Er ist Arzt, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter und Gesundheitspolitiker: Der 73-jährige Wolfgang Wodarg hat einen respektablen Lebenslauf. Seit März ist Wodarg einer der Lieblinge einer lautstarken Minderheit: derjenigen Menschen, die das Coronavirus für gar nicht so schlimm halten und nicht die Pandemie für das Problem halten, sondern die angebliche Panik darum.
Jetzt geht Wodarg juristisch gegen das Blog "Volksverpetzer" vor.
Das 2015 gegründete Portal hat sich der Entlarvung von Desinformation und populistischer Meinungsmache verschrieben – und widmet sich seit Monaten intensiv der Szene rund um die Corona-Demos. Der Minderheit also, für die Wodarg ein Idol ist. In mehreren Artikeln hat sich "Volksverpetzer" auch mit den Thesen Wodargs beschäftigt.
Im November hat Wodarg über seinen Anwalt Reiner Fuellmich den Verantwortlichen des "Volksverpetzer" erst eine Abmahnung zukommen lassen – in Verbindung mit einer Forderung nach 250.000 Schadensersatz. Ende November hat Wodarg dann nach eigenen Angaben über Anwalt Fuellmich Klage gegen die "Volksverpetzer"-Redaktion eingereicht – mit einer Schadensersatzforderung von immerhin noch 50.000 Euro.
In der Abmahnung, die watson in Auszügen vorliegt, wird dem "Volksverpetzer" unter anderem eine "infame Verunglimpfung" Wodargs durch "ehrabschneidende Behauptungen" vorgeworfen. Für "Volksverpetzer"-Gründer und -Autor Thomas Laschyk ist das juristische Vorgehen der Versuch "uns Angst zu machen".
Auf Wodargs persönlicher Website steht: "Viren sind nicht das Problem – bleiben Sie besonnen!" Seit Monaten schreibt er auf seiner Website und redet auf einschlägigen Youtube-Kanälen darüber, dass die Intensivstationen sich in Wahrheit gar nicht mit an Covid-19 Erkrankten füllten – Er warnt vor den angeblichen Gefahren der bevorstehenden Impfungen gegen das Coronavirus.
Die Gefahr durch das Coronavirus SARS-CoV-2 redet Wodarg hingegen seit März klein – und wirft damit den meisten Regierungen der Welt und dem größten Teil der medizinischen Fachwelt Panikmache vor. In der Mail, in der er auf die Fragen von watson antwortet, verwendet Wodarg das Wort "Pandemie" nur zwischen Anführungszeichen.
Wodargs Behauptungen bringen viele Mediziner und Politiker auf die Palme – darunter Karl Lauterbach, Parteigenosse und ehemaliger politischer Weggefährte Wodargs. "Blanken Unsinn" rede Wodarg zu Covid-19, twitterte Lauterbach schon im März.
Bemerkenswert: Lauterbach bezeichnete Wodarg im März als "eigentlich geschätzten" ehemaligen Kollegen.
Wodarg ist seit 1973 approbierter Arzt. Er hat seither unter anderem als Hafenarzt in Hamburg und Amtsarzt in Flensburg gearbeitet, an der dortigen Universität war er als Dozent tätig. Seit 1988 ist Wodarg SPD-Mitglied, von 1994 bis 2009 war er Bundestagsabgeordneter, von 1999 bis 2010 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.
Dort hat er zwischen 2009 und 2010 die Untersuchungen zur Pandemie H1N1 geleitet, die umgangssprachlich als Schweinegrippe bezeichnet wurde. Wodarg beleuchtete damals das Verhalten der Weltgesundheitsorganisation WHO und führender Impfstoffhersteller kritisch. In mehreren Ländern, darunter Deutschland, hatten staatliche Stellen während der Seuche Dutzende Millionen Dosen eines Impfstoffs bestellt, die am Ende nicht gebraucht und vernichtet wurden. Der Hersteller GlaxoSmithKline soll die Nebenwirkungen des Impfstoffs laut Medienberichten ignoriert haben.
Danach war es jahrelang vergleichsweise still um Wolfgang Wodarg. Bis er Beginn der Corona-Krise in Deutschland begann, seine Thesen zum Coronavirus zu verbreiten.
Das Blog "Volksverpetzer" widmet sich seit 2015 "Hetze und Fake News", wie es in der Selbstbeschreibung der Website steht – zunächst als Teil des österreichischen Fact-Checking-Portals "mimikama", seit 2018 als eigenständige Plattform.
Seit Beginn der Corona-Krise beschäftigt sich der "Volksverpetzer" intensiv mit Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen rund um die Pandemie.
Der "Volksverpetzer" hat sich unternehmerisch als gemeinnützige Unternehmergesellschaft (gUG) organisiert. Zur Finanzierung sagt Mitbegründer und Autor Thomas Laschyk gegenüber watson:
In Artikeln, Videos und den Episoden des Podcasts "Petzcast" gehen Autorinnen und Autoren des "Volksverpetzer" seit Monaten Behauptungen zum Coronavirus nach, die in sozialen Netzwerken und Messengern wie Telegram verbreitet werden – und widerlegen sie anhand eigener Recherchen.
Ein Beispiel ist dieses Youtube-Video zur Falschbehauptung, mehrere Kinder seien gestorben, weil sie eine Mund-Nase-Bedeckung getragen hätten:
Die eigenen Beiträge verbreitet die Redaktion über die gängigen sozialen Netzwerke. Auf Twitter hat der Volksverpetzer-Account Anfang Dezember knapp 155.000 Follower, auf Youtube rund 4200 Abonnenten.
Anfang November hat Wolfgang Wodarg über seinen Anwalt Reiner Fuellmich der "Volksverpetzer"-Redaktion eine Abmahnung zukommen lassen. Auszüge des Schreibens liegen watson vor.
"Volksverpetzer" wird darin aufgefordert, eine Unterlassungserklärung abzugeben – und an Wodarg 250.000 Euro "immateriellen Schadensersatz" zu leisten.
Den immateriellen (also keine Vermögenswerte betreffenden) Schaden beschreibt Anwalt Fuellmich in dem Schreiben unter anderem als Versuch, Wodarg "zielgerichtet aus dem Verkehr" zu ziehen, "indem eine Stimmung erzeugt werden sollte, dass man sich mit unserem Mandanten nicht mehr blicken lassen dürfe".
Der Grund, laut Fuellmich: Wodarg sei "mit seiner Aufklärungsarbeit" offensichtlich als "unbequem" sowie "gefährlich" für das "Lockdown-Narrativ der Bundesregierung" empfunden worden. Deshalb sei ein "ganzes Orchester" von Medienbeiträgen gegen Wodarg entstanden. Der "Volksverpetzer" habe "zu dieser Ansehensbeschädigung beigetragen".
Der Anwalt Fuellmich bezieht sich vor allem auf zwei "Volksverpetzer"-Beiträge:
Nachdem die Fristen für die Abgabe der Unterlassungserklärung und die Zahlung des Schadensersatzes verstrichen sind, reicht Fuellmich für Wodarg nach eigener Angabe Klage beim Landgericht Berlin ein.
Mit der Klage soll erreicht werden, dass den Verantwortlichen des "Volksverpetzer" unter anderem untersagt wird, Wodarg politisch in die Nähe der AfD zu rücken oder zu schreiben, er vertrete eine Meinung, die "kein seriöser Wissenschaftler" teile – und ihm vorzuwerfen, dass er zu PCR-Tests lüge.
Und dass die Verantwortlichen des "Volksverpetzer", falls sie es doch tun, 250.000 Euro zahlen müssen. Außerdem soll der "Volksverpetzer" Wodarg in jedem Fall 50.000 Entschädigung zahlen.
Die Klageschrift ist ins Netz hochgeladen worden. Wodarg verweist in seiner Antwort an watson selbst auf das Dokument. Die Schrift ist 54 Seiten lang, im längsten Teil davon schildert Anwalt Fuellmich ausführlich die Thesen Wodargs zur Corona-Pandemie im Allgemeinen und zu PCR-Tests im Speziellen.
Laut "Volksverpetzer"-Mitgründer Thomas Laschyk hat das Team des Portals die Klageschrift bisher nicht erhalten.
Laschyk schreibt watson:
Wodarg erklärt gegenüber watson, ihm sei "Kritik sehr willkommen". Er wolle sich aber nicht "immer weiter wehrlos als 'Coronaleugner' verleumden und diskreditieren lassen". Wodarg verweist auf seine langjährige Arbeit gegen Korruption im Gesundheitswesen – er engagiert sich seit Jahren unter anderem im Vorstand der Organisation Transparency International Deutschland. Wegen seiner Äußerungen zur Covid-19-Pandemie hat sich der Vorstand aber von Wodarg distanziert, im September legte er sein Mandat dort nieder.
In einer E-Mail an watson schreibt Wodarg nun:
Er habe seine gesamte Arbeit zum Thema Covid-19 seit Anfang des Jahres "unentgeltlich" geleistet, habe aber "durch Beleidigungen, Unterstellungen und Verleumdungen nicht nur großen finanziellen Schaden erlitten".
Für Laschyk von "Volksverpetzer" zielt das juristische Vorgehen Wodargs und Fuellmichs zum einen darauf ab, zu erreichen,
Das werde laut Laschyk "natürlich nicht funktionieren".
Zum anderen wollten Wodarg und Fuellmich sich durch den Prozess eine Bühne für ihre Thesen schaffen – und sie durch das Verfahren bestätigt sehen. Zum "Volksverpetzer"-Artikel über den PCR-Test, der zum Gegenstand der Klage gehört, schreibt Laschyk wörtlich:
Auf die Frage, was er sich von der Schadensersatzforderung erhoffe, schreibt Wolfgang Wodarg in seiner Antwort an watson:
Dann schreibt er über mögliche weitere juristische Schritte gegen andere Medien und sonstige Organisationen:
Thomas Laschyk von "Volksverpetzer" sieht dem Verfahren optimistisch entgegen. Er erklärt gegenüber watson: