Die Proteste im Iran für Freiheit und Selbstbestimmung dauern an, das Regime reagiert darauf mit Gewalt. Oppositionelle verschwinden, Protestierende werden auf der Straße zusammengeschlagen oder mit Waffen bedroht. Es brodelt.
In Deutschland werden unterdessen immer wieder Stimmen laut, in Anbetracht der Proteste Gespräche mit dem Iran abzubrechen. Konkret geht es dabei um das sogenannte Atom-Abkommen. Kritiker:innen meinen, durch dieses Abkommen würde das Regime unterstützt – nicht aber die iranische Gesellschaft. Verfechter:innen wiederum fürchten, ohne einen Deal wird die Region weiter destabilisiert.
Was spricht also dafür, an den Verhandlungen festzuhalten – was dagegen? Darüber hat watson mit Iran- und Sicherheitsexperten gesprochen.
Das internationale Atomabkommen mit dem Iran von 2015 liegt seit dem Austritt der USA 2018 auf Eis. Mit dem Abkommen sollte das Land an der Entwicklung einer Atombombe gehindert werden. Der ehemalige US-Präsident Donald Trump hatte den Deal platzen lassen und Sanktionen gegen Teheran verhängt. Ziel der neuen Verhandlungen ist jetzt, US-Sanktionen gegen den Iran aufzuheben und Teherans Atomprogramm wieder einzuschränken.
Auch für Alex Vatanka ist klar: In der Debatte gibt es nicht nur schwarz und weiß. Vatanka ist der Direktor des Iran-Programms am Middle East Institute in Washington D.C.
Er meint, statt sich zu entscheiden, ob nun die Gespräche fortgesetzt, oder die Proteste unterstützt werden, sollten die westlichen Staaten beides zur richtigen Zeit tun. Vatanka ist davon überzeugt, dass westliche Politik für diesen Spagat kreativ genug ist.
Die Bundesregierung betrachtet die Proteste und die Atomverhandlungen bisher separat, meint Marcus Schneider, Referatsleiter Mittel- und Nahost bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Aus Sicht des Experten ist die Verhinderung einer iranischen Atombombe nach wie vor wichtig. Er sagt:
Ein Abbruch der Gespräche, meint er, würde die Hardliner in Teheran belohnen – und er würde dazu führen, dass der Iran bald zu einem sogenannten "nuclear threshold state" werden würde. Das bedeutet: Er ist in der Lage, schnell Nuklearwaffen zu bauen, weil er das Know-How hat.
Das dürfte aus Sicht von Schneider immense Folgen für die Region haben. So hätte zum Beispiel Saudi-Arabien bereits angekündigt, in diesem Fall ebenfalls Atomwaffen bauen zu wollen.
Die Gespräche für den Deal müssten laut Vatanka aber nicht sofort wieder aufgenommen werden. Die westlichen Verhandelnden könnten stattdessen abwarten, um zu sehen, was getan werden muss. Vatanka sagt:
Das bedeutet: Der Westen muss dem Iran klarmachen, dass dieser – nur weil es jetzt gerade keine Gespräche gibt – sein Programm nicht so erweitern kann, wie er möchte. Auch wenn es den Deal dann einmal gibt, sei klar, dass der Westen die Einhaltung stets überprüfen muss. Denn: Diktaturen kann man nicht vertrauen, meint Vatanka.
Nicht zielführend wäre es, inmitten der Zeit der Proteste einen Deal auszuhandeln, der direkt in Kraft tritt. Denn ein Deal würde Sanktionen aufheben. Vatanka erläutert:
Dieses Szenario sei aber nicht realistisch, macht der Experte klar. Schon gar nicht vor den US-Midterm-Wahlen im Herbst, prognostiziert er. Und auch das Regime im Iran hätte es nicht eilig, die Verhandlungen voranzutreiben. "Im Grunde haben wir aktuell einen eingefrorenen Prozess", meint Vatanka. Er geht davon aus, dass beide Seiten die kommenden Wochen dafür nutzen werden, ihre jeweiligen Positionen zu überdenken.
Auch Schneider von der Friedrich-Ebert-Stiftung rechnet nicht mit einer schnellen Lösung. Die Gespräche der vergangenen Wochen und Monate seien ernüchternd gewesen. Und die Situation würde nicht leichter: Auf der einen Seite sei klar, dass es vor den Midterm-Wahlen in den USA keinen Deal geben wird – auf der anderen schwindet das Vertrauen auf beiden Seiten.
Das hänge mit dem deutlichen Gegensatz zwischen dem Westen und dem Regime in Teheran zusammen, der durch die Proteste und den Umgang damit immer klarer werde. Am Ende könnten sich im Iran außerdem jene durchsetzen, die "eine Bombe als (Über-)Lebensversicherung für das Regime sähen", fügt Schneider an.
Ein erfolgreicher Deal müsse außerdem nicht bedeuten, dass nicht anderweitig Sanktionen gegen den Iran erlassen werden könnten. Schneider meint:
Sollte der Iran zu seiner Bombe kommen, wären militärische Eingriffe von Israel oder den USA möglich – in den Erfolgsaussichten wären diese aber unsicher. "Dies könnte zudem einen Krieg auslösen", fürchtet Schneider. Aufgrund der iranischen Verbündeten in der Region könne eine solche Eskalation schnell zu einem Flächenbrand führen. Schneider sagt: "Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein solches Szenario einem demokratischen Wandel im Iran zuträglich wäre."
Was in der aktuellen Situation mit Blick auf die Proteste laut Vatanka wichtig sei: Dass der Westen dem Iran klarmacht, dass er genau auf die Menschenrechtsverletzungen schaut. Es müsse klar sein, dass es Konsequenzen geben werde, dafür, wie das Regime mit den Protestierenden umgeht. Da es im Iran nicht viel mehr zu sanktionieren gebe, gehe es vor allem um eine klare Botschaft. Der Westen müsse klarmachen: jeder, der an der Tötung und Misshandlung von iranischen Protestierenden beteiligt ist, wird individuell zur Verantwortung gezogen werden.
"Das Regime reagiert auf Druck", sagt der Experte. Das Töten würde zwar weitergehen – aber Vatanka geht davon aus, dass das Blutvergießen weniger würde.
Bei der Frage nach dem Atomdeal geht es also vor allem um Zeit. Die Verhandlungen schließen eine Unterstützung der Proteste nicht aus – und ohne einen zukünftigen Deal könnte es zu noch größeren Spannungen in der Region kommen.