Als Hans-Georg Maaßen diese Woche bei einem CDU-Wahlkampftermin in Sachsen auf die Bühne tritt, jubeln sie ihm zu. Hans-Georg Maaßen, der ehemalige Verfassungschef. Jener Beamte, der bei seinem alten Dienstherrn Horst Seehofer und bei vielen Bürgern in Ungnade gefallen ist. Der Mann, der sich selbst dafür rühmt, Klartext bei der CDU zu sprechen. An diesem Tag macht er seinen Kritikern einmal mehr klar: Sein neues erfolgreiches Leben hat längst begonnen. Seine Fans im Saal sitzen weit rechts von konservativ, irgendwo zwischen CDU und AfD – aber die rechtsextremen Alternativen wollen sie nicht wählen. Also wählen sie eben einen, der glaubhaft das Selbe sagt, aber einen anderen Parteistempel trägt: Hans-Georg Maaßen.
Obwohl dieser als Politiker eigentlich keine Rolle in der CDU spielt, scheint er mehr Einfluss zu haben, als jemals zuvor. Und Maaßen spielt diesen Einfluss aus, um immer mehr davon zu bekommen. Kaum eine Woche vergeht, in der der Ex-Spitzenbeamte keinen Angriff auf seine eigene CDU fährt oder mit Aussagen Schlagzeilen macht, bei der Parteifreunde wütend mit den Augen rollen. Jede davon bringt neue Öffentlichkeit. Man könnte es bunter formulieren: Machthungrig treibt Maaßen seine Partei vor sich her.
Und so wie ihn gibt es viele: Was Maaßen für die CDU ist, ist Thilo Sarrazin für die SPD, ist Boris Palmer für die Grünen: Die Drei stehen als prototypische Beispiele für eine neue Sorte Politiker, für die es in der Partei-Hierarchie kaum etwas zu holen gibt – und die aber ihre eigene Partei zum Gegner hochstilisieren, um ihre Macht-Positionen auszubauen.
Maaßen, Palmer und Sarrazin verfolgen alle das selbe Verhaltensmuster:
Sie suchen den Kontakt zu rechtsoffenen Wählerinnen und Wählern, füllen Säle mit geneigten Fans, holen sich ihren Applaus auch in den Social-Media-Blasen der AfD ab.
Das schaffen sie über rechtspopulistische Aussagen, vor allem auf Kosten der eigenen Partei. Ob nun Palmer von seinen Grünen als "Meinungstyrannen" spricht, ob Sarrazin der SPD einen Mangel an Islam-Kritik vorwirft. Oder ob Maaßen immer und immer wieder den Abgang Merkels fordert.
Jedesmal folgt Empörung aus der eigenen Partei und wo Empörung ist, springen Medien auf. Und plötzlich sind drei Männer in aller Munde, die eigentlich politisch kaum eine Rolle spielen: Ein Oberbürgermeister aus BaWü, ein ehemaliger Beamter und ein ehemaliger Berliner Stadtsenator.
Es gibt gleich mehrere Ansätze, um deren auffällig ähnliches Verhalten zu erklären.
Der glitzernde Maaßen
In allen drei Fällen lässt sich nicht ausschließen, dass auch ein ausgesprochenes Maß an Überzeugung hinter dem Handeln der Politiker steckt. Aber sie verfolgen eben auch eine Aufmerksamkeits-Strategie. Dahinter steckt das Prinzip "Donald Trump", das auch schon für die AfD wunderbar funktionierte.
Der Grundgedanke: In Zeiten von Social Media findet sich immer jemand, der sich aufregt. Maaßen und Co. müssen diesen Vorgang nur anfeuern. Mal reicht ein knackiges Zitat, mal ein umstrittener Auftritt. Dann folgt die Debatte, dann folgen Kritiker, Medien, Bürgerinnen und Bürger. Und jedesmal wartet schon eine neue Provokation hinter der nächsten Ecke. Die Folge: Alle reden gefühlt nur noch und andauernd über die eigentlich unwichtigen Politiker Palmer, Sarrazin und Maaßen. Dieser Text ist keine Ausnahme.
Vor Jahren bezeichnete das US-Magazin "Mother Jones" dieses Phänomen einmal als "The Shiny-Object-Stategy" – die "Strategie des glitzerndes Etwas", auf das sich alle Augen richten. Damals ging es um den beginnenden Siegeszug von Donald Trump.
Beim US-Präsidenten begann das mit einem Stück Pizza, hier die Geschichte:
Video: watson/Max Biederbeck, Lia Haubner
Die große Marke im Rücken
Und den Ankerpunkt für diese Strategie bietet bei Maaßen, Palmer und Sarrazin eben die jeweils eigene Partei. Die stiftet:
ein dankbares Ziel, an dem sie sich immer wieder abreagieren können.
die Legitimation und die Glaubwürdigkeit, selbst doch eigentlich Teil des bürgerlichen Lagers zu sein.
Das ist auch der Grund, warum sich die drei Politiker nach wie vor strikt weigern, ihr Parteibuch abzugeben. Sie brauchen es zur Markenbildung nach Außen – Palmer könnte nicht der Rebell mit rechtskonservativen Aussagen bei den Grünen sein, wenn er nicht länger Mitglied bei den Grünen wäre.
Mit der Zeit verschiebt sich die Debatte
Paradoxerweise könnte den Dreien ihre Position als politische Außenseiter mit der Zeit sogar in ihrer Partei weiterhelfen.
Je größer ihr politisches Gewicht in der Öffentlichkeit nämlich wird, desto mehr Gleichgesinnte werden ihnen auch innerhalb ihrer Partei folgen. Dass diese Taktik funktionieren kann, zeigte vor Jahren Donald Trump. Das hat in Großbritannien auch gerade Boris Johnson vorgemacht, der ein Meister darin ist, den wirren Außenseiter zu spielen. Jetzt ist Johnson bekanntlich Prime Minister.
Und wie eingangs beschrieben, auch Hans-Georg Maaßen geht gerade einen ähnlichen Weg. Auch sein Einfluss ist offenbar so groß geworden, dass AfD-ängstliche CDU-Kandidaten ihn für den Wahlkampf in Sachsen zum Auftritt einladen.
Dazu hat sich um Maaßen bekanntermaßen bereits die kleine, aber sehr laute "Werte Union" gesammelt, die sich seinem Vorbild angeschlossen hat und von rechtsaußen die eigene Partei angreift. Maaßens Unterstützung wächst also außerhalb und innerhalb der Partei.
Aber auch im Fall von Sarrazin hat sich die Debatte in der SPD politisch durchaus verschoben. Zwar wollen viele seinen Ausschluss aus der Partei, aber es gibt auch jene, die ihm insgeheim zustimmen. Einzig bei Boris Palmer verhält sich die Lage etwas anders. Er hat es bislang nicht geschafft, seine öffentliche Aufmerksamkeit auch in innerparteilichen Einfluss umzusetzen. Das könnte auch am Umfragehoch für seine Konkurrenz bei den Grünen liegen. Oder daran, dass rechte Ressentiments bei Wählerinnen und Wählern der Grünen doch weniger stark verfangen als bei SPD und CDU.
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