Jung. Weiblich. Grün. Und schwarz.
Aminata Touré ist die erste BPoC, die in Deutschland zur Ministerin ernannt wurde. In Schleswig-Holstein bekleidet sie nun das Amt der Sozialministerin unter dem CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther. Die erste schwarz-grüne Koalition in dem nördlichen Bundesland. Bis zur Landtagswahl Anfang Mai regierte die CDU zusammen mit FDP und Grünen in einer Jamaika-Koalition.
In Deutschland steigt die Anzahl schwarzer Bürgerinnen und Bürger seit Jahren an. Mehr als eine Million Menschen afrikanischer Herkunft leben hier. Deren Repräsentation in der Politik sieht hingegen ganz anders aus.
Mit einer solchen Bürde könnten auf die Grünen-Politikerin Touré nun große Erwartungen einhergehen. Die Vorbild-Frau. Die Repräsentation der schwarzen Community. Mehr Strahlkraft für die "Black Lives Matter"-Bewegung. Eine Blaupause in der Politik – und damit verbunden eine rasante Steigerung der politischen Partizipation von Menschen mit Migrationsgeschichte. Mehr Schwarze mit politischer Macht.
Dabei seien solche Erwartungen für sich betrachtet aus der Luft gegriffen, sagt Cihan Sinanoğlu. Er ist Sozialwissenschaftler und leitet seit Oktober 2020 am Deutschen Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung die Geschäftsstelle des Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitors.
Er sagt:
Sie müsse genauso wie alle anderen an ihren politischen Leistungen gemessen werden. Und eben nicht an ihrer Strahlkraft für gesamtgesellschaftliche Entwicklungen.
Sinanoğlu beobachtet in seiner Arbeit unter anderem die politische Repräsentation und Partizipation. Und er meint, auch wenn sich die politische Teilhabe und Teilnahme von Menschen mit Migrationsgeschichte in den vergangenen Jahren erhöht hat, gebe es noch immer ein "krasses Repräsentationsdefizit".
Während zwei Wahlperioden habe er den Anstieg von Abgeordneten mit Migrationshintergrund untersucht. Von 2001 bis 2006 und von 2006 bis 2011. Einen Anstieg habe man definitiv festgestellt. "Aber vergleicht man diesen Anstieg mit dem Anteil der Bevölkerung, der Migrationshintergrund hat, sind diese Menschen stark unterrepräsentiert."
Es bestünde zudem immer erst einmal die Annahme, dass durch solche politischen Besetzungen diese Communities dann auch eine politische Stimme hätten. Dass sie gehört, ernst genommen und einbezogen würden. "Und die Frage ist dann natürlich: Ist das wirklich so? Wirken diese Abgeordneten oder auch Ministerinnen und Minister tatsächlich mit ihren politischen Inhalten in ihre Community hinein?" Das müsse erst einmal untersucht werden.
Betrachte man die Benennung von Touré nun aber etwas weitergefasst, sei eine Wirkung fast schon vorhersehbar: "Das ist natürlich ein symbolischer Akt, der sich wieder auf die Bürgerinnen und Bürger auswirkt", sagt Sinanoğlu. "Menschen können sich mit Touré identifizieren, so wird sie sozusagen zu einem Vorbild." Aber auch auf den Rest der Bevölkerung wirkt es: Der emotionale Prozess der Anerkennung werde angestoßen.
Die Frage, warum wir erst jetzt so weit sind, eine schwarze Ministerin zu haben, sei relativ leicht zu beantworten, so Sinanoğlu. "Wir haben in Deutschland einen institutionellen und strukturellen Rassismus." Dieser erschwere oder verhindere teils sogar zum Beispiel auch den Zugang zu Bildung und Kultur. Und: "Je höher der Bildungsgrad ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich Menschen politisch engagieren."
Dass Touré jetzt dieses Amt bekleidet, liege neben ihrer Expertise und Kompetenz auch an vielen antirassistischen Organisationen – die vor allem durch BPoC vorangetrieben wurden. "Diese Organisationen leisten seit 20 oder 30 Jahren sehr wichtige Arbeit, denn sie machen auf diese Defizite aufmerksam."
Aufmerksamkeit führt zur Beschäftigung mit dem Thema und das wiederum zum Umdenken und einer gesellschaftlichen Transformation.
"Und das gilt auch für Parteien", sagt der Experte. "Lange spielten marginalisierte Gruppen keine Rolle – etwa bei der Aufstellung von Kandidaten und Kandidatinnen." Zwar tue sich in dieser Richtung schon etwas, doch Sinanoğlu fordert mehr: "Antirassismus muss zur politischen Priorität erklärt werden."
Ob es einen sogenannten Spillover-, also einen Übertragungseffekt geben wird, müsse noch untersucht werden, meint der Experte. "Ich warne davor, jetzt in Selbstgefälligkeit zu verfallen, und zu denken, diese Entwicklung verselbstständige sich." Es gebe noch immer konservative und rechte Gegenbewegungen.
Zudem bestünde die Gefahr, dass durch die Wahl einer Person aus einer marginalisierten Gruppe, dann wiederum andere Strukturen in Vergessenheit geraten.
Vor allem die Parteien müssten sich überlegen: Wie können wir eine Migrationsgesellschaft aufstellen? Werden Menschen mit Migrationshintergrund mitgedacht? Wird jede Gruppe in die Überlegungen mit einbezogen? Kommunizieren wir in unterschiedlichen Sprachen? Wie positionieren wir uns im Hinblick auf internationale und transnationale Beziehungen?
Bei letzter Frage gehe es vor allem um die Herkunftsländer jener Menschen, die hier leben.
Der Sozialwissenschaftler Sinanoğlu sieht also vor allem die politischen Institutionen in der Pflicht. Während die Politikerin Touré sich die Verantwortung auch in Teilen selbst auferlegt.
"Natürlich ist das eine besondere Rolle. Ich bekomme jetzt schon zahlreiche Nachrichten von Menschen, die mir schreiben, dass ihnen das ganz viel bedeutet." Das sagte die 29-Jährige dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
"Wichtig ist, damit verantwortungsvoll umzugehen."