Flugscham ist derzeit in aller Munde. Auf dem Weg in die Sommerferien dürfte bei manchem Urlauber das schlechte Gewissen mitreisen. Gut so, finden Aktivisten von Fridays for Future. Nun demonstrieren sie erstmals an einem Flughafen für den Klimaschutz.
Freitagmittag, Flughafen Stuttgart, Terminal 1: Es herrscht Hochbetrieb. Tausende Reisende starten in die baden-württembergischen Sommerferien, sie laufen durch die Halle, warten an Schaltern, geben Gepäck auf. Plötzlich beginnt der Lärm. Sprechchöre schallen von oben herunter in die riesige Halle. "30 Euro, Stuttgart-Berlin - wo bleibt die Steuer auf Kerosin!", rufen die Klimaaktivistinnen und Aktivisten. Sie schreien, pfeifen, trommeln, klatschen. Die Fluggäste blicken nach oben, manche interessiert, andere verwirrt.
Mehrere Hundert Menschen demonstrieren am Freitag am Stuttgarter Flughafen gegen umweltschädliches Fliegen. Bei der Protestveranstaltung am letzten Schultag vor den Sommerferien in Baden-Württemberg handelt es sich nach Angaben der Veranstalter um die erste Demonstration von Fridays for Future an einem deutschen Flughafen überhaupt.
Die Aktivisten hängen Plakate und Transparente auf, skandieren Sprüche wie "Attacke, Attacke – Fliegen ist kacke" oder "Runter mit den Bahnpreisen – hoch Kerosinsteuer". Weitere regionale Klima- und Umweltgruppen beteiligen sich an dem außergewöhnlichen Protest. Steffen Siegel von der Schutzgemeinschaft Filder hebt mitten im Pulk der Demonstranten eine Zeitungsanzeige in die Luft, dort wird ein Flug von Stuttgart nach Bologna für 5,99 Euro angepriesen. "Das ist schlichtweg obszön!", ruft der 74-Jährige wütend in die Menge.
Unter dem Motto "Ferienstreik fürs Klima" demonstrieren Schüler der Bewegung am Freitag auch vor der Verwaltungszentrale des Braunkohleunternehmens Leag in Cottbus (Brandenburg).
Der Klimaschutz ist derzeit das politische Thema schlechthin, die Grünen sind im Höhenflug, auch das Phänomen der Flugscham ist in aller Munde. Beginn einer neuen Protestwelle an deutschen Flughäfen? "Es ist wichtig, dass wir auch an andere Orte gehen", sagt der 21 Jahre alte Demo-Organisator Elias Zand-Akbari von der Stuttgarter Regionalgruppe von Fridays for Future. "Wir müssen die Leute erreichen, die nicht zu unseren Demos auf dem Rathausplatz kommen."
Man müsse auch nicht in Indien Urlaub machen, sagt er. Man müsse den Leuten klarmachen, dass das Fliegen die Umwelt zerstöre. Inlandsflüge sollten verboten werden, Kerosin gehöre ordentlich besteuert. Es sei aber auch Sinn der Sache, den Fluggästen ein schlechtes Gewissen zu machen.
"Das hatten wir so noch nicht", sagt eine Sprecherin des Flughafens. Es sei gut, dass sich junge Leute engagierten. Auch dem Flughafen sei Klimaschutz wichtig. Aber man wolle das Fliegen eben nicht verbieten, sondern klimafreundlicher machen, etwa durch neue Treibstoffe. Außerdem könne man Billigflieger nicht verbieten. "Wir als Flughafen können nicht vorschreiben, wer hier fliegt und zu welchen Preisen", sagt sie. "Das ist Marktsache."
Schließlich wollte man die Zeugnisvergabe nicht verpassen, wie ein Aktivist sagt. Dafür gibt es dann im Terminal 1 gleich nochmal Zeugnisse, wenn auch eher scherzhaft. Dutzende Teilnehmer lassen sich an einem Tisch kleine Zeugnis-Zettel stempeln. Dort wird eingetragen, an wie vielen Streiks man schon teilgenommen hat. Statt Schulfächer werden andere Felder benotet, etwa "Verantwortungsbewusstsein", "Schilder basteln", "Friedlich demonstrieren" und "Ziviler Ungehorsam". Und zwar ausschließlich mit "sehr gut". Am Freitag bleibt es auch völlig friedlich – wegen der räumlichen Trennung kommt es auch kaum zum direkten Kontakt zwischen Fluggästen und Fluggegnern.
Susanne Woitsch steht unten in der Halle vor dem Schalter 158 und blickt nach oben zu den Demonstranten. "Ich habe ein schlechtes Gewissen", sagt sie. Die 56-Jährige aus Göppingen ist auf dem Weg nach Amsterdam. Ein Betriebsausflug übers Wochenende mit ihren Kolleginnen, da wollte sie nicht nein sagen. Aber sie sei schon Jahre nicht mehr geflogen. "Das ist richtig und wichtig, weil sich sonst nichts ändert", sagt sie zu dem Protest. "Die Politiker brauchen Druck." Manch anderer Urlauber will sich lieber nicht zu seinen Flugplänen äußern.
Am Ende haben die Aktivisten dann selbst sogar noch ein wenig Spaß am Fliegen. Sie falten Dutzende Papierflieger und lassen diese unter Pfiffen und Rufen in die Terminalhalle hinunter segeln zu den Urlaubern – ganz klimaneutral.
(hd/dpa)