In den USA haben sie den Einsatz irgendwann nur noch den "längsten Krieg der US-Geschichte" genannt. Am späten Montagabend mitteleuropäischer Zeit ist der 20-jährige Militäreinsatz der USA in Afghanistan endgültig zu Ende gegangen, mit dem Abflug der letzten US-Militärmaschine vom Flughafen der Hauptstadt Kabul. Wenig später übernahmen die radikalislamischen Taliban die Kontrolle über den Airport.
Die Taliban waren das Ziel des Einsatzes gewesen, als er im Herbst 2001 begann. Sein Auslöser waren die Terroranschläge des 11. September 2001 in New York und Washington. Die USA und ihre Nato-Partner waren in Afghanistan einmarschiert, Deutschland hatte von Beginn an Hilfe geleistet. In kurzer Zeit vertrieb das westliche Militärbündnis die Taliban, die dem Terrornetzwerk Al-Kaida Unterschlupf gewährt hatten, von der Macht. Doch danach ist es in großen Teilen Afghanistans zwei Jahrzehnte lang nicht gelungen, Stabilität herzustellen: Die Taliban verloren ihre Macht nie ganz, islamistische Terroranschläge erschütterten das Land regelmäßig.
Was bedeutet der Rückzug der USA aus Afghanistan für ihre Rolle in der Welt? Die Mission in Afghanistan war ein Auftakt für den US-amerikanischen "Krieg gegen den Terror", den das Land ab 2003 fortsetzte mit dem Krieg gegen den Irak und das dortige Regime von Diktator Saddam Hussein. Die USA machten mit diesen Einsätzen deutlich, dass sie sich als eine Art Weltpolizei verstehen – als Staat, der für Ordnung sorgt. Oder genauer gesagt für das, was er unter Ordnung versteht. Eine Großmacht, die ihre Interessen mit großem Einsatz und, wenn nötig, mit militärischer Gewalt verteidigt.
Ist das jetzt vorbei?
US-Präsident Joe Biden sagte in einer Erklärung nach dem Rückzug am Dienstag: "Wir müssen aus unseren Fehlern lernen. Es geht darum, eine Ära großer Militäroperationen zur Umgestaltung anderer Länder zu beenden." Künftige Einsätze müssten klare, erreichbare Ziele haben. Sie müssten sich außerdem "auf das grundlegende nationale Sicherheitsinteresse" der USA konzentrieren.
Rachel Tausendfreund glaubt nicht, dass die USA durch den Rückzug aus Afghanistan an Macht in der Welt verlieren werden. Tausendfreund, politische Analystin und Editorial Director bei der transatlantischen Stiftung German Marshall Fund of the US (GMFUS), sagt gegenüber watson.
Tausendfreund meint, dass die USA die Rolle des Weltpolizisten nicht völlig aufgeben werden. "Ich würde sagen, die Rolle als Polizist schrumpft, die USA versuchen, Aufgaben mit Partnerländern zu teilen." Die USA würden zu einem "realistischeren, vielleicht demütigerem, Garanten der globalen Ordnung und der internationalen Sicherheit".
Josef Braml, USA-Experte, Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission und Autor des Blogs usaexperte.com, sieht deshalb auch deutlich mehr Aufgaben auf Europa und Deutschland zukommen.
Braml meint gegenüber watson zum Abzug der USA und ihrer westlichen Partner aus Afghanistan:
Deutschland und Europa müssten, um ihre Interessen zu verteidigen, "die noch vorhandenen eigenen wirtschaftlichen Machtressourcen einsetzen, um international Gestaltungskraft zurückzugewinnen." Vor allem Deutschland, meint Braml, müsse "seine Außenpolitik auch gegenüber den USA und China sowie seine Europapolitik entscheidend korrigieren." Die nächste Bundesregierung müsse "grundlegende Fragen der Außenpolitik" neu beantworten – und zwar "jenseits der eigenen bundesdeutschen Komfortzone".
(mit Material von AFP und dpa)