Nachhaltigkeit
Politik

Hitzewelle in Deutschland: So steht es um die Hitzekonzepte der Länder

Die hohen Temperaturen trocknen die Böden aus, viele Pflanzen kommen an kein Grundwasser mehr.
Die hohen Temperaturen trocknen die Böden aus, viele Pflanzen kommen an kein Grundwasser mehr.Bild: picture alliance/dpa | Julian Stratenschulte
Analyse

Gluthitze durch Klimawandel: So steht es um die Hitzekonzepte der Länder

Dieser Dienstag droht der heißeste Tag des Jahres zu werden. Hitze wird in Deutschland jetzt zur Lebensgefahr: Die Zahl der Hitzetoten steigt. Hitzeaktionspläne wie in Frankreich sind bisher eine Rarität, dabei fordert die Bundesärztekammer diese schon lange.
19.07.2022, 16:13
Mehr «Nachhaltigkeit»

Die Temperaturen könnten Dienstag mancherorts auf bis zu 40 Grad klettern – es soll der bisher wärmste Tag des Jahres werden. Gesundheitsbehörden mahnen zur Vorsicht und raten: Sonne meiden und viel trinken.

Denn für den menschlichen Körper sind solche Temperaturen ein Horrorszenario – was können wir tun, wenn es plötzlich mehr als 40 Grad im Schatten sind? Wo können wir uns abkühlen, wenn unsere Schweißproduktion als körpereigene Klimaanlage irgendwann an ihre Grenzen kommt?

Denn steigt unsere Körpertemperatur auf 42 Grad, sterben wir.

Hitze kann zur tödlichen Gefahr werden – auch in Deutschland

Insbesondere vulnerable Bevölkerungsgruppen, wie Vorerkrankte, Schwangerere, ältere Menschen und Kinder sind gefährdet. Auch bei jungen und gesunden Menschen lässt die Leistungsfähigkeit bei Hitze nach, das Wohlbefinden nimmt ab.

Aus diesen Gründen fordert die Bundesärztekammer einen nationalen Hitzeaktionsplan für Deutschland.

ILLUSTRATION - Eine junge Frau liegt am 06.05.2022 in einem Park in Berlin auf einer Decke und sonnt sich (gestellte Szene). Foto: Christin Klose || Modellfreigabe vorhanden
Insbesondere junge Menschen unterschätzen die Hitze und ihre Auswirkungen schnell mal.Bild: picture alliance

"Hitze kann lebensgefährlich sein", sagt Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin, gegenüber watson. "Infolge des Klimawandels werden häufigere, intensivere und auch längere Hitzewellen erwartet, daher müssen wir dringend handeln." Zwar gebe es vereinzelt schon Hitzeaktionspläne, aber noch längst nicht überall.

Frankreich, Spanien, Italien, aber auch die Stadt Wien haben auf den Temperaturanstieg längst reagiert – und Hitzeschutzpläne entwickelt, "an denen wir uns gut orientieren können", wie Bobbert betont. Für Deutschland sei es mit einem Temperaturanstieg um die zwei Grad seit 1960 nun auch an der Zeit, endlich zu handeln.

Kommt der nationale Hitzeschutzplan für Deutschland doch noch?

Auf Nachfrage von watson beim Bundesgesundheitsministerium erklärte ein Sprecher, dass der neue Koalitionsvertrag auf einen übergreifenden Ansatz setze. Gemeinsam mit den Ländern soll eine nationale Klimaanpassungsstrategie mit den Handlungsfeldern Hitzevorsorge und Gesundheits- und Allergieprävention entwickelt werden.

Die Verantwortung zur Entwicklung von Hitzeaktionsplänen liege aber nach wie vor bei den Kommunen und den Trägern von gesundheitlichen Einrichtungen. Die 2017 von der Bund/Länder Ad hoc-Arbeitsgruppe erarbeiteten "Handlungsempfehlungen" sollen die Länder und Kommunen dabei aber unterstützen.

Wie aber steht es wirklich um die Handlungsfähigkeit der einzelnen Kommunen und Bundesländer, wenn sich wieder eine Hitzeglocke über Deutschland legt? Watson hat nachgehakt.

Baden-Württemberg

Ein landesweiter Hitzeaktionsplan würde nicht hinreichend auf die spezifischen lokalen Bedürfnisse eingehen, daher wurde in Baden-Württemberg bislang keiner veröffentlicht – was laut Ministerium auch für die Zukunft nicht geplant ist. Stattdessen unterstütze das Landesgesundheitsamt die einzelnen Kommunen und Gesundheitsämter durch fachliche Beratung, Vernetzung und Kompetenzstärkung.

"Bei einer massiven, lange andauernden landesweiten Hitzewelle würde das Innenministerium einen interministeriellen Stab einberufen", erklärt Anna Werner, Sprecherin des Gesundheitsministeriums Baden-Württemberg, watson.

Nach dem Extremsommer 2003 wurde 2004 ein Aufklärungsblatt "Gesundheitsrisiken bei Sommerhitze für ältere und pflegebedürftige Menschen" mit Hinweisen für Pflegekräfte, Heimleitungen und Hausärzte veröffentlicht.

Bayern

Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) betont: "Klimawandel und Gesundheitsschutz sind für mich untrennbar miteinander verbunden."

Zwar liege die Verantwortung für die Erstellung "einzelfallbezogener und passgenauer" Hitzeaktionspläne bei den Kommunen. "Dies bedeutet jedoch nicht, dass bayerische Kommunen hierbei auf sich allein gestellt sind", betont eine Ministeriumssprecherin gegenüber watson.

So unterstützt das Gesundheitsministerium gemeinsam mit dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) die Städte und Gemeinden, indem sie ihnen Informationen zur Verfügung stellen und mithilfe von Hitzeworkshops die Kommunen miteinander vernetzen.

Auch wurde im September 2021 die Landesarbeitsgemeinschaft Gesundheitsschutz im Klimawandel (LAGiK) gegründet, wodurch sich verschiedene Akteure austauschen und Handlungsempfehlungen und Anpassungsmaßnahmen zur Reduktion möglicher Gefährdungslagen erarbeiten. Das erste Fokusthema ist die gesundheitliche Belastung durch Hitze.

Berlin

Unter den Großstädten nimmt Berlin eine Vorreiterrolle ein, "denn bisher gibt es keine Großstadt in Deutschland, in der Gesundheitsakteure eine zentrale Rolle in der Erstellung und Umsetzung von Hitzeschutzplänen bei extremer Hitze übernehmen", erklärt ein Senatssprecher auf Anfrage von watson.

Entwickelt wurden die Hitzeschutzpläne von der Ärztekammer Berlin, der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit (KLUG) und der Senatsverwaltung für Gesundheit und Pflege. Auch eine zentrale Koordinierungsstelle soll im Rahmen dieser Zusammenarbeit noch erfolgen.

Brandenburg

Bislang gibt es keinen vollumfänglichen Hitzeaktionsplan für Brandenburg, sondern nur einzelne Maßnahmen wie die Bereitstellung von Informationen über den richtigen Umgang mit Hitze für vulnerable Gruppen.

Wie Sprecher Gabriel Hesse gegenüber watson erklärt, wurde Mitte 2021 die Entwicklung eines Hitzeaktionsplan für Brandenburg beauftragt, sowie verschiedene Maßnahmensets für betroffenen Bereiche, so auch für Krankenhäuser, Pflegeheime, Schulen und Kitas entwickelt.

Bremen

Zwar ist ein Hitzeaktionsplan bereits in Vorbereitung, doch aufgrund der personellen Engpässe im Gesundheitsressort "zur Bewältigung der Pandemie" konnte in den vergangenen zweieinhalb Jahren nicht weiter an diesem gearbeitet werden, wie Sprecher Lukas Fuhrmann auf Nachfrage von watson erklärt. Dennoch leisteten die Gesundheitsämter Bremen und Bremerhaven Beratungsarbeit.

Hamburg

Bis spätestens 2025 soll die Hansestadt einen Hitzeschutzplan ausgearbeitet haben, wie Stefanie Lambernd, Sprecherin der Hamburger Sozialbehörde, gegenüber watson erklärte: "Grundsätzlich muss in unterschiedlichen Feldern bearbeitet werden, wie mit Hitze in einer Großstadt umzugehen ist." Dabei gehe es um Fragen von Bauwesen, Stadtentwicklung und Grünflächen, aber auch die gesundheitlichen Dimensionen, Angebote zur Abkühlung, Trinkversorgung sowie Regelungen und Maßnahmen für Bildungs- und Pflegeeinrichtungen.

"Dass es mehr Hitzefälle geben wird, ist eine langfristige Entwicklung. Es geht also darum, den Hitzeinseleffekt in der Stadt zu reduzieren und den sommerlichen Wärmeschutz an Gebäuden zu verbessern. Und es müssen im konkreten Hitzefall bestimmte Angebote beziehungsweise Maßnahmen getroffen werden, etwa in Einrichtungen des Gesundheitswesens und Bildungseinrichtungen."
Stefanie Lambernd, Sprecherin der Hamburger Sozialbehörde

Hessen

Der Hessische Hitzeaktionsplan soll bis zum Frühjahr 2023 erstellt und in den darauffolgenden Jahren evaluiert, erweitert und aktualisiert werden, wie das Sozialministerium erklärt. Der in Hessen geltende Plan soll zudem als Hilfestellung für die Kommunen und deren eigenen Erstellung von Hitzeaktionsplänen dienen.

Seit 2004 gibt es ein Hitzewarnsystem, welches vom damaligen Sozialministerium in Kooperation mit dem Deutschen Wetterdienst eingerichtet wurde, das auch in Zukunft zentraler Bestandteil des Hitzeaktionsplans bliebe.

Niedersachsen

"Die Zeit der gemäßigten Sommer ist vorerst vorbei", sagt Niedersachsens Umwelt- und Klimaschutzminister Olaf Lies (SPD). "Tage wie die, die uns jetzt bevorstehen, führen uns vor Augen, wie drastisch der Handlungsdruck ist. Wir erleben gerade die erste Hitzewelle des Jahres in Deutschland."

Eine entsprechende Kühlung der Städte sei aus diesem Grund unerlässlich. "Wir appellieren an die niedersächsischen Kommunen, Hitzeaktionspläne aufzulegen und umzusetzen", erklärt Matthias Eichler, Sprecher des Umweltministeriums. Über den genauen Stand entsprechender Pläne lägen dem Ministerium allerdings keine Informationen vor, allerdings berate das Ministerium de Kommunen.

Nordrhein-Westfalen

Ein landesweiter Hitzeaktionsplan wurde bislang nicht verabschiedet. Laut Miriam Skroblies, Sprecherin des Gesundheitsministeriums, wird aktuell sondiert, wie "ein landesweiter integrierter Hitzeaktionsplan NRW als Beitrag zur Klimaanpassungsstrategie NRW erstellt werden kann".

Seit 2008 existiert eine Informationsplattform, die die Bevölkerung, medizinisches Fachpersonal und den öffentlichen Gesundheitsdienst über die Auswirkungen von Hitze auf die Gesundheit und über Möglichkeiten der Anpassung aufklärt.

Sachsen

Da bei der Erstellung von Hitzeaktionsplänen die lokalen Gegebenheiten zu berücksichtigen seien, sieht das Sozialministerium Sachsen die Erstellung von Hitzeaktionsplänen in der Verantwortung von den Kommunen, das Energie- und Klimaprogramm Sachsen (EKP) enthält aber Maßnahmen, die den Kommunen bei Hitzeanpassungsmaßnahmen zugutekommen:

"Die Betreiber von Krankenhäusern und Pflegeheimen sind für die Problematik der zunehmenden Hitze-Ereignisse sensibilisiert und in der Lage, Maßnahmen zum Schutz der Patienten beziehungsweise Heimbewohner bei Hitzeereignissen zu treffen", erklärt das Ministerium gegenüber watson. Gleiches gelte für Kitas und Schulen.

Sachsen-Anhalt

Laut Andreas Pinkert, Sprecher des Gesundheitsministeriums in Sachsen-Anhalt, sollen 2022 im Rahmen eines Pilotprojektes mit freiwilligen Einrichtungen der stationären Altenpflege und unter Einbeziehung relevanter Akteure sogenannte "Musterhitzepläne" als Best-Practice-Beispiele entwickelt werden. Vereinzelt hätten Kommunen bereits mit der Erstellung von Hitzeaktionsplänen begonnen.

Thüringen

Auch in Thüringen hat die Coronapandemie einen Strich durch die Entwicklung von Hitzeschutzplänen gemacht. "Inzwischen wurde der Austausch mit dem Thüringer Umweltministerium zum Thema wieder intensiviert", sagt Sprecherin Silke Fließ für das Ministerium für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und Familie gegenüber watson.

Einige Kommunen würden bereits den Hitzewarn-Newsletter des Deutschen Wetterdienstes nutzen, wodurch die Gesundheitsämter sensible Einrichtungen frühzeitig warnen können, "damit einrichtungseigene Vorsorgemaßnahmen rechtzeitig umgesetzt werden können". Andere Kommunen geben auf ihren Internetseiten Hinweise zum richtigen Verhalten bei Hitze.

Rheinland-Pfalz, Saarland, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Für Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und das Saarland gibt es keinen landesweiten Hitzeaktionsplan. Auf ihren Websites klären die Gesundheitsministerien die Menschen darüber auf, wie sie mit Hitze umgehen sollten, um gesundheitliche Risiken zu minimieren. Die Anfrage von watson zum weiteren Vorgehen ließen diese drei Ministerien unbeantwortet.

Ausnahme: In Worms, Rheinland-Pfalz hat der Stadtrat die Umsetzung eines Hitzeaktionsplans beschlossen, für den künftig 10.000 Euro jährlich durch den städtischen Haushalt bereitgestellt werden sollen.

Für Mecklenburg-Vorpommern dagegen gebe es bislang keinen Landes-Hitzeaktionsplan – das sei auch nicht geplant, wie Alexander Kujat, Sprecher des Gesundheitsministeriums, auf Anfrage von watson erklärt. "Wir sehen für die Entwicklung einer Gesamtstrategie den Bund in der Verantwortung", betont er.

Artenschutz: Vogel vom Aussterben bedroht – Insekt könnte ihn retten

Was Klimakrise, Naturschutz und Artenvielfalt angeht, scheint es einfach keine guten Nachrichten zu geben. Die weltweiten Bestände von Säugetieren, Amphibien, Reptilien, Vögeln und Fischen nehmen seit Jahren immer weiter ab.

Zur Story