Am Mittwoch wird in einer Konferenz der Landeschefs und der Bundesregierung darüber entschieden, ob die Corona-Maßnahmen gelockert werden und wenn ja, wie. Oder ob die Einschränkungen länger gelten werden als bisher geplant, so wie es einige Forscher der Helmholtz-Gesellschaft fordern.
Auch die Landeschefs sind sich nicht einig über den genauen Ablauf einer Exit-Strategie. Am Dienstag hatte der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) Lockerungen der Corona-Maßnahmen in Berlin erst ab dem 27. April oder 1. Mai in Aussicht gestellt.
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hingegen hat die Bevölkerung am vergangenen Sonntag in seiner Osteransprache im WDR auf "viele kleine, vorsichtige Schritte" vorbereitet, um die Einschränkungen in der Corona-Krise zu lockern.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder warnte gleichzeitig vor einem Überbietungswettbewerb bei der Verlängerung der Corona-Maßnahmen.
Fazit: Noch steht gar nichts fest. Es wird spannend, was am Mittwoch bei der Konferenz der Landeschefs und der Bundesregierung herauskommt.
Auch unter Experten ist durchaus umstritten, wann und wie zur Normalität zurückgekehrt werden soll.
Den Forschern der Leopoldina Akademie der Wissenschaften gehört das Ohr der Kanzlerin. Ihre Einschätzung hat sie als "sehr wichtig" bezeichnet. Wenn sie ihrer Empfehlung folgt, wird es eine schrittweise Lockerung der Maßnahmen geben und das vermutlich sehr bald. Schulen sollen den Forschern zufolge "sobald wie irgend möglich" wieder geöffnet werden. Sie empfiehlt aber, zunächst nur ältere Kinder wieder in die Schulen zu lassen, da sie sich an Hygiene-Regeln besser halten könnten.
"Da kleinere Kinder sich nicht an die Distanzregeln und Schutzmaßnahmen halten können, gleichzeitig aber die Infektion weitergeben können, sollte der Betrieb in Kindertagesstätten nur sehr eingeschränkt wiederaufgenommen werden." Die Leopoldina empfiehlt daher, dass Kindertagesstätten "bis zu den Sommerferien" nur einen Notbetrieb anbieten.
Ansonsten solle das wirtschaftliche Leben in vielen Bereichen wieder normalisiert werden. Einzelhandel und Gaststätten könnten wieder öffnen, auch "der allgemeine geschäftliche und behördliche Publikumsverkehr" wieder aufgenommen werden. Allerdings fordert die Leopoldina eine Maskenpflicht beispielsweise bei Bus- und Bahnreisen. "Jeder Bürger sollte so ein Ding künftig bei sich tragen und, wo immer der Mindestabstand nicht eingehalten wird, auch anziehen"
Viele Experten fordern den Einsatz einer App, um die Bewegungen der Bundesbürger sowie mögliche Ansteckungen von Infizierten nachvollziehen zu können. Auch die Leopoldina Akademie empfiehlt das.
Genutzt werden sollen ähnlich wie in Südkorea "freiwillig bereitgestellte GPS-Daten in Kombination mit Contact-Tracing", also dem Austausch zwischen den Smartphones mithilfe der Bluetooth-Technik. Leopoldina-Präsident Gerald Haug ist sich bewusst, dass vor allem das Speichern von GPS-Daten rechtlich problematisch ist. "Deshalb darf die Nutzung der Apps auch nur freiwillig geschehen, und die Daten müssen nach vier Wochen wieder gelöscht werden", sagte er dem "Spiegel".
RKI-Chef Lothar Wieler bestätigte am Dienstagmorgen, dass die Maßnahmen wirken: „Bei den Covid-19-Zahlen gibt es einige positive Tendenzen. Die getroffenen Maßnahmen wirken.“ Zwar könne man noch nicht von einer Eindämmung sprechen, aber „wir sehen eine Verlangsamung“, so Wieler.
Dass die Einschränkungen wirken bedeutet jedoch nicht, dass sie zurückgefahren werden können. Wieler, der auch die Bundesregierung in der Corona-Krise berät, hält sich zurück mit Meinungsäußerungen zum Zeitpunkt des Beginns einer möglichen Exit-Strategie.
"Diese Pandemie gab es so noch nicht", sagte Wieler. "Aber im Großen und Ganzen enthält die Leopoldina-Stellungnahme die Maßnahmen, die man sich überlegen kann". Entscheiden müsse aber die Politik. Die Bevölkerung solle nach wie vor die Abstandsregeln einhalten und auf Hygiene achten.
Zu einer Rückkehr zum Schulunterricht sagte er: "Wir denken, dass es epidemiologisch Sinn macht, zuerst die Älteren wieder zur Schule zu schicken. Wir denken, dass die älteren Schüler die Abstandsregeln besser einhalten könnten.“ Wann das allerdings sein soll, sagt er nicht.
Viele Vorschläge für eine Exit-Strategie sehen vor, die sogenannte Risikogruppe, ältere Menschen und chronisch Kranke abzuschotten, um sie zu schützen. Nur so sei eine Lockerung auch ethisch vertretbar. Wie schwierig es jedoch ist, ältere Menschen systematisch abzuschotten, zeigt der Fall eines Pflegeheims in Rümpel bei Bad Oldesloe in Schleswig-Holstein.
53 von 69 Bewohnern wurden dort positiv auf Corona getestet. Von den 60 Mitarbeitern aus dem Alten- und Pflegeheim liegen bislang 19 positive Testergebnisse vor. Man rechnet mit weiteren positiven Ergebnissen bei Mitarbeitern und Bewohnern. Und das alles trotz der aktuellen Ausgangsbeschränkung. Wie soll das werden, wenn die Maßnahmen gelockert werden?
Wissenschaftler der Helmholtz-Gesellschaft schlagen vor, die aktuellen Einschränkungen um ungefähr drei weitere Wochen zu verlängern. Begründet wird das mit der hohen Akzeptanz der Maßnahmen. Diese hätten ihnen zufolge "eine hohe Aufmerksamkeit für das Problem und ein hohes Maß an Solidarität erzeugt."
Sollten die Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen jetzt zurückgefahren und später wieder eingeführt werden, wäre es schwerer, sie durchzusetzen. "Eine spätere Wiederaufnahme der Maßnahmen wäre der Bevölkerung wahrscheinlich schwerer zu vermitteln als eine Fortführung heute", so das Fazit der Forscher.
Welche Meinung sich durchsetzt oder ob es auf eine Mischung aus verschiedenen Empfehlungen hinausläuft, entscheidet sich am Mittwoch. Denn das letzte Wort haben die Politiker.