Markus Söder, bayerischer Ministerpräsident, CSU-Chef und bis Ende September Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz, hat am Dienstag auf dem prachtvollen Schloss Herrenchiemsee Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) empfangen. Hauptthema des Gesprächs: die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. So weit, so wenig spektakulär.
Es gab aber auch ein Thema, das nicht auf der Tagesordnung stand (und das ein Söder-Fan mit einem Plakat in den Vordergrund rückte) – über das in Deutschland aber seit Wochen diskutiert wird: Wird Söder Merkels Nachfolger? Wird er der Kanzlerkandidat von CDU und CSU für die Bundestagswahl 2021?
Wir analysieren, was dafür spricht, dass Söder tatsächlich Kanzlerkandidat wird – und was dagegen: vier Argumente pro Söder, vier contra.
PRO: Söder ist gerade Umfragekönig
Markus Söder ist momentan so beliebt wie nie zuvor.Laut dem ZDF-Politbarometer von vergangener Woche hat er – nach Kanzlerin Merkel, die 2021 aufhört – mit +2,0 die zweithöchsten Sympathiewerte aller Spitzenpolitiker, gleichauf mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD). Noch bemerkenswerter für Söder sind die Werte bei der Frage danach, wer zum Bundeskanzler taugt: 64 Prozent der Deutschen trauen es Söder zu, die Bundesregierung zu führen. Das ist mehr als doppelt so viel wie beim zweitstärksten Unionspolitiker Friedrich Merz (31 Prozent), der wie Laschet CDU-Chef werden will. Laschet selbst (19 Prozent) und der dritte Kandidat auf den CDU-Chefsessel Norbert Röttgen (14) sind noch weniger beliebt.
PRO: Die Söder-Fans in der CDU werden mehr
Der Punkt ist: Wer Kanzlerkandidat der Union wird, bestimmen nicht alle Wähler. Sondern die Parteien CDU und CSU. 2017 erfolgte das per Beschluss der beiden Parteipräsidien – das Vorgehen für 2021 steht noch nicht fest. Klar ist in jedem Fall: Will Markus Söder Kanzlerkandidat der gesamten Union werden, braucht er viel Unterstützung aus der CDU.
Bisher schien in der CDU klar: Wer nach Annegret Kramp-Karrenbauer neuer Parteichef wird, hat auch beste Chancen auf die Kanzlerkandidatur. Weil Armin Laschet, der bisherige Favorit auf den Chefposten, aber schwächelt und Söder hervorragend dasteht, haben sich inzwischen mehrere recht prominente CDU-Politiker gemeldet, die sich Söder als Kandidaten vorstellen können: die Ministerpräsidenten Tobias Hans (Saarland), Michael Kretschmer (Sachsen) und Daniel Günther (Schleswig-Holstein).
Günther sagte der dpa mit Blick auf die bisher zwei CSU-Kanzlerkandidaten der Geschichte: "Es wäre falsch, daran vorbeizugehen, dass wir auch schon zweimal einen Kandidaten der CSU unterstützt haben." Und Susanne Eisenmann, Spitzenkandidatin der mächtigen baden-württembergischen CDU für die nächste Landtagswahl, nannte Söder gegenüber dem Südkurier "eine Option, die ich begrüßen würde".
PRO: Krisenmanager sind für den Kanzlerposten gefragt
Markus Söder hat sich als Krisenmanager inszeniert, seit die Corona-Krise Anfang März mit voller Härte Deutschland erreicht hat. Dabei hat Söder nicht nur sein Hang zu markigen Sprüchen geholfen ("Wir lassen keine Experimente mit unserer Gesundheit zu") – sondern auch, dass er seit Oktober 2019 der Ministerpräsidentenkonferenz vorsitzt: Das ist die Konferenz der Ministerpräsidenten aller 16 Bundesländer, die mit der Bundesregierung den Kampf gegen das Coronavirus koordiniert.
Bayern hat, nach anfänglichen Fehlern, schnell und drastisch auf die Pandemie reagiert, mit besonders einschneidenden Kontaktbeschränkungen – die der Freistaat auch relativ spät wieder zurückgefahren hat. Die Infektionszahlen sind in Bayern aber auch relativ schnell zurückgegangen, gleichzeitig gab es bayerische Hilfsprogramme für viele von der Krise getroffene Berufsgruppen und Firmen. Söder hat sich so einen Ruf als guter Krisenmanager erarbeitet.
Und wer sich in der Krise bewährt, der hat in ganz Deutschland gute Chancen. Helmut Schmidt ist ein Beispiel dafür:
1962 inszenierte der damalige Hamburger Innensenator Schmidt sich als zupackender Krisenretter bei der Sturmflut – ein Image, von dem er in seiner Zeit als Bundeskanzler (1974 bis 1982) gezehrt hat.
2002 schaute es für den damals amtierenden Kanzler Gerhard Schröder schlecht aus – bis ein verheerendes Hochwasser in Ostdeutschland wütete, Schröder sich auf Deichen in Gummistiefeln ablichten ließ – und einen knappen Wahlsieg für seine SPD einfuhr.
Angela Merkel führte Deutschland ruhig durch die europäische Finanz- und Wirtschaftskrise – und holte 2013 ein historisch starkes Wahlergebnis für CDU und CSU.
Wahlkampf in Gummistiefeln: der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder besichtigt das Oderhochwasser 2002. Bild: www.imago-images.de / localpic
PRO: Söder hat sich zum Landesvater gemausert
Am 16. März 2018 wurde Markus Söder bayerischer Ministerpräsident – und brachte innerhalb weniger Wochen viele Menschen gegen sich auf. Er ließ Kreuze an den Eingängen bayerischer Behörden anbringen, zeterte gegen angeblichen "Asyltourismus" – und trug im Sommer 2018 dazu bei, fast die Bundesregierung platzen zu lassen. Söder war damals unbeliebtester Ministerpräsident Deutschlands.
Dann die Kehrtwende: Söder entschuldigte sich für das Wort "Asyltourismus", er gab den Versöhner. Söder grenzte sich danach auch in scharfen Worten von der AfD ab. Er blieb trotz eines historisch schlechten CSU-Ergebnisses bei der Landtagswahl 2018 im Amt – und wurde noch sanfter und vor allem grüner: Seither hat Söder dafür gesorgt, dass ein Volksbegehren für Bienenschutz zu bayerischem Landesrecht wird, er hat sich ablichten lassen, während er Bäume umarmt, hat einen schnelleren Kohleausstieg gefordert. Söders Beliebtheitswerte stiegen, auch bei den Wählern der in Bayern erstarkten Grünen.
Kurz gesagt: Söder hat einen Imagewandel geschafft, vom Provokateur, der mit populistischen Parolen nach Wählern am rechten Rand fischt zum sanften, umweltbewussten Landesvater.
CONTRA: Noch nie ist ein Bayer Kanzler geworden
Ein großer Teil der Menschen im Rest Deutschlands hat zum politischen Bayern ein eher kühles Verhältnis: Das offensive Selbstbewusstsein bayerischer Spitzenpolitiker, das regelmäßige Eigenlob (Horst Seehofer "Bayern ist die Vorstufe zum Paradies") wird oft als Arroganz verstanden.
Das ist auch ein Teil der Erklärung dafür, dass die beiden bisherigen CSU-Kanzlerkandidaten gescheitert sind. 1980 Franz Josef Strauß, 2002 Edmund Stoiber. Beide waren bayerische Ministerpräsidenten, als sie kandidierten, beide haben die deutsche Öffentlichkeit polarisiert. Gegen Strauß wurden Buttons mit der Aufschrift "Stoppt Strauß" verteilt, die bis heute in der linken Szene legendär sind. Gegen Stoiber gab es Demos und Anstecker unter dem Motto "Stoppt Stoiber" – obwohl der Widerstand nicht ganz so scharf war wie gegen Strauß.
Hassfigur für Linke: Demonstration unter dem Motto "Stoppt Strauß", 1980 in Westberlin. bild: imago-images
Söder tappt hin und wieder selbst in die Bayern-Arroganz-Falle. Bei einer Pressekonferenz im Kanzleramt sagte er Ende April neben Kanzlerin Merkel, er empfehle in der Corona-Krise Urlaub in Bayern. Merkel entgegnete witzelnd, auch im Norden könne man Spaß haben. Und Söder sagte daraufhin: "Nord oder Süd – West ist da nicht dabei." Der "Spiegel" schreibt dazu in seiner kürzlich erschienen Titelgeschichte über Söder: "Sollte Söder Kanzlerkandidat werden, wird sich Nordrhein-Westfalen bei der Wahl an diesen Auftritt erinnern. Dann kommen die Grüße aus Düsseldorf zurück, aus Wanne-Eickel, aus Münster. Aber wohl ohne Kreuze auf den Wahlzetteln."
CONTRA: Söders Image hat eine Schattenseite
So beliebt Markus Söder momentan ist: In Bayern und im Rest von Deutschland erinnern sich viele politisch Interessierte daran, mit welchen Tricks er CSU-Chef und Ministerpräsident geworden ist. Jahrelang hat Söder hinter den Kulissen gegen seinen Vorgänger Horst Seehofer gestichelt ("Schmutzeleien" hat Seehofer das einmal genannt): regelmäßig hat er parteiinterne Initiativen gelobt, die gegen Seehofer gingen, immer wieder hat er den Chef deutlich kritisiert. Die Männerfeindschaft zwischen beiden ist legendär.
Dass Söder nach wie vor gerne die Ellbogen ausfährt, ist in der "Spiegel"-Titelgeschichte eindrucksvoll beschrieben. Darin steht, wie er in Bayern Landesministern die Bühne stiehlt, wie er andere CSU-Politiker mit derben Sprüchen herunterputzt, wie er über NRW-Ministerpräsident Laschet lästert.
Im Kampf um die Kanzlerschaft könnte Söder dieses Image des Machtbesessenen auf die Füße fallen. Erstens, weil interne Gegner wie Laschet Lust verspüren könnten, sich für frühere Angriffe zu rächen. Zweitens, wenn er Gegenkandidaten bei SPD und Grünen bekommt, die ein viel freundlicheres Image haben: Der biedere Olaf Scholz bei den Sozialdemokraten oder die kumpelhaften Annalena Baerbock oder Robert Habeck bei den Grünen. Diese Gegenkandidaten könnten Söder seinen aggressiven Stil vorhalten.
CONTRA: Söders Gegner haben auch viele Fans
So schlecht sie auch momentan in den Umfragen bei den Bürgern wegkommen: Friedrich Merz und Armin Laschet haben innerhalb ihrer Partei nach wie vor eine große Fanbasis. Laschet hat großen Rückhalt beim einflussreichen nordrhein-westfälischen CDU-Landesverband, vor allem bei eher liberaleren Politikern. Und Merz finden viele konservativere CDU-Mitglieder gut, unter anderem in Baden-Württemberg.
Wenn Söder die nötige CDU-Unterstützung für eine Kanzlerkandidatur bekommen will, muss die stärker sein als der Rückhalt für Merz und Laschet. Momentan scheint es noch nicht so weit zu sein.
CONTRA: Vielleicht will Söder doch in Bayern bleiben
Wer als bayerischer Ministerpräsident als Kanzler nach Berlin will und dann verliert, der holt sich eine blutige Nase. Das ist auch Edmund Stoiber passiert, dem bisher letzten Kanzlerkandidaten aus der CSU. Nach seiner Niederlage gegen Schröder war er in Bayern angeschlagen – und hat nie wieder die vorherige Stärke erreicht. Am Ende wurde Stoiber von der eigenen Partei gestürzt: im Januar 2007, bei der legendären Klausurtagung der CSU im Alpendorf Wildbad Kreuth.
Söder – der selbst Stoibers Generalsekretär war – weiß das gut. Er ist ein umtriebiger Karriereplaner. Söder wird deshalb nicht in einen politischen Kampf gehen, in dem er mehr Gefahren als Chancen für sich sieht.
Genau ein solcher Kampf könnte die Bundestagswahl 2021 sein: Weil die CDU trotz momentan guter Umfragewerte in einer Übergangsphase ist und nach der Rückzugsankündigung von Annegret Kramp-Karrenbauer noch immer keinen neuen Chef hat. Weil die Corona-Krise wieder ausarten kann: Wenn es eine zweite große Infektionswelle gibt, wenn die Wirtschaftskrise in Deutschland tatsächlich noch viel mehr Menschen den Job kostet als bisher. Oder, wenn die größeren politischen Gegner der CDU wieder stärker werden: die Grünen (was relativ wahrscheinlich ist), die SPD (eher unwahrscheinlich) oder die AfD (was davon abhängt, ob die Corona-Krise viele Wähler verbittert).
Markus Söder könnte also Ministerpräsident in Bayern bleiben. Und es dann vielleicht erst 2025 versuchen mit dem Kanzleramt. Er wäre dann 58 Jahre alt. Das wäre immer noch ein passables Alter für einen Kanzler.
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