Jetzt ist es wohl endlich vorbei.
Am Montagabend US-Ostküstenzeit hat die Regierungsbehörde General Service Administration (GSA) das Ergebnis der Präsidentschaftswahl anerkannt – und damit offiziell das Ende von Donald Trumps Amtszeit eingeläutet. Die "Transition", die Übergabe der Macht von einem Präsidenten zum anderen, hat damit offiziell begonnen.
Das Übergangsteam des designierten Präsidenten Joe Biden und der Vizepräsidentin Kamala Harris hat damit Zugang auf über sechs Millionen Dollar, um den Machtwechsel in Washington zu organisieren. Und sie bekommen ab sofort Zugang zu Bundesbehörden und Ministerien. Beides ermöglicht es ihnen, sich auf den Beginn von Bidens Präsidentschaft am 20. Januar 2021 vorzubereiten.
Trump selbst hat in einem Tweet erstmals geschrieben, dass er die Amtsübergabe befürwortet.
Warum hat der Noch-Präsident jetzt eingelenkt, nachdem er und seine Verbündeten wochenlang gegen die Realität angekämpft haben – mit Tweets, Gerichtsverfahren und bizarren Auftritten?
Beruhigend und auf den ersten Blick sichtbar ist: Die Versuche Trumps und seines Teams, das Wahlergebnis zu kippen, sind gescheitert. Sie haben versucht, die Wahl, einen der wichtigsten Prozesse der US-amerikanischen Demokratie, nachträglich zu sabotieren: mit stets unbewiesenen Vorwürfen von Wahlbetrug, mit Gerichtsverfahren und der Einschüchterung von Beamten und Wahlhelfern.
Es war eine Niederlage in peinlichen Episoden, die wirkten wie Szenen aus einer absurden Polit-Satire: von der Rede von Trumps Anwalt Rudy Giuliani vor einer Landschaftsgärtnerei in Philadelphia namens "Four Seasons Total Landscaping" – bis zur Rede Giulianis im Hauptquartier der Republikanischen Partei, bei der Haarfarbe oder Mascara über sein schweißnasses Gesicht lief.
Die amerikanische Demokratie war stärker als dieser Zirkus. Am Montagabend bestätigte das Wahlgremium im Bundesstaat Michigan den dortigen Sieg Bidens. Wenig später twitterte Trump sein Eingeständnis.
Nach Dankesworten an Emily Murphy, der vom Präsidenten eingesetzten Chefin der Bundesbehörde GSA, schreibt Trump, dass der Kampf der Republikaner gegen die Niederlage weitergehe und ergänzt: "Und ich glaube, dass wir gewinnen werden!" Dann fährt er fort:
Wer diese Tweets liest, der kann fast das Zähneknirschen Trumps hören, mit dem er sie verfasst hat. Selten hat dieser Präsident so eine verquaste Botschaft auf Twitter versandt – üblicherweise beglückt er seine knapp 89 Millionen Follower mit Slogans, Beschimpfungen und Verschwörungsmythen.
In einer Analyse in der "New York Times" ist zu lesen, dass Trump sich auch deshalb so schwer damit getan habe, seine Niederlage zuzugeben, weil er nicht loslassen will von der Macht, dem Einfluss und der Aufmerksamkeit, die ihm das Präsidentenamt sichert. In dem Text wird der republikanische Senator Jeff Flake zitiert, der 2017 seine politische Karriere aus Abscheu vor Trump aufgegeben hat. Flake erklärt, Trump werde jetzt klar, dass er nie wieder so berühmt sein wird wie während seiner Zeit im Weißen Haus. Und es sei hart für Trump – für den Aufmerksamkeit ein Grundnahrungsmittel ist – sich damit abzufinden.
Doch so schmerzhaft das ist, Trump scheint das demokratische Ergebnis am Ende zu akzeptieren.
Trotzdem: Trump hat etwas erreicht, das ihm vorerst keiner nehmen kann.
Das ist die zweite, verstörende Erklärung dafür, dass Trump jetzt doch den Weg frei macht für Biden. Die Verschwörungserzählungen Trumps und seiner Verbündeten – darunter sind prominente republikanische Kongressabgeordnete – haben sich bei Tausenden, wahrscheinlich Millionen Menschen verfangen. Laut einer Umfrage von Mitte November glauben 52 Prozent der republikanischen Anhänger, Trump habe die Wahl "rechtmäßig gewonnen", 68 Prozent sorgen sich um Wahlbetrug. Am vorvergangenen Wochenende sind Tausende Trump-Anhänger bei einer Demo durch die US-Hauptstadt Washington marschiert.
Trump hat offenbar erfolgreich eine Dolchstoßlegende aufgebaut – die vom angeblich unbesiegten Präsidenten, den nur ein korruptes System mit einer manipulierten Wahl an einer zweiten Amtszeit gehindert habe. Bret Stephens, Kolumnist der "New York Times", hat das deutsche Wort "Dolchstoßlegende" in einem Kommentar verwendet – und damit eine Parallele gezogen zwischen der Rhetorik Trumps und seiner Anhänger sowie dem Verschwörungsmythos, mit dem Rechtsextreme in Deutschland nach 1918 die Niederlage im Ersten Weltkrieg erklärt haben. Die "Dolchstoßlegende" war eine der Erzählungen, mit denen die Nazis später die erste deutsche Demokratie attackierten – und sie schließlich zu Fall brachten. Stephens schreibt wörtlich:
Auf seinem Twitter-Account liefert Trump weiter Stoff für das Schauermärchen vom Dolchstoß der Demokraten: Er verbreitet angebliche Belege für Wahlbetrug, er retweetet gruselige Statements von Verschwörungsgläubigen wie dem abgedrifteten Schauspieler Randy Quaid.
Ein Szenario (das watson schon vor einigen Tagen ausführlich beschrieben hatte) zeichnet sich immer deutlicher ab: Trump wird sich von der Macht verabschieden wie 2011 der italienische Premier Silvio Berlusconi: indem er das Amt abgibt – aber nie zugibt, gescheitert zu sein. Trump wird, wie Berlusconi, weiter von einem Komplott gegen ihn faseln – und er wird weiter eine Anhängerschaft behalten.
Wie groß Trumps Fanbasis bleibt, dürfte entscheidend sein für die Zukunft der US-amerikanischen Demokratie: dafür, ob die breite Mehrheit in Zukunft noch demokratischen Wahlen vertraut; dafür, ob Präsident Biden eine realistische Chance hat, Kompromisse zu schließen und Lösungen für ein paar der vielen ernsten Probleme zu finden, die die Zukunft der USA bedrohen; dafür, ob Donald Trump 2024 noch einmal antritt, um US-Präsident zu werden.
Beide Erklärungen für Trumps Eingeständnis treffen zu, die beruhigende wie die verstörende.
Es stimmt, dass der Präsident mit seinem wahnwitzigen Angriff auf das Wahlergebnis gescheitert ist. Das liegt daran, dass die Demokratie in den USA reif und stark ist – trotz ihrer furchterregend großen Schwächen von Gerrymandering bis Wählerunterdrückung. Es ist eine Demokratie, in der die Justiz unabhängig ist, in der auch Behörden in republikanisch mitregierten Bundesstaaten ihren Job nach Recht und Gesetz erfüllen – und in der eine starke Wahlbeteiligung von Latinos und Afroamerikanern in manchen Großstädten dafür sorgen kann, dass ein Präsident sein Amt verliert.
Es stimmt aber auch, dass die Gefahr für diese Demokratie gewaltig bleibt. Da ist ein abgewählter Präsident, der auf Recht und Gesetz spuckt, wenn sie für ihn einen Nachteil bedeuten. Da ist eine republikanische Partei, die heute in weiten Teilen keine demokratisch-bürgerliche Partei wie CDU oder CSU ist – sondern eine offen rechtsradikale wie die AfD. Da ist eine rechtsnationale bis rechtsextreme Medienblase mit Stars wie dem Radio-Talkmaster Rush Limbaugh und den Fox-News-Fernsehmoderatoren Laura Ingraham und Tucker Carlson, die einem Millionenpublikum Verschwörungsmythen und rassistisch durchsetzte Tiraden als Journalismus verkaufen.
Es kommt noch einiges zu auf die USA.