Eine Demonstrantin zeigt im Mai in Berlin den Ausdruck eines Zitats der Plattform "Volksverpetzer". Bild: www.imago-images.de / Stefan Zeitz
Analyse
Klage wegen Corona-Faktenchecks: Was Ex-Politiker Wodarg von "Volksverpetzer" will
Der Arzt und ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg ist seit Monaten eine der beliebtesten Personen in der Szene der Corona-Demos, immer wieder widerlegen Experten seine Thesen in Medien. Jetzt verklagt er das Blog "Volksverpetzer". Worum geht es in dem Verfahren? Auszüge aus dem Schriftverkehr, die watson vorliegen, liefern Antworten.
Er ist Arzt, ehemaliger SPD-Bundestagsabgeordneter und Gesundheitspolitiker: Der 73-jährige Wolfgang Wodarg hat einen respektablen Lebenslauf. Seit März ist Wodarg einer der Lieblinge einer lautstarken Minderheit: derjenigen Menschen, die das Coronavirus für gar nicht so schlimm halten und nicht die Pandemie für das Problem halten, sondern die angebliche Panik darum.
Jetzt geht Wodarg juristisch gegen das Blog "Volksverpetzer" vor.
Das 2015 gegründete Portal hat sich der Entlarvung von Desinformation und populistischer Meinungsmache verschrieben – und widmet sich seit Monaten intensiv der Szene rund um die Corona-Demos. Der Minderheit also, für die Wodarg ein Idol ist. In mehreren Artikeln hat sich "Volksverpetzer" auch mit den Thesen Wodargs beschäftigt.
Im November hat Wodarg über seinen Anwalt Reiner Fuellmich den Verantwortlichen des "Volksverpetzer" erst eine Abmahnung zukommen lassen – in Verbindung mit einer Forderung nach 250.000 Schadensersatz. Ende November hat Wodarg dann nach eigenen Angaben über Anwalt Fuellmich Klage gegen die "Volksverpetzer"-Redaktion eingereicht – mit einer Schadensersatzforderung von immerhin noch 50.000 Euro.
In der Abmahnung, die watson in Auszügen vorliegt, wird dem "Volksverpetzer" unter anderem eine "infame Verunglimpfung" Wodargs durch "ehrabschneidende Behauptungen" vorgeworfen. Für "Volksverpetzer"-Gründer und -Autor Thomas Laschyk ist das juristische Vorgehen der Versuch "uns Angst zu machen".
Wer Wolfgang Wodarg ist
Auf Wodargs persönlicher Website steht: "Viren sind nicht das Problem – bleiben Sie besonnen!" Seit Monaten schreibt er auf seiner Website und redet auf einschlägigen Youtube-Kanälen darüber, dass die Intensivstationen sich in Wahrheit gar nicht mit an Covid-19 Erkrankten füllten – Er warnt vor den angeblichen Gefahren der bevorstehenden Impfungen gegen das Coronavirus.
Die Gefahr durch das Coronavirus SARS-CoV-2 redet Wodarg hingegen seit März klein – und wirft damit den meisten Regierungen der Welt und dem größten Teil der medizinischen Fachwelt Panikmache vor. In der Mail, in der er auf die Fragen von watson antwortet, verwendet Wodarg das Wort "Pandemie" nur zwischen Anführungszeichen.
Wolfgang Wodarg im März in einem Video auf dem Youtube-Kanal von "Oval Media". bild: screenshot youtube
Wodargs Behauptungen bringen viele Mediziner und Politiker auf die Palme – darunter Karl Lauterbach, Parteigenosse und ehemaliger politischer Weggefährte Wodargs. "Blanken Unsinn" rede Wodarg zu Covid-19, twitterte Lauterbach schon im März.
Bemerkenswert: Lauterbach bezeichnete Wodarg im März als "eigentlich geschätzten" ehemaligen Kollegen.
Wodarg auf einem Bild aus dem Jahr 2012.null / imago images
Wodarg ist seit 1973 approbierter Arzt. Er hat seither unter anderem als Hafenarzt in Hamburg und Amtsarzt in Flensburg gearbeitet, an der dortigen Universität war er als Dozent tätig. Seit 1988 ist Wodarg SPD-Mitglied, von 1994 bis 2009 war er Bundestagsabgeordneter, von 1999 bis 2010 Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates.
Dort hat er zwischen 2009 und 2010 die Untersuchungen zur Pandemie H1N1 geleitet, die umgangssprachlich als Schweinegrippe bezeichnet wurde. Wodarg beleuchtete damals das Verhalten der Weltgesundheitsorganisation WHO und führender Impfstoffhersteller kritisch. In mehreren Ländern, darunter Deutschland, hatten staatliche Stellen während der Seuche Dutzende Millionen Dosen eines Impfstoffs bestellt, die am Ende nicht gebraucht und vernichtet wurden. Der Hersteller GlaxoSmithKline soll die Nebenwirkungen des Impfstoffs laut Medienberichten ignoriert haben.
Danach war es jahrelang vergleichsweise still um Wolfgang Wodarg. Bis er Beginn der Corona-Krise in Deutschland begann, seine Thesen zum Coronavirus zu verbreiten.
Wer "Volksverpetzer" ist
Das Blog "Volksverpetzer" widmet sich seit 2015 "Hetze und Fake News", wie es in der Selbstbeschreibung der Website steht – zunächst als Teil des österreichischen Fact-Checking-Portals "mimikama", seit 2018 als eigenständige Plattform.
Seit Beginn der Corona-Krise beschäftigt sich der "Volksverpetzer" intensiv mit Falschmeldungen und Verschwörungserzählungen rund um die Pandemie.
Thomas Laschyk, Mitgründer von "Volksverpetzer". bild: thomas laschyk
Der "Volksverpetzer" hat sich unternehmerisch als gemeinnützige Unternehmergesellschaft (gUG) organisiert. Zur Finanzierung sagt Mitbegründer und Autor Thomas Laschyk gegenüber watson:
"Wir kriegen von keiner Organisation Geld und schreiben für niemanden. Wir sind gemeinnützig und bis auf zwei Mitarbeiter sind alle Ehrenamtliche. 90 Prozent der Finanzierung sind Kleinspenden und Crowdfunding, der Rest Lizenzgebühren für Merchandise aus unserem Shop."
In Artikeln, Videos und den Episoden des Podcasts "Petzcast" gehen Autorinnen und Autoren des "Volksverpetzer" seit Monaten Behauptungen zum Coronavirus nach, die in sozialen Netzwerken und Messengern wie Telegram verbreitet werden – und widerlegen sie anhand eigener Recherchen.
Ein Beispiel ist dieses Youtube-Video zur Falschbehauptung, mehrere Kinder seien gestorben, weil sie eine Mund-Nase-Bedeckung getragen hätten:
Die eigenen Beiträge verbreitet die Redaktion über die gängigen sozialen Netzwerke. Auf Twitter hat der Volksverpetzer-Account Anfang Dezember knapp 155.000 Follower, auf Youtube rund 4200 Abonnenten.
Was hinter dem juristischen Vorgehen steckt
Anfang November hat Wolfgang Wodarg über seinen Anwalt Reiner Fuellmich der "Volksverpetzer"-Redaktion eine Abmahnung zukommen lassen. Auszüge des Schreibens liegen watson vor.
"Volksverpetzer" wird darin aufgefordert, eine Unterlassungserklärung abzugeben – und an Wodarg 250.000 Euro "immateriellen Schadensersatz" zu leisten.
Den immateriellen (also keine Vermögenswerte betreffenden) Schaden beschreibt Anwalt Fuellmich in dem Schreiben unter anderem als Versuch, Wodarg "zielgerichtet aus dem Verkehr" zu ziehen, "indem eine Stimmung erzeugt werden sollte, dass man sich mit unserem Mandanten nicht mehr blicken lassen dürfe".
Der Grund, laut Fuellmich: Wodarg sei "mit seiner Aufklärungsarbeit" offensichtlich als "unbequem" sowie "gefährlich" für das "Lockdown-Narrativ der Bundesregierung" empfunden worden. Deshalb sei ein "ganzes Orchester" von Medienbeiträgen gegen Wodarg entstanden. Der "Volksverpetzer" habe "zu dieser Ansehensbeschädigung beigetragen".
Der Anwalt Fuellmich bezieht sich vor allem auf zwei "Volksverpetzer"-Beiträge:
einen als Kommentar gekennzeichneten Artikel aus dem März, in dem Wodarg unter Angabe zahlreicher Quellen vorgeworfen wird, die Narrative von "Wissenschaftsleugnern" zu verbreiten
einen Artikel aus dem Oktober, in dem Wodarg – neben den anderen in der Szene rund um die Corona-Demos beliebten Ärzten Bodo Schiffmann und Sucharit Bhakdi – vorgehalten wird, die PCR-Tests zur Diagnose des Coronavirus unberechtigterweise schlechtzureden
Nachdem die Fristen für die Abgabe der Unterlassungserklärung und die Zahlung des Schadensersatzes verstrichen sind, reicht Fuellmich für Wodarg nach eigener Angabe Klage beim Landgericht Berlin ein.
Mit der Klage soll erreicht werden, dass den Verantwortlichen des "Volksverpetzer" unter anderem untersagt wird, Wodarg politisch in die Nähe der AfD zu rücken oder zu schreiben, er vertrete eine Meinung, die "kein seriöser Wissenschaftler" teile – und ihm vorzuwerfen, dass er zu PCR-Tests lüge.
Und dass die Verantwortlichen des "Volksverpetzer", falls sie es doch tun, 250.000 Euro zahlen müssen. Außerdem soll der "Volksverpetzer" Wodarg in jedem Fall 50.000 Entschädigung zahlen.
Die Klageschrift ist ins Netz hochgeladen worden. Wodarg verweist in seiner Antwort an watson selbst auf das Dokument. Die Schrift ist 54 Seiten lang, im längsten Teil davon schildert Anwalt Fuellmich ausführlich die Thesen Wodargs zur Corona-Pandemie im Allgemeinen und zu PCR-Tests im Speziellen.
Laut "Volksverpetzer"-Mitgründer Thomas Laschyk hat das Team des Portals die Klageschrift bisher nicht erhalten.
Laschyk schreibt watson:
"Wir haben die Klageschrift nicht, tatsächlich wissen wir auch noch nichts von einem offiziellen Eingang der Klage und wurden auch noch nicht benachrichtigt. Bisher wissen wir nur, dass Fuellmich öffentlich behauptet, gegen uns zu klagen und selbst eine vermeintliche Klageschrift veröffentlicht hat."
Was Wodarg sagt
Wodarg erklärt gegenüber watson, ihm sei "Kritik sehr willkommen". Er wolle sich aber nicht "immer weiter wehrlos als 'Coronaleugner' verleumden und diskreditieren lassen". Wodarg verweist auf seine langjährige Arbeit gegen Korruption im Gesundheitswesen – er engagiert sich seit Jahren unter anderem im Vorstand der Organisation Transparency International Deutschland. Wegen seiner Äußerungen zur Covid-19-Pandemie hat sich der Vorstand aber von Wodarg distanziert, im September legte er sein Mandat dort nieder.
In einer E-Mail an watson schreibt Wodarg nun:
"Meinen guten Ruf und meine Möglichkeiten zu arbeiten hat man jetzt aber seit Mitte März 2020 versucht, systematisch und gezielt zu zerstören."
Er habe seine gesamte Arbeit zum Thema Covid-19 seit Anfang des Jahres "unentgeltlich" geleistet, habe aber "durch Beleidigungen, Unterstellungen und Verleumdungen nicht nur großen finanziellen Schaden erlitten".
Was "Volksverpetzer" sagt
Für Laschyk von "Volksverpetzer" zielt das juristische Vorgehen Wodargs und Fuellmichs zum einen darauf ab, zu erreichen,
"dass wir uns in Zukunft nicht mehr trauen, Lügner Lügner zu nennen und vielleicht weniger Faktenchecks machen."
Das werde laut Laschyk "natürlich nicht funktionieren".
Zum anderen wollten Wodarg und Fuellmich sich durch den Prozess eine Bühne für ihre Thesen schaffen – und sie durch das Verfahren bestätigt sehen. Zum "Volksverpetzer"-Artikel über den PCR-Test, der zum Gegenstand der Klage gehört, schreibt Laschyk wörtlich:
"Vielleicht ist ihre Hoffnung, dass wir irgendeine technische Formulierung sachlich ungenau gebracht hätten, die auch nichts mit den Fakten zum PCR-Test zu tun hat, aber auch einen hypothetischen Teilerfolg ihren naiven Anhänger:innen als Beweis für die Widerlegung des PCR-Tests vor Gericht verkaufen wollen."
Wie es jetzt weitergeht
Auf die Frage, was er sich von der Schadensersatzforderung erhoffe, schreibt Wolfgang Wodarg in seiner Antwort an watson:
"Es handelt sich um zivilrechtliche bzw. strafrechtliche Tatbestände und mithilfe vieler kritischer Zeugen liegt reichlich Beweismaterial vor. Ich möchte herausfinden, ob wir noch in einem Rechtsstaat leben, wo sich die Gerichte um eine angemessene Beweisaufnahme kümmern. Der Vorschlag der hohen vorläufigen Streitwert-Festsetzung hat etwas mit der Bedeutung des Prozesses zu tun und kam von den Anwälten."
Dann schreibt er über mögliche weitere juristische Schritte gegen andere Medien und sonstige Organisationen:
"Ich hoffe Sie verstehen, dass ich mir vorbehalte, noch weitere beleidigende und verleumdende Menschen aus Medien und in den mich öffentlich verunglimpfenden Organisationen entsprechend zur Rechenschaft zu ziehen."
Thomas Laschyk von "Volksverpetzer" sieht dem Verfahren optimistisch entgegen. Er erklärt gegenüber watson:
"Wir haben die Falschaussagen Wodargs (und einiger anderer, es ging nie um Wodarg allein) widerlegt und Studien, die Mehrheit der Wissenschaft und der Expertinnen und Experten auf unserer Seite, die Klage scheint technisch dubios zu sein. Zum jetzigen Zeitpunkt würde es uns nicht wundern, wenn es nie zu einem Verfahren kommt. Vor Gericht kann natürlich alles passieren und recht haben und Recht bekommen sind zwei verschiedene Dinge, aber wir sind sehr zuversichtlich."
Das späte Echo des MeToo-Skandals bei der Linken: Gericht verhängt Urteil
Anmerkung der Redaktion inklusive Richtigstellung: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir behauptet, der hier formulierte Urteilsspruch würde eine Frau betreffen, die sich gegenüber Medien als Betroffene zum MeToo-Skandal bei der Linken geäußert hatte. Das war inhaltlich falsch. Wir bedauern den Fehler und haben die entsprechenden Passagen korrigiert bzw. entfernt. Richtig ist: Verurteilt wurde eine Frau, die sich als Reaktion auf die damaligen Medienberichte auf Social Media zu dem Fall äußerte.