Politik
Analyse

Ukriane-Krieg: Baerbock und Habeck zeigen in der Krise Führungskompetenz

Aussenministerin Annalena Baerbock Die Gruenen und Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck Die Gruenen im Bundestag bei einer Sondersitzung mit einer Regierungserkl
Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) im Bundestag bei der Sondersitzung nach dem russischen Überfall auf die Ukraine.Bild: www.imago-images.de / bildgehege
Analyse

Die Gewachsenen

Im Wahlkampf wurden sie heftig kritisiert, teilweise belächelt. Doch nun wurden Annalena Baerbock und Robert Habeck geradezu in ihre Ämter als Außenministerin und Wirtschhaftsminister hineingeworfen – aus dem Wahlkampf in den Krieg. Und sie zeigen, dass sie Krise können.
27.03.2022, 19:2008.06.2022, 17:26
Mehr «Politik»

"Es ist an der Zeit für eine neue Ehrlichkeit in der Energiepreisdebatte." Dieser Satz könnte heute kaum passender sein. Und doch ist er 2013 gefallen. Robert Habeck schrieb diesen Satz in einem Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Damals war der Grünen-Politiker stellvertretender Ministerpräsident und Umweltweltminister von Schleswig-Holstein. Heute ist er Bundeswirtschafts- und -klimaminister. Und diesen Satz hat er offenbar nicht vergessen.

2022, genauer gesagt am 20. März, steht er mit verwuscheltem Haar, hochgekrempelten Ärmeln und derselben, vom ihm selbst eingeforderten Ehrlichkeit in Katar. Vor türkisem Wasser und einer Skyline aus Hochhäusern spricht er in die Kamera. Er will ehrlich sein, ist dabei geprägt von tiefer Ernsthaftigkeit. Und er spricht auch die unangenehmen Dinge an.

Robert Habeck und seine Parteikollegin und ehemalige Mit-Chefin der Grünen, Annalena Baerbock, haben holprige Monate hinter sich. Sowohl zwischen den beiden als auch innerparteilich kriselte es während des Bundestagswahlkampfes 2021, als Baerbock von ihrer Partei zur Kanzlerinnenkandidatin aufgestellt wurde. Es hagelte Kritik aus konservativen und aus rechten Kreisen. Viele Fehler wurden gemacht, viele Entschuldigungen ausgesprochen.

Die Kanzlerin oder den Kanzler stellen die Grünen nicht – doch sie sind in Regierungsverantwortung. Und heute sprechen selbst einige Konservative Baerbock und Habeck ihren Respekt aus. Jetzt, wo in Europa plötzlich Krieg herrscht und sie mit dessen weitreichenden Folgen umgehen müssen.

Annalena Baerbock als Außenministerin, Robert Habeck als Vize-Kanzler und Wirtschaftsminister.

Als Managerin und Manager einer heftigen Krise müssen sie schneller in ihre Rollen hineinwachsen als ihre Vorgänger.

Kritik an Handeln, Lob für Kommunikation

Und das Bild der beiden hat sich in den vergangenen Wochen gedreht. Vorher teilweise sogar belächelt, stehen sie jetzt vor den Folgen einer Außen- und Wirtschaftspolitik nicht nur von 16 Jahren Merkel-Regierung, sondern auch von deren Vorgängern: Gerhard Schröder (SPD), Helmut Kohl (CDU), Konrad Adenauer (CDU) und Willy Brandt (SPD), Kiesinger, Ehrhardt, Schmidt und sogar eine Rot-Grünen Regierung mit Joschka Fischer als grünem Außenminister und Vizekanzler: Sie alle haben den Weg in eine klimaneutrale, Russland-unabhängige, demokratisch-freie europäische Gesellschaft steinig gemacht.

Und sie, Baerbock und Habeck, ziehen nun ihre Sache durch: mit grünem Geist, habeckscher Ehrlichkeit und knallharter Entschlossenheit.

Der schleswig-holsteinische Umwelt- und Landwirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis90/Grüne) steht am 05.12.2013 am Fähranleger in Dagebüll (Schleswig-Holstein). Das Orkantief «Xaver» hat den Norde ...
Robert Habeck 2013 als Umweltminister von Schleswig-Hollstein.Bild: dpa / Carsten Rehder

Der Wirtschaftsminister ist vor einer Woche nach Katar gereist, um Deutschland von Russland unabhängiger zu machen. Denn die Bundesrepublik bezieht bisher noch 55 Prozent der gesamten Erdgas-Importe aus Russland. Heißt: Deutschland zahlt täglich Hunderte Millionen Euro an russisch-staatliche Unternehmen – und finanziert damit Wladimir Putins Angriffskrieg in der Ukraine mit.

Ein Öl- und Gas-Embargo, wie es etwa die USA vor wenigen Wochen umsetzten, ist für die Deutschen nicht so einfach möglich. Dazu braucht es neue Verträge, neue Lieferanten, neue Einsichten, neue, schmerzliche Kompromisse. Und Habeck will diese Einsichten und Kompromisse nicht verbergen.

Nun steht er also in Katar – und wird für sein Handeln kritisiert, für seine Kommunikation aber gefeiert. Er will Flüssiggas aus dem Emirat kaufen und hat sich deshalb vor allem bei Menschenrechtlern innerhalb und außerhalb seiner Partei unbeliebt gemacht.

"Das ist natürlich eine politisch... sagen wir... interessante Region."
Robert Habeck über Katar.

"Das ist natürlich eine politisch... sagen wir... interessante Region. Was ich immer angesprochen habe, sind die Arbeits- und Menschenrechte", sagt Habeck in dem Video, das er am 20. März über den Twitter-Kanal des Bundeswirtschaftsministeriums veröffentlicht.

Katar wird bereits seit Jahren für etliche Missachtungen von Menschenrechten verurteilt. Vor allem, seit klar ist, dass das Land die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 ausrichten darf.

Nach Recherchen des ZDF sind allein beim Bau der WM-Stadien 15.000 Menschen ums Leben gekommen. Fast alle waren sie aus dem Ausland zum Arbeiten nach Katar gekommen. Amnesty International überprüfte im November 2021 die Arbeitsbedingungen. Das Ergebnis: Es gibt kaum eine Möglichkeit, den Arbeitsplatz zu wechseln, Lohnzahlungen bleiben aus, juristisch gegen Menschrechtsverletzungen vorzugehen ist schier unmöglich, Gewerkschaften? Fehlanzeige.

Vor allem die Grünen hatten immer wieder kritisiert, dass die Fußball-WM in diesem Land stattfinden soll. Kritikerinnen und Kritiker werfen Habeck nun Doppelmoral vor.

Der designierte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai sparte auch nicht an Kritik an Habeck. Er solle besser Denkverbote beim Kohleausstieg aufgeben und erneuerbare Energien voranbringen, wie Djir-Sarai der Nachrichtenagentur dpa sagte. Es gehe darum, die Energieabhängigkeit von Russland nach dem Angriffskrieg gegen die Ukraine schnellstmöglich zu beenden.

Habeck weiß das alles. Er wusste das auch schon vor seiner Reise in das Land. Und er weiß auch, dass Deutschland nicht eine Abhängigkeit (Russland) durch eine neue (Katar) ersetzen darf. Das ist vor allem das, was aus konservativen Kreisen zu hören ist. Doch auch in Kanada und Norwegen war er bereits für etwaige Verhandlungen, nur: Sein Besuch in Katar bezeichnete er als besonders erfolgreich.

Habeck fällt mit Twitter-Video aus dem Raster

Habeck ist allerdings zumindest einmal zuversichtlich, dass sich die Situation in Katar verbessern werde: Es habe sich auf Druck der Öffentlichkeit, auch aus Deutschland, bereits etwas geändert. Im Gespräch mit dem Emir, Tamim bin Hamad Al Thani, habe er das Thema Menschenrechte angesprochen, sagt er in dem Twitter-Video. "Ich hatte ein bisschen Sorge: Na, wie ist das wohl, wenn ich das 'in your face' anspreche, ob ich dann rausgeworfen werde – aber so war's überhaupt nicht", meint Habeck.

Habeck setzt auf Ehrlichkeit und Authentizität den Wählerinnen und Wählern gegenüber – und auf eine direkte Ansprache. Der Soziologe und Leiter eines Forschungsprojekts zu neuen Formen der politischen Sprache, Julian Müller, sagte dem "Bayerischen Rundfunk", dass allein die Form der Ansprache "wahnsinnig interessant" sei: das Video.

Er sagt:

Weil das, was er hier behauptet, "in your face" gesprochen zu haben, das tut er mit uns auch. Robert Habeck spricht auch "in your face" zu uns. Und ich glaube, das ist eine ganz neue Art einer medialen Situation von politischer Rede, dass wir so angesprochen werden.

Habeck gebe das Bild eines Live-Berichterstatters, eines Journalisten ab. Denn direkt im ersten Satz sagt Habeck: "Ich bin jetzt hier in Doha".

Doch die offene Ehrlichkeit Habecks war nicht immer von Vorteil für ihn. Im Mai 2021 hagelte es Kritik, weil er sich offen für Lieferungen von Defensivwaffen an die Ukraine aussprach.

Heute liefert Deutschland zumindest diese Waffen.

Patzer kosten Baerbock
viele Stimmen

Bei Habecks Kollegin Annalena Baerbock waren es bisher weniger die politischen Entscheidungen oder Einstellungen, die öffentlich zur Debatte standen. Es waren Skandale wie zu spät gemeldete Nebeneinkünfte, ein aufgehübschter Lebenslauf, schlampig zitierte Passagen in ihrem Buch und die Nennung des N-Wortes während eines Interviews.

All das machte ihr und ihren Grünen den Wahlkampf 2021 schwer, kostete einige Stimmen. Zwischenzeitlich hatte Baerbocks Partei sogar die Unionsparteien im Stimmenanteil überholt, es sah sogar für ganz kurze Zeit so aus, als könnte Baerbock wirklich Kanzerlin werden.

Baerbocks Parteikollegin und heutige Staatsministerin für Kultur und Medien Claudia Roth sagte über Baerbock in einem Interview mit der "Zeit": "Sie hat Fehler gemacht. Gleichzeitig haben wir alle unterschätzt, dass, wenn eine grüne Frau das höchste Amt im Land anstrebt, von überall Gegenwind kommt. Wirklich von überall!" Sie gab der Kandidatin den Tipp, "zu weinen, wenn die Hotelzimmertür zugeht".

Baerbock kann Krise

Ob sie das gemacht hat, bleibt wohl für immer Baerbocks Geheimnis. Doch etwas hat sich verändert. Sie kann Krise – und das zeigt sie im Moment mehr als deutlich.

Sie ist viel unterwegs, weiß, welche Macht gute Bilder haben, wenn sie etwa mit geflüchteten Kindern aus der Ukraine spricht, ihnen Spielsachen und Süßigkeiten gibt. Noch vor Beginn des Krieges hatte sie sich in eine Kugelsichere Weste geworfen und hat sich ein Lagebild an der ukrainischen Frontlinie an der Grenze zu Russland verschafft.

Sie zeigt Stärke, Mut, Emotionen, Empathie, Entscheidungskraft.

Das hatten ihr wenige zugetraut. Holprige Reden, viele Versprecher, die Skandale – die meist auf Unachtsamkeit beruhten – waren vielen im Gedächtnis geblieben. Dass sie eine junge Frau ist, die erste Frau in Deutschland, die das Auswärtige Amt leitet, hat ihr den Start in einer von Männern dominierten Sphäre nicht gerade erleichtert.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen, r) spricht mit einem aus der Ukraine geflüchteten Mädchen. Die Flüchtlinge waren aus Moldau, einem Nachbarland der Ukraine, ausgeflogen  ...
Annalena Baerbock spricht mit einem aus der Ukraine geflüchteten Mädchen.Bild: dpa / Boris Roessler

Sie spricht sich für eine feministische Außenpolitik aus – und erntet dafür Spott und Häme aus der konservativen und rechten Ecke im Bundestag. Diese Woche noch fand CDU-Chef Friedrich Merz im Bundestag herablassende Worte, als er über den Sonderetat von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr sprach: "Die Ausgaben müssen so wie Sie es hier gesagt haben, Investitionen in die Bundeswehr sein – und für nichts anderes", sagte er. "Sie können von mir aus feministische Außenpolitik machen, feministische Entwicklungshilfepolitik – das können Sie alles machen. Aber nicht mit diesem Etat für die Bundeswehr."

Baerbock konterte schlagfertig, empathisch, menschlich – ohne Versprecher, ohne zittrige Stimme, aber mit Erfahrung:

"Mir bricht es das Herz. Und wissen Sie, warum? Weil ich vor einer Woche bei den Müttern von Srebrenica war und die mir beschrieben haben, wie die Spuren dieses Krieges in ihnen drin sind, und gesagt haben: 'Frau Baerbock, damals wurde nicht gehandelt, Anfang der 90er-Jahre', als sie, als ihre Töchter, als ihre Freundinnen vergewaltigt worden sind, Vergewaltigung als Kriegswaffe nicht anerkannt war, nicht vom Internationalen Strafgerichtshof verfolgt wurde."

Auch für ihre führende Rolle in der diplomatischen Zusammenarbeit der NATO-Staaten sowie der EU-Mitgliedsstaaten wird Baerbock von vielen Seiten gelobt. Sie spricht vor den Vereinten Nationen und fesselt die Abgesandten der 193 Staaten mit ihrer emotionalen Rede: einer Geschichte über ein Baby, das währed des Krieges in der Ukraine in einer U-Bahn-Station geboren wurde.

Diese Geschichte erzählt sie bereits Anfang März, als die UN-Generalversammlung in New York eine Resolution zur Isolierung Russlands berät, in der die Aggression gegen die Ukraine bedauert sowie der sofortige Stopp der Kämpfe und der Rückzug Russlands gefordert werden soll. Deutschland und damit auch Baerbocks Ministerium entwarf die Resolution mit.

Mit der Rekordzahl von 141 Stimmen, bei fünf Gegenstimmen sowie 35 Enthaltungen, hat die Vollversammlung für die Resolution gestimmt. Dieses eindeutige Ergebnis soll, so wird mitunter gesagt, auch Baerbock zuzuschreiben sein.

Und die Außenministerin profitiert davon: Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Allensbach hat sie aus Sicht der Bürgerinnen und Bürger deutlich an Profil gewonnen. 46 Prozent der mehr als 1000 Befragten haben den Eindruck, die Grünen-Politikerin leiste an der Spitze des Auswärtigen Amtes "gute Arbeit". Bei der vorherigen Befragung dazu im Januar hatte es Baerbock nur auf die Hälfte dieses Wertes geschafft.

News Themen der Woche KW04 News Bilder des Tages Annalena Baerbock und Robert Habeck bei der 47. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von B
Kopf an Kopf: Annalena Baerbock und Robert Habeck überraschen momenan sogar viele ihrer Kritiker.Bild: www.imago-images.de / Frederic Kern

Bundestagswahl 2025 im Blick

Nun fallen Barbock und Habeck momentan noch stärker auf, als sie es vermutlich sonst mit ihrer neuen Form der Führung täten. Sie fallen auf, weil ein Dritter im Bunde gar nicht auffällt: Olaf Scholz. Der SPD-Bundekanzler hält sich in der Kommunikation absolut im Schatten, gibt kaum Interviews, reist nicht medienwirksam in Partnerstaaten. Auch eine neue Form der Führung: die anderen glänzen lassen.

Man darf allerdings annehmen, dass die Grünen diese Aufmerksamkeit weiter für sich nutzen werden. Sicherlich denken sie schon jetzt über die Wahl 2025 nach. "Der Traum vom Kanzleramt ist nicht ausgeträumt, nur weil es beim ersten Mal nicht geklappt hat", hatte der ehemalige Bundesgeschäftsführer Michael Kellner in einem "Spiegel"-Interview gesagt. Habeck und Baerbock werden sich dann wieder in Stellung bringen. Wahrscheinlich werden sie wieder beide für das Amt kandidieren wollen.

Ob dann tatsächlich auch beide auf eine erfolgreiche Minister- und Ministerinnenkarriere zurückblicken können, bleibt noch abzuwarten.

Ukraine-Krieg: Eine Museumsleiterin riskiert unter russischer Besatzung ihr Leben

"Es gibt eine kleine Stadt, beinahe vollkommen zerstört. Wissen Sie, was die Russen dort als Erstes aufgebaut haben? Ein wunderschönes Museum." Die Ukrainerin Olesya Milovanova spricht schnell, aber bedacht. Es liegt ihr viel auf dem Herzen.

Zur Story