Zwei Wintersemester lang war die Lehre für Studierende nur unter Auflagen möglich – online beispielsweise, in den eigenen vier Wänden. Hörsäle und Bibliotheken konnten zum Teil nicht betreten werden. Der Grund: Corona. Nun steht Deutschland vor einer neuen Herausforderung: die Energiekrise.
Steigende Preise für Strom und Gas treffen natürlich auch die Universitäten. Hohe Decken, große Hörsäle: Das Heizen der Gebäude ist teuer. Die TU Berlin hat angekündigt, aus diesem Grund das Audimax zu schließen.
Stehen erneut Schließungen bevor? Kommt auf die Studierenden ein weiterer Online-Herbst zu?
"Die steigenden Energiekosten sind für die HU mit ihren vielen Altbauten eine große Herausforderung", erklärt die Sprecherin der Humboldt-Universität Berlin. Um Energie zu sparen, werde die Temperatur auf 19 Grad herunterreguliert und die Flurbeleuchtung reduziert. Die Sprecherin stellt klar: "Die Präsenzlehre behält aber für die Humboldt-Universität eine hohe Priorität."
Was die Sprecherin nicht ausschließt: Dass es bei manchen Gebäudeteilen zu einer Einschränkung der Nutzung kommen kann. Eine Taskforce entwickele aktuell einen Stufenplan – und auch die pandemische Entwicklung werde dabei berücksichtigt. Die Uni hoffe außerdem auf konkrete Zusagen vom Land und vom Bund, die Mehrausgaben mitzufinanzieren – anders seien die Kosten nicht zu stemmen.
Ähnlich sieht es an der Ludwig-Maximilians-Universität in München aus. Sie ist eine der größten Unis in Deutschland – und auch hier ist die Sorge vor hohen Kosten groß. Eine Sprecherin erklärt auf watson-Anfrage: "Wie gravierend die Mehrkosten im Bereich der Energieversorgung ausfallen werden, können wir momentan noch nicht sagen."
Eine wichtige Rolle beim Thema Energiesparen wird auch in München die Absenkung der Raumtemperatur auf maximal 19 Grad spielen. So unsicher die Situation sei, so sehr sei die Uni bemüht, Präsenzunterricht beizubehalten.
Auch die Studierenden in Dresden dürfen aufatmen: Die Technische Uni hat der Aufrechterhaltung der Präsenzlehre die oberste Priorität eingeräumt. Das erklärt eine Sprecherin gegenüber watson. Sie fügt an: "Das schließt natürlich nicht aus, dass digitale Lehrformate, die sich in der Coronapandemie bewährt und etabliert haben, auch weiterhin angeboten werden."
Ein Glücksfall der TU: Da die Gebäude dem Freistaat Sachsen gehören, sind die Energiepreise Teil des sächsischen Landeshaushaltes.
Die Sprecherin sagt außerdem:
Für die Unis ist die Sache also klar: Solange es möglich ist und sie Unterstützung in puncto Finanzierung bekommen, so lange sollen die Hörsäle, Seminarräume und Bibliotheken geöffnet bleiben. Diese Unterstützung durch die Bundesländer ist eine politische Entscheidung. Auf Anfrage von watson haben die bildungspolitischen Sprecher:innen der Parteien die Situation bewertet.
Der bildungspolitische Sprecher der SPD, Oliver Kaczmarek, kann die Sorgen der Studierenden vor einem weiteren Krisen-Winter gut nachvollziehen. Für Kaczmarek steht fest:
Durch das Entlastungspaket habe die Regierung auch an die Studierenden gedacht: Bafög-Empfänger:innen haben einen Heizkostenzuschuss erhalten. Es sei auch ein zweiter geplant.
Im Jahr 2021 haben 468.000 Studierende in Deutschland Bafög bezogen – insgesamt gab es im Wintersemester 2021/22 laut dem Bundesamt für Statistik 2.947.500 Studierende in Deutschland. Gefördert und entlastet wird also nur ein Bruchteil der Menschen.
Kaczmarek fährt fort: "Studierenden mit Mini- oder Nebenjob wird die Energiepreispauschale von 200 Euro ausgezahlt." Nun gehe es aber darum, das Problem an der Wurzel zu packen. Das heißt: Energiepreise senken, um alle Bürger:innen zu entlasten.
Ähnlich blickt Kai Gehring von den Grünen auf die aktuellen Herausforderungen. Der Vorsitzende des Bildungsausschusses sagt:
Angesichts der steigenden Kosten sei es gut, dass die Studierenden bei staatlicher Unterstützung mitbedacht werden. Und auch die Bafög-Reform aus dem Sommer werde dabei helfen, Studierende zu entlasten, meint Gehring. Der nächste Schritt müsse nun eine Studienstarthilfe sein: Kinder aus Familien, die Arbeitslosengeld-II beziehen, sollen so unterstützt werden. Konkret geht es um die Finanzierung einer Erstausstattung fürs Studium.
Für die FDP-Politikerin Ria Schröder ist klar: Die Länder müssen die Universitäten unterstützen, damit diese trotz hoher Energiekosten das Präsenzstudium anbieten können. Die bildungspolitische Sprecherin ihrer Partei sagt: "Hörsäle und Bibliotheken müssen raus aus der Lockdown-Spirale."
Der Bund habe dafür gesorgt, dass Schulen und Hochschulen als geschützte Kundinnen gelten. Das bedeutet: Im Fall einer Gasmangellage werden sie priorisiert. Eine Umstellung auf die digitale Lehre, um Kosten zu sparen, würde das Problem auf die Studierenden ablegen, meint Schröder.
Sie führt aus:
Online-Lehre und hybride Angebote sollten kein Notnagel sein, sondern nur dann genutzt werden, wenn sie didaktisch sinnvoll sind. Schröder stellt klar:
Neben den Heizkostenzuschüssen und der Einmalzahlung könne den Studierenden auch die Bafög-Änderungen über den Winter helfen. Der Kreis derer, die für die Unterstützung berechtigt sind, wurde vergrößert.
Trotz Bafög-Reform und Einmalzahlungen ist für die Linken-Politikerin Nicole Gohlke klar: "Die Bundesregierung hat bisher viel zu wenig für Studierende getan." Ein Drittel der Nachwuchs-Akademiker:innen habe bereits vor der Inflation unter der Armutsschwelle gelebt.
Die bildungspolitische Sprecherin führt aus:
Die Linken-Politikerin warnt davor, Onlineveranstaltungen als Allheilmittel zu sehen. Solange es die Coronalage erlaube, müsse den Studierenden Präsenzunterricht zugestanden werden. Gohlke nimmt die Regierung in die Pflicht, alles dafür zu tun, dass der dritte Krisenwinter nicht "auf dem Rücken des Bildungssystems ausgetragen wird".
Insgesamt, so macht es den Eindruck, sind sich also Politik und Universitäten einig: So lange wie möglich sollten die Studierenden die Möglichkeit bekommen, ein normales Semester zu erleben.