Die FDP scheitert an der Fünf-Prozent-Hürde in Niedersachsen. Ein Wahlergebnis, das Fragen über die Erfolgsstrategie der Liberalen aufwirft.
Seit dem Bestehen der Ampel-Regierung gab es vier Landtagswahlen. Bei keiner konnte die FDP Erfolge verbuchen. Zwar haben die Liberalen bei der Wahl im Saarland Prozentpunkte dazugewonnen, sie scheiterten aber auch hier an der Fünf-Prozent-Hürde. Was ist los bei der Partei?
Politikwissenschaftler Wolfgang Schroeder, von der Universität Kassel, sieht mehrere Gründe für das schlechte Abschneiden der FDP:
Außerdem habe die FDP nach dem 24. Februar 2022, dem Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine, keine Neuorientierung hinbekommen.
Schroeder gibt im Gespräch mit watson noch einen weiteren Grund an:
Dass die FDP im Landtag in Hannover fehlen wird, sei zwar ein Verlust für die Partei vor Ort. "Die FDP ist eher eine Bundespartei. Zudem ist mit Niedersachsen keine Regierungsbeteiligung verloren gegangen. Zugleich zeigt dies aber auch, dass man nicht einfach so weiter machen sollte."
Künftig werde es schwieriger für die Ampel, auf gemeinsamen Weg Lösungen der vielfältigen Krisen zu finden. Schroeder erwartet eher noch eine Verhärtung der Positionen. Er führt aus:
Allerdings seien die Herausforderungen derart groß, dass der FDP keine Alternative bleibe. Solange die Liberalen nicht aus der Regierung rauswollen, müssten sie sich zeitweise auf eine Anpassung ihrer Politik einlassen, meint Schroeder.
Dass es vonseiten der FDP schon Äußerungen gab, dass das eigene Profil gestärkt werden müsse, ließ vermuten: Es wird schwieriger für SPD und Grüne. Die FDP dürfte noch mehr den Spielverderber geben, um die eigene Klientel zufriedenzustellen. Ausgaben, die Rot oder Grün gern tätigen wollen, könnten von Bundesfinanzminister Christian Lindner blockiert werden.
Doch mit dem Mantra der Steuerentlastungen werde die FDP nicht weit kommen, meint Schroeder.
Bei anderen Themen wie Digitalisierung und gesellschaftspolitische Reformen bestünden keine Konflikte mit den Koalitionspartnern, meint Schroeder.
Er sagt:
Ob eine Koalition funktioniert oder nicht, lasse sich nicht nur am Programm festmachen, sagt Politikwissenschaftler Thorsten Faas gegenüber watson. Er forscht und lehrt an der Freien Universität Berlin. Für einen erfolgreichen Fortgang einer Koalition seien neben Inhalten, auch der Eindruck von Kompetenz und die Geschlossenheit entscheidend: "Nicht zuletzt auch Identität – 'passt' diese Koalition zu uns?", sagt Faas.
Für den Experten ist das Bild der "Fortschrittskoalition" aus den Anfangsmonaten der Regierung schon verbraucht. "Mir scheint, dass die Ampel dringend wieder auf eine gemeinsame Identität achten muss." Wenn die FDP sich jetzt verstärkt über Positionen profilieren möchte, "birgt das die Gefahr, dass andere Facetten konterkariert werden".
Zur bundespolitischen Konsequenz des Wahlausgangs in Niedersachsen äußerte sich Parteichef Christian Lindner bei einer Pressekonferenz am Montag. Dabei machte er seinen Standpunkt nach einer Aussprache mit dem Parteipräsidium klar: Die FDP hat ein klares politisches Profil und bedarf keiner Neuausrichtung.
Lindner sagte:
Lindner will dem Eindruck entgegenwirken, als Verlierer dazustehen. Jedenfalls nicht als alleiniger Verlierer. Er zieht die Koalitionspartner im Bund – vor allem die SPD – mit in die Verantwortung.
Er sagt:
Auf den Hinweis von Journalist:innen, dass es in der Parteibasis und auch bei hohen Funktionären Unmut über die Ampel-Zugehörigkeit der FDP gibt, ging er nicht ein. Bei seinen ausweichenden Antworten wirkte Lindner angespannt.
Er zeigte vielmehr auf, dass ihm der inhaltliche Mix aus "sozialem Ausgleich, ökologischer Verantwortung und wirtschaftlicher Vernunft" in der Ampel wichtig sei. Damit beansprucht er für seine FDP die Rolle des Vernünftigen und die Kompetenz in Wirtschaftsfragen.
Dass die FDP aus dem Landtag geflogen ist und die AfD ihren Stimmenanteil fast verdoppelt hat, bringt Nadin Zaya auf die Palme. Die Landesvorsitzende der Jungen Liberalen, der Jugendorganisation der FDP, sagt gegenüber watson: "Mir bricht es das Herz, dass Freie Demokraten und Liberale ihre Büros räumen müssen, für Nazis und Faschisten." Dass in Niedersachsen die Opposition künftig von der CDU und der AfD geführt werde, sei ein großes Problem für das Bundesland.
Ab jetzt stünde das Projekt Wiedereinzug an. Für das schlechte Abschneiden und das Ausscheiden aus dem Landesparlament könne nicht nur eine Person verantwortlich gemacht werden. Neben personellen Gründen seien auch strukturelle Probleme zu nennen.
Und: die Themenarmut, mit der die Landes-FDP in den Wahlkampf gegangen sei. Zaya spricht die Kampagne zur Atomenergie an. Die FDP hatte den Weiterbetrieb des Kraftwerks Lingen gefordert. Auf die Bundespolitik blickend sagt sie: "Es wird dem Ganzen nicht gerecht, wenn wir sagen, das liege nur an der Ampel."
Die Bundesvorsitzende der Jungen Liberalen, Franziska Brandmann, spricht gegenüber watson von einem Paukenschlag, der von Niedersachsen ausgegangen sei. Der dürfe "auch im Bund nicht ungehört verhallen".
"In den letzten Wochen wurde viel von den Freien Demokraten als einem 'Korrektiv' in der Ampel geschrieben und gesprochen, von Freien Demokraten als 'Verhinderer' eines Linkskurses'", erklärt Brandmann.
Die FDP habe aber einen höheren Anspruch: Die Liberalen sollten eigene Vorschläge vorlegen, statt nur die Vorschläge anderer zu korrigieren, meint Brandmann. Bei der vergangenen Bundestagswahl habe die FDP so viele Wähler:innen überzeugt.
Dass die Ampel-Koalition womöglich vor der nächsten Bundestagswahl im Jahr 2025 auseinanderbrechen könnte, bezweifeln die Experten, mit denen watson gesprochen hat. "Alles andere wäre derzeit nicht vermittelbar", meint Thorsten Faas.
Auch Wolfgang Schroeder geht von der vollen Legislaturperiode aus. Aus jetziger Sicht gebe es keine Hinweise für ein Ende der Koalition. Ein Fortbestand sei, "mit dem heutigen Tag eher wahrscheinlicher geworden. Weil es sich zeigt, dass die Union noch nicht so weit ist, um eine Alternative zu bieten."