Nachhaltigkeit
Interview

Was bedeuten Ampel-Koalition und Jamaika fürs Klima?

Möglicherweise regieren SPD, Grüne und FDP bald gemeinsam in einer Ampel-Koalition.
Möglicherweise regieren SPD, Grüne und FDP bald gemeinsam in einer Ampel-Koalition.Bild: Getty Images Europe / Pool
Interview

Klimaexperte über die Wahlentscheidung: Am besten fürs Klima wäre
eine Ampelkoalition

30.09.2021, 10:0309.10.2021, 14:58
Mehr «Nachhaltigkeit»

Langsam laufen sie an, die Sondierungen. Die Grünen und die FDP suchen schon nach Gemeinsamkeiten, tarieren ihre roten Linien aus. Wer Angela Merkels Nachfolge antreten wird, ist noch nicht klar. Der Bundestag wählt in Deutschland den Kanzler, dafür braucht es Mehrheiten. Koalitionsmöglichkeiten gibt es mehrere: Die sogenannte Ampel, bestehend aus SPD, Grünen und FDP. Jamaika mit CDU, Grünen und FDP. Oder auch eine Neuauflage der großen Koalition mit SPD und CDU.

Doch welche der Möglichkeiten ist die beste fürs Klima?

Darüber hat watson mit Klimaforscher Mark Lawrence gesprochen. Er ist wissenschaftlicher Direktor am Potsdamer Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung. Sein Forschungsschwerpunkt ist unter anderem der Klimawandel.

watson: Herr Lawrence, wie zufrieden sind Sie mit der Wahlentscheidung?

Mark Lawrence: Aus wissenschaftlicher Sicht haben wir Gründe, vorsichtig optimistisch zu sein.

Inwiefern?

Die Grünen und die FDP werden sicher Teil der Regierung sein. Wenn wir jetzt schauen, welche der möglichen Koalitionen am besten das Klima schützt, wäre das die Ampelkoalition – gemeinsam mit der SPD. Aus meiner Sicht ist das auch die wahrscheinlichste Koalition.

"Es wird darauf ankommen, die FDP nicht nur mitzuschleppen – sondern sie zu begeistern"

Was macht diese Koalition aus Ihrer Sicht klimafreundlich?

Das Parteiprogramm der SPD ist stärker auf Klimaschutz ausgerichtet als das der CDU. Außerdem haben die Grünen bei der Wahl stärker abgeschnitten als die FDP – und die Schnittmenge zwischen SPD und Grünen ist größer als zwischen CDU und Grünen.

Die Schnittmenge zwischen der anderen Kanzlermacherpartei – also der FDP – und der CDU dürften aber größer sein als zwischen FDP und SPD.

Natürlich. Aber in Bezug auf Klimaschutz ist die Schnittmenge zwischen den größeren Parteien und den Grünen wichtiger. Es wird darauf ankommen, die FDP nicht nur mitzuschleppen – sondern sie zu begeistern. Gleichzeitig muss sich die SPD sehr kompromissbereit zeigen, weil das Ergebnis gegenüber der Union so knapp ist. Die SPD muss Grüne und FDP richtig überzeugen, dass sie zusammen regieren wollen. Grundsätzlich dürften alle drei, also SPD, FDP und Grüne, in den Verhandlungen und auch danach klare Kante zeigen, denn sie haben ja alle Wähler hinzugewonnen. Die CDU wird sich vorrangig auf absehbare Zeit mit sich selbst beschäftigen müssen, um ihre Existenz zu sichern.

Digitalisierung könnte beispielweise den Verkehrsfluss verbessern.
Digitalisierung könnte beispielweise den Verkehrsfluss verbessern. Bild: iStockphoto / Kichigin

Sie sprechen davon, klare Kante zu zeigen. Was müsste aus Ihrer Sicht als Erstes passieren, um Deutschland in Sachen Klimaschutz auf einen guten Weg zu bringen?

Vieles! Aber wenn ich mich auf ein wichtiges Beispiel fokussiere: Der digitale Fortschritt des Landes muss vorangetrieben werden.

Warum das denn?

Wenn Digitalisierung clever eingesetzt wird, kann sie die Hauptforderungen aller drei Parteien voranbringen.

Wie meinen Sie das?

Für die SPD ist der soziale Einsatz von digitalen Technologien interessant. Homeoffice und Homeschooling könnten für die Zukunft vorangebracht werden. Oder nehmen Sie Behörden wie die Agentur für Arbeit, die durch machine learning und Algorithmen entlastet werden können.

Aber was hat das mit dem Klima zu tun?

Die Grünen könnten aus der Digitalisierung für ihr Kernthema, den Klimaschutz, viele Vorteile ziehen: Gute digitale Algorithmen können dazu führen, dass jeglicher Verkehr besser fließt: sowohl auf der Schiene, als auch auf der Straße. Irgendwann in näherer Zukunft werden wir so weit sein, dass wir autonomes Fahren ermöglichen können und Autos wie eine Erweiterung des öffentlichen Personennahverkehrs weniger umweltbelastend funktionieren. Auch die Digitalisierung und Dezentralisierung des Stromnetzes würde helfen – Stichwort Solardächer. Ebenso die Möglichkeit, durch Digitalisierung unnötige Reisen, beispielsweise zu Meetings, zu vermeiden.

"Das würde jedoch gesellschaftlich kaum akzeptiert werden und ich sehe keine Partei oder Koalition, die so starke Marktmechanismen wagen würde"

Okay, jetzt haben wir die Vorteile für SPD und Grüne. Die FDP hat sich ja ohnehin das Thema Digitalisierung als eines ihrer Kernthemen auf die Fahnen geschrieben.

Genau. Und damit könnten SPD und Grüne es der FDP leichter machen, in eine Ampelkoalition einzusteigen. Die FDP kann mit der Digitalisierung ihre Wirtschaftskompetenz unter Beweis stellen. Generell denke ich: Die Parteien müssen sich auf solche Werkzeuge einigen, die sie alle für ihre Zwecke nutzen können.

Sie haben es schon gesagt: Im Bereich Klimaschutz liegen SPD und Grüne relativ nahe beieinander. Die FDP hingegen setzt wie auch die CDU auf neue Technologien, die es noch nicht gibt und den Emissionshandel – also darauf, dass der Markt das Klimaproblem regelt. Für wie sinnvoll halten Sie das?

Ein CO2-Preis kann grundsätzlich sinnvoll eingesetzt werden. Aber die aktuell geplanten CO2-Preise sind weit davon entfernt, ausreichend zu sein. Es wird nicht funktionieren, nur auf Marktmechanismen zu setzen und nichts durch sonstige Mechanismen wie Anreize – und auch Verbote – zu regulieren. Genauso wenig wird es aber möglich sein, die Rolle der Märkte zu ignorieren.

Wie teuer müsste die Tonne CO2 sein?

Um CO2-Emissionen wirklich zu kompensieren – also das CO2 wieder dauerhaft aus der Atmosphäre zu entfernen oder die langfristigen gesellschaftlichen Schäden zu bezahlen – müsste die Tonne CO2 etwa 300 bis 400 Euro kosten. Das würde jedoch gesellschaftlich kaum akzeptiert werden und ich sehe keine Partei oder Koalition, die so starke Marktmechanismen wagen würde. Vielmehr müssen die Parteien neben der Digitalisierung weitere Werkzeuge und Mechanismen finden, die sie vereinen können.

Ein neuer Exportschlager? Möglicherweise eines Tages die Solartechnologie.
Ein neuer Exportschlager? Möglicherweise eines Tages die Solartechnologie.Bild: iStockphoto / Blue Planet Studio

Welche, für den Klimaschutz förderlichen, könnten das sein?

Die außenpolitische und wirtschaftliche Wirkung von Deutschland, zum Beispiel. Und zwar in einer Weise, die Deutschlands Rolle in der Welt schützt und stärkt.

An Außenpolitik hätte ich, wenn es um klimafreundliche Koalitionen geht, jetzt nicht als erstes gedacht.

Genau! Aber hier könnte ein gemeinsamer Nenner zum Beispiel die Förderung des Exports von klimaschützenden Technologien sein. Beispielsweise die Entwicklung und der Export von verbesserter Solarstromtechnologie und Windenergiemotoren. Aber auch anderer klimafreundlicher Technologien. Das wäre im Sinne der FDP, weil es Deutschlands Wirtschaft stärkt. Gleichzeitig passt es aber auch zu den Grünen, wenn grüne Technologien exportiert werden und Deutschland nicht nur ein Vorbild, sondern auch ein richtiges Zugpferd in der Welt in Sachen Klimaschutz werden kann. Und genauso passt es zur SPD, weil so die Rolle Deutschlands in der Welt gestärkt werden kann und Arbeitsplätze geschaffen werden. Möglicherweise könnte sogar durch die Technologien mehr Autonomie bei der Stromerzeugung hergestellt werden kann, die wiederum helfen könnte, viele Länder stabilisieren.

"Wenn schon tonnenweise Öl nach Deutschland transportiert wird, dann warum nicht ähnliches für Wasserstoff?"

Den Ländern, die die ganze Zeit mit fossilen Brennstoffen wie Öl Geld verdient haben, dürfte das weniger gut gefallen.

Jein. Zunächst natürlich Ja. Aber könnte das nicht umgedreht werden? Was passiert, wenn Saudi-Arabien und die Golf-Länder unterstützt werden, damit sie große Solarfelder installieren? Auch hier könnten neue deutsche Technologien zum Einsatz kommen. Sonnenschein gibt es dort mehr als genug, transportiert werden könnte die Energie beispielsweise in Form von Wasserstoff. Wenn schon tonnenweise Öl nach Deutschland transportiert wird, dann warum nicht ähnliches für Wasserstoff?

Das klingt nicht gerade nach einem Hundert-Tage-Plan.

Klar ist, dass die Politiker damit mehrere Jahre beschäftigt sein werden. Und klar ist auch, dass nicht nur verbesserte Technologien, inklusive Digitalisierung, das Klima retten werden – dafür brauchen wir eine gesamtheitliche und sozial gerechte gesellschaftliche Transformation. Gleichzeitig haben die Koalitionsparteien damit die Chance auf ein Aushängeschild – und darauf, bei ihrer jeweiligen Parteibasis zu punkten. Ganz nebenbei könnten sie damit etwas Gutes für Deutschland und die Welt tun. Und da die Grünen stark in der nächsten Bundesregierung vertreten sind, kann man sich sicher sein, dass wenn große Projekte umgesetzt werden, diese zumindest nicht umweltschädlich sein werden.

Jetzt haben wir sehr viel über die Ampel-Möglichkeit gesprochen. Wäre das Ganze denn auch möglich mit einer Jamaika-Koalition – also einer Regierung aus Union, FDP und Grünen?

Ich denke, selbst eine Jamaika-Koalition würde klimafreundlicher sein, als es die große Koalition war. Allein durch das aktuelle Interesse am Klimaschutz und durch die Beteiligung der Grünen.

Das ist ja schonmal was.

Allerdings nur ein bisschen klimafreundlicher. Die Chancen, diese wirklich ehrgeizigen Ziele zu realisieren und große Projekte umzusetzen, Klimaschutz sozial zu gestalten und eine Vorbild-Rolle in der Welt einzunehmen, sind nach meiner Einschätzung deutlich größer mit der Ampel.

Wetter in Deutschland: April startet mit historischen Rekord-Temperaturen

Am vergangenen Wochenende hatten sich viele Menschen in Deutschland über ungewohnt sommerliches Wetter zum Osterfest gefreut. Cafés und Restaurants öffneten ihre Außenbereiche, die Winterjacken wurden aus den Garderoben der Republik schon fast verbannt.

Zur Story