorgestellt. Was genau ist der Green Deal?
Reimund Schwarze: Das ist ein großes Projekt, das eine Billion Euro Budget im nächsten Jahrzehnt umfasst und Anreize liefern soll, umweltverträglicher zu wirtschaften. Das soll auf drei Ebenen funktionieren. Zum einen gibt die EU einen Großteil des Budgets, 485 Milliarden, die Mitgliedsstaaten sollen ungefähr 280 Milliarden hinzuschießen und circa 235 Milliarden sollen aus der Privatwirtschaft mobilisiert werden.
Wie bewerten Sie, dass die EU-Kommission dieses gigantische Projekt jetzt auf den Weg bringen will?
Das ist ein Durchbruch. Wenn das klappt, hat sich Ursula von der Leyen gegen große Widerstände von mächtigen Lobbyverbänden durchgesetzt. Die Strukturen der Subventionsmaschine der EU, die seit über 60 Jahren läuft, werden auf den Kopf gestellt. Eine historische Reform, die ich sehr begrüße. Es bleibt allerdings die Frage, ob das am Ende auch alles umsetzbar ist. Es ist zugleich ein sehr gewagtes Projekt.
Woran könnte der Green Deal scheitern?
Vor allem die Umsetzung durch die Nationalstaaten. Da gibt es Widerstände und es ist noch nicht klar, ob die auch ihrerseits Mittel in die Hand nehmen. Es ist auch nicht klar, wie man sichergehen will, dass das Geld auch wirklich für umweltfreundliche Zwecke genutzt wird. Das ist bei der EU auch in der Vergangenheit schon öfters das Problem gewesen: Die Sicherstellung der Zweckgebundenheit der Mittel. Außerdem muss die Privatwirtschaft auch mitziehen, wobei ich da die geringsten Probleme sehe. Im Finanzmarkt ist extrem viel Geld und es wird nach neuen Anlagemöglichkeiten gesucht, die beschäftigungsfördernd sind.
Ursula von der Leyen sagte dazu: „Der Green Deal soll Emissionen senken und gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen“. Das klingt fast wie im Märchen. Wie soll das gehen?
Das halte ich schon seit 40 Jahren für realistisch. Wir wissen schon lange, dass Klimaschutz und Klimapolitik neue Arbeitsplätze schaffen. Es gab 1980 eine Studie vom IFO-Institut in München, einem führenden Wirtschaftsforschungsinstitut, die zeigte, dass Klimapolitik unterm Strich beschäftigungsfördernd ist. Das ist also nichts Neues. In der Kohleindustrie arbeiten jetzt noch circa 20.000 Menschen. Bei den erneuerbaren Energien arbeiteten 2016 fast 340.000 Menschen. Das liegt daran, dass die erneuerbaren Energien sehr viel arbeitsintensiver sind. Es werden mehr Mitarbeiter dort benötigt als bei den fossilen Energieträgern.
Wenn das schon seit 1980 bekannt ist, warum wird das erst jetzt umgesetzt?
Die Kohleindustrie besitzt starke Lobbygruppen, die sich gut organisieren können. Die haben durchgesetzt, dass europäische Subventionen die Kohleindustrie noch so lange am Leben gehalten haben. Wenn man das streng marktwirtschaftlich gedacht hätte, wäre die Kohleindustrie schon spätestens seit den 1980er Jahren ausgelaufen. Das wussten auch damals schon alle, aber es wurde politisch nicht gewollt. Das ist genau das Problem, das Umweltökonomie seit Jahrzehnten thematisiert. Wenn man den Green Deal wirklich so umsetzt, wie er vorgesehen ist, wird man deutlich mehr Arbeitsplätze schaffen, als durch die Subventionen in die Landwirtschaft oder die Kohleindustrie.
Heißt das, Umweltschutz ist gerade auch rentabel?
Ja, das kann man schon so sagen. Nehmen wir die USA als Beispiel. Trotz einer rückwärtsgewandten Politik der US-Regierung unter Donald Trump ist die Kohle innerhalb weniger Jahre fast vollständig entwertet worden. Das zeigt, wie sehr Investoren Nachhaltigkeit verinnerlicht haben. Da gibt es einen zentralen Mechanismus, der extrem wirksam ist: die Risk Disclosure-Mechanik.
Das müssen Sie erklären…
Die Risk-Disclosure-Mechanik. Also die Offenlegung von möglichen Risiken für Anleger durch die Unternehmen. Im Green Deal ist ein Gesetz angelegt, das Unternehmen verpflichtet, die eigenen Risiken offenzulegen gegenüber den Anlegern. Das gilt bis in den letzten Teil der Wertschöpfungskette. Sonst haftet das Unternehmen, beziehungsweise der Vorstand, für Vermögensverluste der Anleger. Ein Risiko ist zum Beispiel die Investition in fossile Energieträger, wie Kohlestrom, weil das einfach sehr schnell an Wert verlieren kann.
So wie jetzt gerade bei Siemens in Australien...
Genau. Wenn Joe Kaeser von Siemens sich jetzt, mit dem Green Deal, beim Bau eines Kohlekraftwerks in Australien beteiligt, muss er das gegenüber den Anlegern als Risiko kenntlich machen. Selbst, wenn es sich nur um Signalanlagen für die Bahnanbindung handelt. Es gibt Organisationen, wie das Carbon Disclosure Project in London, die ganz klar kenntlich machen, was Projekte für eine CO2-Bilanz aufweisen. Siemens wurde mehrfach von denen ausgezeichnet für besonders gute Nachhaltigkeitsberichte. Aber diese eine Geschichte mit dem Kohlekraftwerk in Australien kann diesen guten Ruf auf Jahre zunichtemachen.
Was heißt das konkret?
Das heißt, Anleger werden in Zukunft genauer überlegen, ob sie in Unternehmen investieren, die sich an umweltschädlichen Technologien wie fossilen Brennstoffen beteiligen. Und nicht nur das. Die Unternehmen werden dreimal nachdenken, bevor sie solche Projekte annehmen, für die sie haften können. Die Angst bei Joe Kaeser ist groß. Denn er haftet im Zweifel persönlich, wenn er die Anleger nicht über mögliche Risiken informiert. Diese Risk-Disclosure-Mechanik ist wahrscheinlich die mächtigste Waffe der Europäischen Kommission im Kampf für eine umweltfreundlichere Wirtschaft. Auch, wenn sie das vermutlich noch gar nicht weiß.
Das große Ziel ist, die Klimaziele zu erreichen. Ursula von der Leyen hat erklärt, dass man mit dem Green Deal die EU bis 2050 klimaneutral machen würde. Klappt das?
Streng genommen, nein. Es wäre naiv zu glauben, dass man das durch die grüne Finanzmarktreform als Herzstück des Green Deal sicherstellen kann. So funktioniert das Programm nicht. Wenn man sichergehen wollte, dass das klappt, müsste man die Wirtschaft komplett kontrollieren, wie bei einer Kriegswirtschaft. Da würde es dann heißen, ab jetzt keine CO2-Emissionen mehr. Wenn man das über Anreize löst, so wie jetzt vorgeschlagen, kann man das nicht sicherstellen. Das geht nicht. Aber es kann auch sein, dass der Mechanismus so gut funktioniert, dass wir bis 2040 klimaneutral sind. Ich kann mir das sogar sehr gut vorstellen.