15.000 Menschen demonstrierten am Samstag auf dem Berliner Alexanderplatz gegen Rassismus und Polizeigewalt. Die meisten von ihnen friedlich, doch sicher auch einige aus verschiedenen Gründen zu Provokation und Gewalt neigend. Und so kam es nach den wichtigen Meinungsprotesten auch zu Szenen, bei denen Polizei und Demonstranten zwischen dem Bahnhof Alexanderplatz und dem nahegelegenen Berolinahaus aneinander gerieten.
Die Polizei selbst sprach in einer ersten Mitteilung am Samstagnachmittag davon, dass Polizisten angegriffen worden seien: "Aufgrund einer Festnahme einer männlichen Person nach einer Sachbeschädigung eines Einsatzfahrzeuges erfolgten mehrfach Flaschen- und Steinwürfe aus der Menge heraus auf Polizeikräfte sowie Passantinnen und Passanten." Die Menschen seien angewiesen worden, den Platz zu verlassen. Einige seien dieser Aufforderung nachgekommen. "Bei einigen der verbliebenen Personen kam es in der Folge zu Festnahmen", so die Polizei.
Auf Videos von diesen Auseinandersetzungen, die seit Samstag unter anderem auf Twitter und Instagram kursieren, ist zu sehen, wie Polizeibeamte mit großer Härte gegen Demonstranten vorgehen.
In einer Aufnahme, die bei Twitter zu sehen ist, greift ein Polizist einen schwarzen Mann, ohne das vorher eine Provokation oder ein Angriff auf den Beamten erkennbar ist. Sofort eilen mehrere Umstehende hinzu und versuchen offenbar, dem Mann zu helfen. Die Szene eskaliert, Gegenstände fliegen durch die Luft, augenscheinlich wird auch Pfefferspray versprüht. Nach der kurzen Auseinandersetzung ziehen sich die Beamten wenige Meter zurück, am Boden bleibt eine Person liegen, die sich in Schmerzen zu krümmen scheint.
Eine andere Aufnahme zeigt drei Polizisten, die einen Mann zu Boden ringen, einer der beteiligten Beamten führt einen Hund mit Maulkorb dazu, ein anderer schlägt mehrfach mit der Faust auf den am Boden liegenden Mann ein. Drei Polizisten drücken ihn zu Boden, halten ihn mit Gewalt fest. Einer schlägt immer wieder auf ihn ein. Jeder, der das Video sieht, bleibt erschrocken zurück.
Man spürt als Betrachter die aufgeladene Stimmung. Auf beiden Seiten. Menschen drumherum schreien. "Hört auf, hört auf", ist zu hören. Oder eine Frau brüllt: "Das ist nur ein Mann. Ein Mann. Hat George Floyd nicht gereicht? Hat George Floyd nicht gereicht? Warum macht man sowas, das eine einzige Person?" Sie wirkt, als würde sie mit den Tränen kämpfen.
Eine Stimme sagt: "Geht bitte nach Hause, alles ist gut". Vermutlich ein Beamter, genau ist das nicht zu erkennen. Alles ist gut. Ja? Ist es das? Angesichts dieser Bilder wohl kaum.
Doch zur Wahrheit oder Wahrheitsfindung gehört auch eine andere Perspektive. Denn in einem weiteren Video, das bei Facebook veröffentlicht wurde, ist die Szene aus einem anderen Winkel zu sehen. Zu erkennen ist darin, dass dem Niederringen der Person eine kurze Handgreiflichkeit vorausgegangen zu sein scheint. Und damit ein Angriff auf einen Beamten. Ob das diese Reaktion rechtfertigt, obliegt einer Untersuchung der Polizei. Die Bilder sind so oder so verstörend.
Trotzdem, das muss auch gesagt werden, in vielen Videos ist zu sehen, wie auch Demonstranten die Polizei provozieren, sehr nah an die Beamten heranrücken. Sie sogar wie im obigen Fall schubsen. Schnell kann also ein Funke dieses Pulverfass zum Explodieren bringen. Am Ende muss sich allerdings die Staatsmacht fragen lassen, ob ihr Verhalten angemessen gewesen ist.
Watson hat die Polizei Berlin zu den unverhältnismäßig erscheinenden Einsätzen aus den Videos um Stellungnahme gebeten. Die Polizei habe Kenntnis von den verschiedenen Videos. "Sehr oft zeigen diese Videos leider nur Teilausschnitte des Geschehens, welche eine Würdigung des selbigen erschweren und eine Bewertung unmöglich machen", teilte die Polizei schriftlich mit.
Eine Bewertung sei erst möglich, wenn das Gesamtgeschehen vorliege und die Handlungen aller Beteiligten erkennbar sei. Die Vorfälle vom Alexanderplatz werden nun geprüft. Hierfür kommt es mitunter auch vor, dass die Personen, die diese Videos hochgeladen, kontaktiert werden.
In der Regel werden dann die Beamten, die an diesen Vorfällen beteiligt sind, ausfindig gemacht und die dazugehörige Dienststelle um Stellungnahme gebeten. Sollte sich ein Fehlverhalten herausgestellt haben, wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Ob das Vorgehen der beteiligten Beamten in diesem Fall unverhältnismäßig war, kann die Polizei also zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen.
Weltweit waren am Samstag Menschen aus demselben Grund auf die Straße gegangen: Von Sidney bis Berlin setzten Zehntausende ein Zeichen gegen Rassismus und Polizeigewalt. Auslöser für die Proteste war der Tod des Schwarzen George Floyd. Der Mann starb bei einem brutalen Polizeieinsatz in Minneapolis. Ein Beamter hatte sein Knie fast neun Minuten lang in den Nacken Floyds gedrückt. Mehrfach hatte Floyd gerufen: "I can't breathe" ("Ich kann nicht atmen").
Sein Tod, und der Tod der Schwarzen Rettungssanitäterin Breonna Taylor, die bei einem Polizeieinsatz im März erschossen worden war, sorgten zunächst in den USA für Unruhen. Mittlerweile haben die Vorfälle auf der ganzen Welt für Solidaritätsbekundungen mit der "Black Lives Matter"-Bewegung gesorgt, die ein Ende des systemischen Rassismus gegenüber Schwarzen und Persons of Colour fordert.
Bei der Antirassismus-Demonstration in Berlin am Samstag war watson live vor Ort. Eine Schwarze Demonstrantin sagte: "Ich bin hier, weil sie meine Brüder und Schwestern umbringen. Ich habe es satt, still danebenzustehen, mein Leben hat einen Wert!" Ein anderer klagte: "Wir Schwarze müssen immer erst beweisen, dass wir unschuldig sind."
(pcl/kiru)