Thüringen hat gewählt. Die ARD sieht in ihrer Hochrechnung (19:57 Uhr) die Linkspartei (30,6 Prozent) als klaren Sieger. Die CDU (22,1 Prozent) hat starke Verluste hinnehmen müssen, die AfD (23,6 Prozent) deutlich zugelegt. Die SPD (8,6 Prozent) rutscht weiter ab, Grüne und FDP (beide 5 Prozent) müssen um den Einzug in den Landtag zittern.
Es galt bisher als eine Art ungeschriebenes Gesetz: Eine hohe Wahlbeteiligung ist das beste Mittel gegen ein Erstarken der Ränder, gegen extreme Parteien. Von dieser Gewissheit muss man sich wohl spätestens jetzt verabschieden.
Die Wahlbeteiligung in Thüringen war für eine Landtagswahl entsprechend hoch, lag bei über 60 Prozent. Bereits bei den Landtagswahlen in Sachsen und Brandenburg konnte die AfD vor allem Nichtwähler mobilisieren und von einer wachsenden Wahlbeteiligung profitieren.
Bei den Wahlerfolgen von Andreas Kalbitz in Brandenburg und Jörg Urban in Sachsen konnten AfD-Wähler noch sagen, gut, so richtig wussten wir ja gar nicht, wen wir da gewählt haben. Diese Rechtfertigung fällt in Thüringen mit dem AfD-Spitzenkandidaten und Rechtsaußenmann Björn Höcke weg. Denn dessen Weltbild und Thesen sind bekannt. Dass dieser Mann für ein komplett anderes Bild von Land und Gesellschaft steht, für einen völkischen Nationalismus – das alles wurde rauf und runter kommuniziert.
So darf man den AfD-Wählern und -Wählerinnen in Thüringen unterstellen, dass sie ganz bewusst in Kauf nehmen, einen Mann zu wählen, der nicht viel von der parlamentarischen Demokratie hält. Und dass ein offen nationalistischer Kandidat beinahe eine Wahl in Deutschland gewinnt, hat eine neue Qualität.
Für eine "starke Mitte" warb die CDU im Thüringer Wahlkampf. Spitzenkandidat Mike Mohring wollte mit diesem Slogan Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow ablösen. Doch ein "Aufbruch2019" ist den Konservativen nicht geglückt.
Die Ausgangslage war auch denkbar knifflig. Mohring erteilte der AfD eine klare Absage (nachdem er Berichten zufolge 2014 noch mit einem Bündnis mit der AfD geflirtet hatte), schoss aber auch immer wieder scharf gegen die rot-rot-grüne Regierung. Derart eingeklemmt zwischen den Rechtsaußen der AfD und den linken Parteien geriet die "Mitte" für die CDU eher spärlich. 2014 holte die Partei noch 33,5 Prozent. So muss man sagen: Die CDU ist einer der Verlierer dieser Wahl.
Die Linkspartei hat mit zunehmender Regierungsbeteiligung in ostdeutschen Bundesländern an Protestpotenzial eingebüßt. Das schöpft mittlerweile die AfD ab. Die Sonderstellung, die die AfD im Vergleich zum Bund im Osten einnimmt, war bisher der Linkspartei vorbehalten. Sie wollte nach der Wiedervereinigung vor allem der Anwalt des Ostens sein. Die PDS und spätere Linkspartei konnte den Protest lange kanalisieren. Das "Wir gegen die da"-Spiel hat auch die Linkspartei über Jahrzehnte kultiviert.
Viele Protestwähler aber haben in der AfD offenbar eine neue Heimat gefunden. Das konnte man bereits bei den Wahlen in Sachsen und Brandenburg beobachten.
Dass die Linke die Protestkarte in Thüringen nicht gespielt hat, hatte auch mit Glaubwürdigkeit zu tun. Denn immerhin ist ihr Spitzenmann Bodo Ramelow Ministerpräsident des Landes. "Ramelow ist kein gewöhnlicher Linker. Er ist jemand, der sehr viel dafür tut, nicht als normaler linker Politiker zu erscheinen. Das ist sein Erfolgsrezept", sagte der renommierte Parteienforscher Oskar Niedermayer bereits vor der Wahl im Gespräch mit watson.
In Thüringen setzte die Linke folglich weniger auf Protest, sondern auf Amt und Ramelow. Offenbar mit Erfolg.
Während die Grünen vor allem im Westen mittlerweile mit den Volksparteien konkurrieren, gilt der Osten traditionell als schwieriges Terrain. Das hatte sich schon in Brandenburg und Sachsen gezeigt. Und nun auch in Thüringen. Mit ihren Kernthemen wie Klimawandel, Energiewende oder Nachhaltigkeit konnten die Grünen dort nicht punkten. In Thüringen wurden die Grünen offenbar vor allem als Verbotspartei wahrgenommen.
Nicht in Sachsen, nicht in Brandenburg und auch nicht in Thüringen. Bereits in Sachsen als auch in Brandenburg scheitert sie an der Fünfprozenthürde und auch in Thüringen wird es knapp. Sollte die FDP allerdings noch in den Landtag einziehen, dann wäre sie mal wieder so etwas wie das Zünglein an der Waage. Denn: Egal ob Teil einer Viererkoalition oder als Stimmenzulieferer in einer Minderheitenregierung, ohne die FDP keine Mehrheit.
Die SPD fällt weiter. Auch, weil sie vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Einen Tag vor der Wahl in Thüringen sollte eigentlich das neue Spitzenduo feststehen. Doch wer die SPD aus dem gesamtdeutschen Umfragetief ziehen darf, bleibt weiter ungewiss.
Beim Mitgliederentscheid gab es kein klares Votum für ein Spitzenduo. In einer Stichwahl treten nun die GroKo-Befürworter Olaf Scholz und Klara Geywitz gegen die GroKo-Skeptiker Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken an. Diese Stichwahl wird eine Richtungsentscheidung für die Sozialdemokraten.
Für Thüringen und für eine klare Linie blieb da wenig Zeit. Da half es auch nicht, dass die SPD mit Wirtschaftsminister Wolfgang Tiefensee (hinter Ramelow) den zweitbeliebtesten Politiker des Bundeslandes stellte.
(ll/ts)