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Krieg in der Ukraine: Warum Wladimir Putin am 9. Mai einen "Sieg" braucht

MOSCOW, RUSSIA MAY 9, 2021: Russia s President Vladimir Putin and Defence Minister Sergei Shoigu L-R front attend a flower laying ceremony at the Tomb of the Unknown Soldier by the Kremlin Wall to mar ...
Wladimir Putin und Verteidigungsminister Sergej Schoigu an der letztjährigen Parade am 9. Mai.Bild: www.imago-images.de / Mikhail Metzel
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Warum Putin am 9. Mai einen "Sieg" braucht

Für Russland läuft im Ukraine-Krieg überhaupt nichts nach Plan. Dabei steigt der Druck auf Wladimir Putin, möglichst bald einen Sieg zu verkünden. Das macht die Sache kompliziert.
07.05.2022, 16:09
Peter Blunschi / watson.ch
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Der 9. Mai ist einer der wichtigsten Feiertage in Russland.

Es ist der Tag des Sieges im "Großen Vaterländischen Krieg" gegen Nazi-Deutschland. Gefeiert wird er unter anderem mit einer pompösen Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau. Stolz marschiert die Armee mit neuestem Kriegsgerät an der Staats- und Militärführung vorbei.

Dieses Jahr findet der Feiertag unter besonderen Umständen statt. Wladimir Putin hat einen mörderischen Angriffskrieg gegen die Ukraine entfesselt, der an der Heimatfront nach wie vor euphemistisch als "militärische Spezialoperation" bezeichnet wird. Dabei läuft mehr als zwei Monate nach Kriegsbeginn nichts so, wie man es sich im Kreml ausgemalt hat.

In vollkommener Verkennung der Realität glaubten Putin und sein Gefolge, die Ukraine mit einem "Blitzkrieg" in zwei bis drei Tagen "entnazifizieren" zu können. Offenbar rechneten sie weder mit dem eisernen Widerstandswillen der Ukrainer noch mit der heftigen Reaktion des Westens. Die geplante Eroberung Kiews endete mit einem demütigenden Rückzug.

Gewaltiger politischer Druck

Das hinterlässt Spuren beim eingebunkerten Präsidenten. Sein Gesundheitszustand gibt Anlass zu Spekulationen. Vielleicht ist einfach sein Nervenkostüm mittlerweile so dünn wie ein Spinnfaden. Denn viele Experten sind überzeugt, dass Putin am "Tag des Sieges" unbedingt einen Erfolg in der Ukraine und ein Ende der "Spezialoperation" verkünden will.

"Die russische Militärführung steht unter einem gewaltigen politischen Druck, endlich einen militärischen Durchbruch in der Ukraine zu erzielen, der auf der Parade am 9. Mai als Sieg präsentiert werden kann", heißt es in einem "Geheimpapier" der Nato, über das die Nachrichtenseite "Business Insider" berichtete.

Das Problem ist nur, dass ein Sieg nicht in Sicht ist.

Russische Schlagkraft wird überschätzt

Die Hafenstadt Mariupol ist noch immer nicht vollständig erobert. Die "Großoffensive" im Osten kommt nicht in die Gänge, obwohl das weite, flache Land im Donbass dafür gute Voraussetzungen bietet. Auch in der Region Cherson sollen ukrainische Truppen Gebiete zurückerobert haben. Allenfalls funktioniert die Logistik etwas besser als zu Kriegsbeginn.

Selbst für einen "symbolischen Sieg", den Russland gemäß dem Nato-Papier unbedingt erringen wolle, reicht das nicht. Der schwedische Ökonom Anders Åslund, ein Kenner Russlands und der Ukraine, ist nicht überrascht. In einem Twitter-Thread schreibt er, viele Kommentatoren überschätzten die Schlagkraft der russischen Armee nach wie vor.

"Vom Kalender getrieben"

Åslund glaubt, dass das "Genie Putin vom Kalender getrieben wird" und "bis zum 9. Mai einen Sieg will". Darum habe er seine bei Kiew besiegten Truppen viel zu früh wieder in den Kampf geschickt. Die russische Armee habe nicht viel mehr Soldaten als die ukrainische und etwa die Hälfte ihres Materials verloren. Ihre einzige Stärke sei die schwere Artillerie.

Das Fazit von Anders Åslunds Twitter-Analyse ist für Putin desaströs: "Die Ukraine hat fast so viele und viel bessere Soldaten als die Russen; die Ukraine hat bessere und modernere Waffen; die Ukrainer verteidigen ihr Land, während die Russen nicht wissen, was sie tun; die ukrainische Armee ist taktisch überlegen; Russland hat nur Artillerie."

Mit dem Rücken zur Wand

Da erstaunt es nicht, dass der Westen seine Zurückhaltung bei der Lieferung schwerer Waffen abgelegt hat und gegenüber Moskau forsch auftritt. "Wir wollen, dass Russland so weit geschwächt wird, dass es zu so etwas wie dem Einmarsch in die Ukraine nicht mehr in der Lage ist", sagte US-Verteidigungsminister Lloyd Austin am Montag in Polen.

Lloyd Austin, Verteidigungsminister der USA, spricht bei einer Konferenz zum Ukraine-Krieg auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein.
US-Verteidigungsminister Lloyd Austin gibt Moskau den Tarif durch.Bild: dpa / Boris Roessler

Russland steht zunehmend mit dem Rücken zur Wand. Ein angeschossener Bär ist jedoch unberechenbar.

Verschiedene Ereignisse der letzten Tage deuten darauf hin:

Die Folgen sind (noch) überschaubar. Polen und Bulgarien haben Alternativen zum russischen Gas. Sollte Putin taktische Atomwaffen einsetzen, müsste er mit heftigen Reaktionen rechnen. Mit dem bisherigen Support durch China wäre es wohl vorbei. Und den Krieg mit konventionellen Mitteln eskalieren zu lassen, enthält viele Risiken.

Selbst ein "symbolischer Sieg" am 9. Mai wirkt dadurch illusorisch.

Das Dilemma für den Westen und eigentlich auch für die Ukraine ist nur, dass Wladimir Putin vielleicht genau dies brauchen würde, um eine Exit-Strategie aus dem Irrsinn zu finden, den er losgetreten hat. An einem endlosen Zermürbungskrieg kann keine Seite interessiert sein.

Bundeswehr-General Mais zeigt sich nach Russlands Raketen-Eskalation alarmiert

Als wäre der russische Angriffskrieg in der Ukraine nicht schon genug, eskaliert der Konflikt weiter. Nach russischen Angaben hat das Land am Donnerstagmorgen mit einer neu entwickelten Mittelstreckenrakete die ukrainische Großstadt Dnipro beschossen, eine "Hyperschall-Rakete". Sechs Sprengköpfe schlugen dort ein. Der russische Präsident Putin sagte, es seien keine Atomsprengköpfe gewesen.

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