Als vor sechs Jahren 300.000 Menschen in Deutschland für mehr Klimaschutz auf die Straße gingen, war klar: diese ach so unpolitische Jugend, hat mal eben eine der größten Streikbewegungen der Geschichte ausgelöst. Der Diskurs rund um Klimaschutz wurde komplett aufgewirbelt.
Mittlerweile sieht die Lage gänzlich anders aus: Beim letzten globalen Klimastreik waren in Deutschland gerade einmal 75.000 Menschen auf der Straße. Zu groß wirken andere Herausforderungen dieser Zeit.
Für "Fridays for Future" stellt sich nun die Frage, wie sie wieder Massen mobilisieren kann, um die zukünftige Regierung zu mehr Klimaschutz zu treiben. Sie haben Donnerstagvormittag ihre Kampagne zur Bundestagswahl 2025 vorgestellt: "Wir bringen die Ehrlichkeit in diesen Wahlkampf, wo die Parteien die Realität verweigern".
Unter dem Motto "Recht auf Zukunft" stellten die Aktivist:innen Luisa Neubauer (28 Jahre), Carla Reemtsma (26), Pit Terjung (19) und Frieda Egeling (15) den Forderungskatalog der Bewegung vor. Eine lebenswerte und klimagerechtere Zukunft möchten sie in diesem Wahlkampf erwirken.
Sie wirken sauer. Zu wenig hätte man ihnen zugehört. Zu viel müsse nach Versäumnissen der letzten Regierungen aufgeholt werden. Auch Reemtsma erhebt schwere Vorwürfe: Alle Wahlprogramme seien im Kontext der "apokalyptischen" Bilder des Brands in Kalifornien "eine klimapolitische Realitätsverweigerung".
Aus dieser Dringlichkeit ergibt sich folgender Appell in ihrem Forderungspapier:
In ihren Forderungen listen sie auf, wie der Klimawandel eingedämmt werden kann. Klimaneutralität bis 2035 müsse erreicht werden und auch der Gasausstieg soll bis dahin geschafft sein. Eine Mobilitäts- und Wärmegarantie soll her – der Staat soll einspringen, für wen es zu teuer sein sollte, klimaneutral zu leben.
Auch ein Fonds brauche es für den Schutz vor den schlimmsten Folgen der Klimakrise in Deutschland. Zusätzlich sollen 300.000 Menschen jährlich in "Zukunftsindustrien" ausgebildet werden. Der vielleicht überraschendste Punkt ihrer Programmatik:
Finanziert werden soll das ambitionierte Programm von einer Superreichensteuer. Frieda Egeling sagt gegenüber watson:
Eine Wahlempfehlung will die Jugendbewegung nicht geben. "Wir wollen in der Demokratie nicht vorschreiben, wen man zu wählen hat", erklärt die 15-jährige Schülerin.
Einen Tipp zur Wahl hat sie trotzdem, auch wenn sie selbst noch nicht wählen darf: "Es ist wichtig zu schauen, welche Partei einen selbst am ehesten vertritt, welche Partei in den Grundsätzen und Werten übereinstimmt. Ich schaue da zum Beispiel ganz genau darauf, was die Parteien machen, um unsere Zukunft und Lebensgrundlagen zu schützen – ob sie ehrlich sind in Sachen Klimakrise und ausreichende Maßnahmen auf den Tisch legen."
Carla Reemtsma unterstreicht gegenüber watson zudem, dass aktuell alle Parteien in Sachen Klimaschutz mehr liefern müssten. Und das will Fridays for Future im kommenden Wahlkampf verdeutlichen. "Dafür planen wir auch Proteste, die klarmachen, wo rote Linien im Klimabereich liegen," kündigt sie an.
Eine solche rote Linie war die Abbagerung des nordrhein-westfälischen Dorfs Lützerath. Weichen musste es, damit der Energiekonzern RWE die Kohle darunter abbauen konnte. Sogar Greta Thunberg, die weltbekannte Initiatorin von "Fridays for Future" war angereist, um den Abbau zu verhindern. Ohne Erfolg. Thunberg wurde von der Polizei abgeführt und Lützerath von Baggern beseitigt.
"Lützerath war ein großer Vertrauensbruch mit den Grünen", gibt Reemtsma zu. Denn die grünen Minister:innen Mona Neubaur (Ministerin für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie in Nordrhein-Westfalen) und Robert Habeck (als Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz zuständig) hatten mit RWE den Deal ausgehandelt.
Was das Verhältnis noch angeknackster mache, sei die kürzliche Infragestellung des Kohleausstiegs 2030 durch Robert Habeck, jetzt Kanzlerkandidat der Grünen. Denn sein Versprechen gegenüber der Klimabewegung war, Lützerath abzubaggern, dafür aber den Kohleausstieg 2030 einzuhalten.
Reemtsma sei sehr wohl bewusst, dass Kompromisse zur Politik dazu gehören und findet auch versöhnliche Worte für die selbsternannte "Klima-Partei": "Dass die Ampel Kompromisse im Klimabereich machen musste, liegt weniger an den Grünen, sondern ist die Schuld der anderen Parteien, die nicht gewillt sind, Klimaschutz zu machen. Sie zerstören am Ende lieber unsere Lebensgrundlagen, als politische Maßnahmen umzusetzen."
Auch nach Pit Terjung habe die Ampel "Klimaschutz als ein Klientelthema der Grünen und nicht als eine gemeinsame Herausforderung" begriffen. Sie habe "auf epochale Veränderungen der Klimakrise mit ein bisschen kosmetischem Klein-Klein reagiert", erklärt er gegenüber watson.
Die Ampel "ist im Klimabereich gescheitert", attestiert Carla Reemtsma.
Immer wieder geht es während der Kampagnenvorstellung darum, die Hoffnung der jungen Menschen aufleben zu lassen. Luisa Neubauer rechnet mit der aktuellen Politik ab:
Die Demokratieproteste im Frühjahr 2024 wurden maßgeblich von der Bewegung organisiert und auch die Kampagne "#ReclaimTikTok". Bei Gegenprotesten gegen AfD-Parteitage ist die Klimabewegung stets präsent.
Und trotzdem der alleinige Fokus auf das Klima? Neubauer erklärt: "Wir stehen klimapolitisch vor Verantwortungsverweigerung, Verlogenheiten und Polemiken, dass wir uns immer mehr gefordert sehen, auf Klimafragen einzugehen. Weil es sonst einfach niemand tut".
Terjung ergänzt eine Warnung: "Wenn man sich nur noch an der AfD und ihren Themen abarbeitet, spielt ihr das in die Hände. Denn die Aufmerksamkeit ist das Lebensexilir des Rechten."
Ob es Fridays for Future gelingen wird, an vergangene Erfolge anzuknüpfen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen.