Für den russischen Chefpropagandisten Wladimir Solowjow ist klar: Durch die Lieferung der Leopard-2-Panzer macht sich Deutschland zur Kriegspartei. Er findet, dass die Bundesrepublik sich so zum legitimen Ziel für militärische Racheaktionen seitens Russland macht. Nun ist Solowjow sicherlich kein unabhängiger Experte, der anhand von Fakten analysiert, ob und wie sich ein Land zur Kriegspartei macht.
Aber auch hierzulande wird immer wieder die Sorge laut, Deutschland könne zur Kriegspartei werden. Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) hatte beim Europäischen Rat erklärt: "Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander." Um klarzustellen, dass das keine Kriegserklärung für den aktiven Eintritt Deutschlands war, hat die Bundesregierung daraufhin noch einmal erklärt: Deutschland ist keine Kriegspartei.
Das Gegenargument, das beispielsweise Justizminister Marco Buschmann anbringt: Die Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung und der Westen darf das Land dabei mit Waffen unterstützen.
Wer hat recht? Und wie viel Unterstützung darf der Westen leisten, ohne in den Krieg hineingezogen zu werden? Darüber hat watson mit Militärexpert:innen gesprochen.
Für Stefan Kroll von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung ist klar: Deutschland macht sich nicht zur Kriegspartei. Zumindest nicht laut Völkerrecht. Andere Länder dürfen nach dieser Vereinbarung Staaten bei der Selbstverteidigung helfen – auch mit Waffen. Da die Ukraine von Russland angegriffen worden ist, sei die Selbstverteidigung absolut legitim, macht Kroll deutlich.
Auf watson-Anfrage erklärt Kroll: "Deutschland, die EU und die USA unterstützen diese Selbstverteidigung der Ukraine – nicht mehr, aber auch nicht weniger." Völkerrechtler:innen seien sich einig, dass Deutschland durch diese Unterstützung nicht zur Kriegspartei wird. "Dies wäre nur dann der Fall, wenn Deutschland selbst mit eigenen Soldat:innen in diesen Konflikt eingreift", räumt Kroll ein.
Abgesehen von der rechtlichen Bewertung sei aber zu berücksichtigen, wie Russland die Unterstützung wahrnimmt, meint der Experte. Er sagt:
Daher sei es wichtig, dass die Staaten, die die Ukraine unterstützen, behutsam und gemeinsam vorgehen. Ähnlich bewertet Ralph Thiele die Lage. Der Oberst a.D. ist Vorsitzender der Politisch-Militärischen Gesellschaft.
"Deutschland ist eine Partei", macht Thiele im Gespräch mit watson deutlich. Er fährt fort: "Wir sind nicht neutral, sondern haben für die Ukraine Partei ergriffen. Wir leisten umfassende humanitäre Hilfe, wir leisten umfassende wirtschaftliche Hilfe und wir leisten Hilfe mit Waffen."
Dem Experten fällt die Vorstellung schwer, dass der russische Präsident Wladimir Putin diese Form der Unterstützung nicht als Kriegsbeteiligung ansieht. Gleichzeitig habe Putin mit den Waffen, die Russland zur Verfügung stünden, eine sogenannte Eskalationsdominanz. Das bedeutet, führt Thiele aus, dass Russland über Waffen verfüge, die mit deutschen Waffen nicht vergleichbar sind.
Was Thiele damit meint, sind zum Beispiel Hyperschallwaffen, die als extrem schnell und nahezu unaufhaltbar gelten. Russland verfügt außerdem über nukleare Sprengköpfe. Also Atombomben. Und der hybride Krieg, den Russland führt, wird durch Sabotageangriffe auf Bahntrassen oder ähnliche kritische Infrastruktur direkt in Deutschland spürbar. Solche Angriffe gebe es von Seiten westlicher Verbündeter auch in Russland, meint der Experte.
Man müsse berücksichtigen, sagt Thiele, dass es sich bei dem russischen Angriffskrieg nicht um ein völkerrechtliches Experiment handele, sondern um einen realen Krieg. Die Wahl der Ausweitung liege bei Putin. Mit der Panzerlieferung sei Deutschland einen wichtigen psychologischen Schritt gegangen: sowohl in der eigenen Wahrnehmung, als auch aus russischer Sicht.
"Es ist ein Spiel mit dem Feuer", meint Thiele. Aus diesem Grund sei es wichtig, dass die Verantwortlichen zwar nicht ängstlich, aber besonnen an die Entscheidungen herangingen. Es sei ein Problem, dass der Westen keine offene Strategiedebatte habe. Thiele sagt:
Der Unterschied sei, dass es im ersten Fall darum ging, die Ukraine in den ursprünglichen Zustand zurückzuversetzen – das andere sei ein Kampf gegen eine nukleare Großmacht. Fachlich betrachtet, stellt Ralph Thiele klar, haben die Leopard-Panzer nur einen begrenzten Nutzen. Denn:
Dafür handele sich die Ukraine einen logistischen Alptraum ein, meint der Experte. Denn Wartung und Reparaturen könnten nicht im Rückraum der Front erfolgen, sondern weit entfernt in Polen oder der Slowakei.
Das Ende des Krieges müsse laut Thiele politisch und nicht militärisch erfolgen. Das sieht auch der Ex-Außenminister der USA, Henry Kissinger, so. Er war es, der die Entspannungspolitik im Kalten Krieg ermöglicht hat. Nun hat er einen Friedensplan für die Ukraine geschrieben, der eine eingefrorene Frontlinie beinhaltet.
Wie "n-tv" unter der Berufung auf Kreise berichtet, soll es erste Sondierungsgespräche zwischen Moskau, Kiew und Washington geben. Der sogenannte "Kissinger-Moment" könnte kommen.
Solange keine Entspannung vorangetrieben werde, meint Thiele, wird der Krieg eine andauernde Eskalation sein. "Wenn wir jetzt Waffenmurmeln spielen, geht außerdem ein Aspekt unter: Faktisch entwaffnen wir aktuell den Westen", sagt er.
Das Beispiel der Bundeswehr zeige das ganz gut. "Sollte es zu einer Eskalation des Konfliktes kommen, sind wir nicht in der Lage, uns zu schützen", stellt Thiele klar. Auf die Nato zu verweisen, bringe dann auch nichts. Er sagt: "Die Nato, das sind wir."