Sie war angetreten, um die Regierung anzuführen: Annalena Baerbock, die Kanzlerinnenkandidatin der Grünen. Gereicht hat das Wahlergebnis für diesen Anspruch aber bei Weitem nicht. Auch wenn es das beste Ergebnis ist, dass die Partei seit ihrer Gründung erreicht hat: Es ist eine Enttäuschung für die Partei. Ende 2020 und Anfang 2021 war die Partei in Umfragen bei Werten um die 20 Prozent gelegen, auf Platz zwei hinter CDU und CSU. Deswegen hatten die Grünen auch erstmals eine Kandidatin für das Kanzleramt aufgestellt. In den Tagen nach Baerbocks Nominierung waren die Werte sogar weiter nach oben geschossen, auf Werte nahe 30 Prozent.
Klar ist trotzdem, dass es aller Voraussicht nach ohne Grüne keine Regierung geben wird. Denn eine weitere große Koalition zwischen SPD und Union will keine der beiden Parteien wirklich. Sie wäre wohl nur eine Notlösung, falls andere mögliche Bündnisse platzen. Die Aussicht auf eine grüne Regierungsbeteiligung hat bei der Partei offenbar erste ernste Diskussionen darüber befeuert, wer welche Posten bekommt.
"Grüne wollen Habeck als Vizekanzler", titelte die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" am Montag und brachte damit die Gerüchteküche zum Brodeln. "Mehrere Quellen" hätten bestätigt, dass Baerbocks Co-Parteivorsitzender Robert Habeck den prominentesten Posten in der neuen Regierung bekommen soll – und zwar, weil Baerbock "ihre Chance gehabt" habe und man jetzt Konsequenzen ziehen müsse.
Mit dieser Meldung entbrennt die Personaldebatte bei den Grünen endgültig, die bereits am Montagmittag in der Bundespressekonferenz angeklungen war. Dort erklärte Habeck, dass die Vorsitzenden der Grünen – also er und Baerbock – die Personalfragen bereits geklärt hätten und die Sondierungen gemeinschaftlich führen würden.
Kein Wunder also, dass der frühere Grünen-Fraktionschef und ehemalige Bundesumweltminister Jürgen Trittin in einem Gespräch mit dem "Spiegel" die angebliche Postenverteilung innerhalb der Partei kritisiert. Er stellte klar, dass zunächst Koalitions- und Regierungsfragen geklärt werden müssten. Darüber hinaus könnten nicht zwei Personen in persönlichen Gesprächen über Posten entscheiden – sondern nur die Partei als Ganze.
Grünen-Chef Habeck sagt am Dienstag zu der Frage bei Phoenix:
Die Partei entscheide über Personalfragen entweder auf einem Parteitag oder per Mitgliederbefragung, fasst es Habeck zusammen. Auch am Wahlabend habe sich gezeigt, dass die Grünen "zu 120 Prozent" hinter Baerbock im Bundesvorstand und auch persönlich stünden.
Baerbock und Habeck wirkten auch am Montag nach der Wahl in der Bundespressekonferenz nicht zerstritten – nur müde und gelöst. Der Wahlkampf ist vorbei, die Stimmen ausgezählt. Das vorläufige Endergebnis: 14,8 Prozent für die Grünen.
Spekulationen gab es in der Bundespressekonferenz auch bezüglich erster Sondierungsvorgespräche mit der FDP. Wie bei der Frage nach der Besetzung des Postens des Vizekanzlers wichen die Parteivorsitzenden auch dort aus. Habeck nannte allerdings die roten Linien bei den Verhandlungen: also jene Forderungen der Partei, die sie auf jeden Fall in einem Koalitionsvertrag sehen will. Im Fall der Grünen sei es nur eine Linie: eine klimagerechte Zukunft schaffen.
Britta Haßelmann, die erste parlamentarische Geschäftsführerin der Grünen, bestätigte am Dienstag gegenüber Phoenix immerhin schon Vorsondierungen zwischen FDP und Grünen. Wann genau diese stattfinden sollen, wisse sie allerdings nicht. Die Gemeinsamkeiten und Schnittmengen abzuklopfen sei aus ihrer Sicht sinnvoll. Auch mit der SPD solle gesprochen werden – und "möglicherweise" auch mit der Union.
Klar zu verhindern sei die Neuauflage einer Groko, zumindest wenn es nach Grünen-Chef Robert Habeck geht. Er sieht eine neue Zeitrechnung in Deutschland gekommen. "Die FDP und die Grünen verbindet eine geübte Gegnerschaft", sagt er einerseits. Und andererseits: "Aber eine große Koalition ist keine Option." Auch Annalena Baerbock liest das Votum der Bürgerinnen und Bürger als gesellschaftlichen Auftrag an die Grünen.
Auf watson-Nachfrage, ob ihre Partei sich nun als sogenannte Königsmacherin sehe, antwortet Baerbock:
Wie genau am Ende die Koalition aussehen wird, wer von den Grünen welchen Posten besetzt, das werden die Sondierungsgespräche der kommenden Wochen zeigen. Nach außen bilden die Grünen weiterhin eine Einheit, auch wenn ihr Wahlergebnis schlechter ausgefallen ist, als sie es sich gewünscht haben.