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EU-Wiederaufbauplan: So viel Klimaschutz steckt im 1,8-Billionen-Paket

200721 -- BRUSSELS, July 21, 2020 Xinhua -- European Council President Charles Michel R and European Commission President Ursula von der Leyen attend a press conference after a special EU summit in Br ...
Der Deal ist da: Ursula von der Leyen, Präsidentin der Europäischen Kommission, und Charles Michel, Präsident des Europäischen Rats, am Dienstag nach dem Ende des EU-Gipfels. Bild: www.imago-images.de / Xinhua
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"Licht und Schatten": So viel Klimaschutz steckt im 1,8-Billionen-Plan der EU

21.07.2020, 17:4828.09.2020, 12:34
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1,8 Billionen Euro: Auf diese gigantische Summe haben sich die Staats- und Regierungschefs der 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union am Dienstagmorgen geeinigt, auf dem längsten EU-Gipfel aller Zeiten. In diesen 1,8 Billionen stecken einerseits 750 Milliarden Euro für den sogenannten "Recovery Fund", das Programm zur Bewältigung der Coronavirus-Krise (hier haben wir erklärt, was dahinter steckt) – und andererseits der sogenannte "mehrjährige Finanzrahmen" für die EU für die Jahre 2021 bis 2027: Das ist der Plan, in dem grob festgelegt wird, wofür die Europäische Union in den kommenden Jahren Geld ausgeben wird.

Aber was bringt das Paket (dem jetzt noch das Europäische Parlament und die Parlamente der Mitgliedsstaaten zustimmen müssen) für den Klimaschutz? Wir analysieren das – indem wir drei zentrale Fragen beantworten:

  1. Welche Rolle spielt der Klimaschutz in dem Billionen-Plan der EU?
  2. Was werten Wissenschaftler und Klimaschützer positiv an dem EU-Plan?
  3. Was kritisieren Wissenschaftler und Klimaschützer an dem EU-Plan?

Welche Rolle spielt der Klimaschutz in dem Billionen-Plan der EU?

67 Seiten hat das Abschlussdokument des EU-Gipfels zum europäischen Wiederaufbauprogramm in seiner englischen Fassung. Und 29-mal kommt darin alleine das Wort "climate" vor. An mehreren Stellen in der Vereinbarung gehen die Staats- und Regierungschefs darauf ein, wie Geld aus dem Haushalt und dem Wiederaufbauprogramm eingesetzt werden soll, um die EU-Mitgliedsstaaten klimaneutral zu machen.

Eine Festlegung sticht heraus: Mindestens 30 Prozent aller Ausgaben aus dem Recovery Fund und dem Finanzrahmen sollen in Klimaschutz-Maßnahmen gehen. Das ist sogar höher als der Anteil von 25 Prozent, den die Europäische Kommission vorgeschlagen hatte. Die Mitgliedsstaaten haben also ein ehrgeizigeres Ziel formuliert als die Behörde von Ursula von der Leyen.

Konkret bedeutet das: Von den 1,8 Billionen Euro, die für Recovery Fund und Finanzrahmen geplant sind, sollen mindestens 540 Milliarden Euro in Vorhaben wie Gebäudeisolation, öffentlichen Verkehr, Elektrifizierung und erneuerbare Energien investiert werden.

Noch ambitionierter sind – zumindest auf dem Papier – die Pläne für die Agrarpolitik: In diesem Bereich des Finanzrahmens sollen bis 2027 sogar 40 Prozent der Ausgaben in Maßnahmen für besseren Klimaschutz fließen.

Teil des 1,8-Billionen-Euro-Plans ist auch der "Just Transition Fund": Über ihn soll EU-Geld für die Regionen bereitgestellt werden, die der ökologische Umbau der Wirtschaft besonders hart trifft – etwa, weil dort Jobs in CO2-intensiven Industrien wie dem Braunkohleabbau verloren gehen. Für den Just Transition Fund sind insgesamt bis 2027 bis zu 17,5 Milliarden Euro vorgesehen – das ist deutlich weniger als die 40 Milliarden Euro, die die Kommission vorgeschlagen hatte.

Außerdem haben die EU-Mitgliedsstaaten eine weitere Etappe für den ökologischen Umbau der EU festgeschrieben: Noch bis Ende 2020 sollen neue, ehrgeizigere EU-weite Klimaziele vereinbart werden. Darin soll festgeschrieben werden, wie viel Treibhausgasemissionen die EU-Staaten bis 2030 einsparen wollen. Grundsätzlich, auch das steht im Abschlusspapier des EU-Gipfels, sollen alle Ausgaben der Europäischen Union vereinbar mit den Zielen des globalen Pariser Klimaschutzabkommens aus dem Jahr 2015 ein.

Außerdem sollen neue EU-weite Steuern oder Abgaben eingeführt werden. Sie sollen Europa zum einen Einnahmen bescheren, um die Ausgaben für den Recovery Fund gegenzufinanzieren. Zum anderen sollen sie Klima- und Umweltschutz voranbringen. Ab 1. Januar 2021 sollen die Mitgliedsstaaten der EU eine Abgabe auf nicht recyceltes Plastik zahlen. Bis spätestens 2023 soll eine Abgabe auf den Import von CO2-intensiven Produkten aus Nicht-EU-Staaten folgen. Außerdem wird in der Haushaltseinigung ein "überarbeiteter Abgashandel" erwähnt, der möglicherweise auf den Flug- und Schiffsverkehr ausgeweitet werden soll: Die EU-Mitgliedsstaaten wollen sich dafür bei der Kommission einsetzen.

Was gefällt Wissenschaftlern und Klimaschützern an dem EU-Plan?

Das Climate Action Network Europe (CAN Europe), ein Netzwerk aus über 1.500 Klimaschutz-NGOs in Europa, bewertet das Billionen-Paket der EU grundsätzlich positiv: In einer Erklärung des CAN Europe wird vor allem gelobt, dass der Klimaschutzanteil bei den Ausgaben auf 30 Prozent gestiegen ist. Das sei eine "Win-win-Situation" für alle EU-Mitgliedsstaaten, heißt es.

Auch aus Deutschland kommt Zustimmung – vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig. Reimund Schwarze, Klimaöknom am UFZ, erklärt gegenüber watson: "Das Ergebnis kann sich sehen lassen." Schwarze weiter: "Ich glaube, die Bilder dieses Morgens werden, wie die Bilder zum Abschluss des Übereinkommens von Paris, in die Fotogalerie der Geschichte eingehen."

Schwarze lobt insbesondere den "Just Transition Fund", die Investitionen in den umweltfreundlichen Umbau der Landwirtschaft. Er sieht auch einen "indirekten Nutzen" für den Klimaschutz darin, dass der EU in Zukunft insgesamt mehr Geld zur Verfügung steht. Dadurch, dass die EU mit dem 1,8-Billionen-Paket das Vertrauen in die Finanzmärkte gestützt habe, habe sie dazu beigetragen, eine Finanzkrise abzuwenden. Und nur ohne Finanzkrise könne in den kommenden Jahren genug privates Kapital verfügbar sein, um den ökologischen Umbau der Wirtschaft mitzufinanzieren.

Brigitte Knopf, Generalsekretärin des Klimaforschungsinstituts Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) spricht gegenüber watson von "Licht und Schatten": Zum einen sei die Klimaschutz-Quote von 30 Prozent der 1,8 Billionen Euro "mehr, als im Vorfeld manche zu hoffen gewagt haben". Es sei andererseits aber "weniger, als für den Umbau der Wirtschaft in Richtung der für 2050 angekündigten Klimaneutralität benötigt wird".

Und vollends kritisch sehen den EU-Plan die Klimaschutz-Aktivisten von Fridays for Future Deutschland.

Was kritisieren Wissenschaftler und Klimaschützer an dem EU-Plan?

Während Wissenschaftler und andere Klimaschützer auch Lob für den EU-Plan übrig haben, ist das Urteil von Fridays for Future (FFF) Deutschland vernichtend.

Die Kritik der deutschen FFF-Aktivisten zielt erstens auf den Just Transition Fund, den die Mitgliedsstaaten – wie oben erklärt – von 40 auf 17,5 Milliarden Euro zusammengekürzt haben. Diese Kritik äußern auch das NGO-Netzwerk CAN Europe – und MCC-Generalsekretärin Brigitte Knopf.

Luisa Neubauer, das bekannteste Gesicht von FFF Deutschland, arbeitet sich ebenfalls am Just Transition Fund ab:

Zweitens kritisiert FFF Deutschland etwas, das aus Sicht der Organisation in dem Plan fehlt: nämlich eine eindeutige Festlegung darauf, dass das Verbrennen von fossilen Brennstoffen zur Energiegewinnung nicht mehr subventioniert – also mit Steuergeld unterstützt – werden soll. Auch diesen Kritikpunkt teilt CAN Europe. Markus Trilling, Koordinator für Finanzpolitik, appelliert deshalb an die nationalen Regierungen in der EU: "Die Staats- und Regierungschefs müssen jetzt das volle Potenzial des EU-Gelds für eine deutlich ambitioniertere Klimaschutzpolitik nutzen und die Förderung fossiler Brennstoffe ausschließen."

Der letzte Kritikpunkt ("Paris so unerreichbar") von FFF ist in Wahrheit eine Wertung. In dem EU-Plan ist eigentlich mehrfach die Rede davon, dass die Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens erreicht werden sollen.

Einen dritten Kritikpunkt in Sachen Klimaschutz bringt Barbara Mariani gegenüber watson vor, Senior Policy Officer am Europäischen Umweltbüro (EEB), einer Umweltschutz-NGO mit Sitz in Brüssel. Laut Mariani sind die Klimaschutz-Vorgaben im Billionenpaket der EU schlichtweg zu wenig genau. Mariani fordert "bindende Klimaschutzziele" in den einzelnen EU-Staaten – und "einen klaren Zeitplan", um aus der Nutzung fossiler Brennstoffe auszusteigen.

Kritikpunkt Nummer vier betrifft das EU-Geld für europäische Bauern – das seit Jahrzehnten einen gigantischen Batzen des gesamten EU-Haushalts ausmacht. Bérenice Dupeux, beim EEB für Agrarpolitik zuständig, kritisiert, dass die Direktzahlungen an Bauern bestehen bleiben – ohne, dass es klar messbare Klimaziele gebe.
Dupeux befürchtet: Das Ziel von 40 Prozent Klimaschutzausgaben für die Landwirtschaft könne jetzt nur durch intensives "Greenwashing" erreicht werden – also durhc symbolhafte Maßnahmen, die am Ende keinen echten Fortschritt beim Klimaschutz bringen.

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