Nordrhein-Westfalen hat gewählt. Die klaren Gewinner des Wahltages: Grüne und CDU. Die klaren Verlierer: SPD und FDP. Aber auch die AfD hat – wie bei den vorangegangenen Wahlen in diesem Jahr – Wählerstimmen verloren. Sie wird mit 12 Abgeordneten (5,4 Prozent) in den Düsseldorfer Landtag einziehen. Die Linken (2,1 Prozent) hingegen fliegen raus. Sie sind in NRW, wie auch in Schleswig-Holstein und im Saarland nicht länger im Landtag vertreten.
Die wichtigsten Erkenntnisse hat watson für euch zusammengefasst.
Die Landtagswahl in NRW wird auch kleine Bundestagswahl genannt – natürlich lässt sich Bundespolitik und Landespolitik nicht aufeinander übertragen. Doch das bevölkerungsreichste Bundesland kann mit seinen 13 Millionen Wahlberechtigten zumindest einen Eindruck für die Stimmung im Land geben. Und für die Zufriedenheit mit der Ampel-Koalition unter Kanzler Olaf Scholz (SPD). Und wenn das so ist, sieht es für zwei der drei Koalitionspartner nicht so rosig aus.
Denn in NRW sind die SPD und die FDP die Verlierer der Wahl. Auch wenn die SPD noch darauf hofft, trotz eines historisch schlechtem Ergebnis (27 Prozent) den Ministerpräsidenten zu stellen. Die FDP (5,5 Prozent) hat ihr Ergebnis mehr als halbiert und wird sich nun mit der Analyse dessen auseinandersetzen müssen. Kurz: Beide Parteien wurden von den Wählern in NRW abgestraft. Ähnlich erging es beiden Parteien schon im Norden, bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein.
Eine ARD-Statistik von Infratest dimap zeigt aber auch, dass die Menschen in NRW (55 Prozent) zufriedener sind, mit der Arbeit der Bundesregierung als der bundesdeutsche Durchschnitt (41 Prozent). 46 Prozent der Befragten geben außerdem an, Olaf Scholz verfolge in der Ukraine den richtigen Kurs. Deutschlandweit sehen das nur 38 Prozent der Befragten so.
Der Dritte Koalitionspartner (Grüne) hingegen fährt ein historisches Ergebnis ein – die Stimmen für die Partei haben sich im Vergleich zu 2017 verdreifacht. Eine ARD-Statistik von Infratest dimap zeigt: Preissteigerung, Klima und Energieversorgung spielten die wichtigsten Gründe für die Wahlentscheidung in NRW.
Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte sagt der dpa, der Ausgang der NRW-Wahl komme für die Regierungskoalition im Bund einem "politischen Erdbeben" gleich. "Es gibt den Triumph der Grünen mit der – so könnte man sagen – Zweitkanzlerin Annalena Baerbock, und die anderen verlieren massiv. Die Ampel ist sehr unter Druck", sagt Korte.
Der Oppositionsführer im Bundestag, Friedrich Merz, hat hingegen Grund zur Freude: 58 Prozent der befragten Wählenden in NRW sehen in ihm eine große Unterstützung für die Landes-CDU. 53 Prozent sogar einen Politiker mit Kanzlerpotenzial. Das dürfte dem CDU-Chef schmeicheln. Und auch unabhängig davon hat er Grund zur Freude. Nach dem klaren Wahlsieg in Schleswig-Holstein hat die CDU mit 35,7 Prozent auch in NRW dazugewonnen. Damit ist der Weg für Spitzenkandidat Hendrik Wüst frei, erneut Ministerpräsident zu werden. Vorausgesetzt, die Grünen lassen sich auf eine Koalition ein.
"Die CDU ist zurück", freut sich Merz auf Twitter.
Sie sind die sogenannten Königsmacher. Ohne die Grünen ist kaum eine Koalition denkbar – und mit ihrem historisch-guten Ergebnis (18,2 Prozent) hat die Partei eine starke Position in den Verhandlungen. Gerade bei den Jung- und Erstwählenden war die Partei mit 27 Prozent der abgegebenen Stimmen besonders stark.
"Ich freue mich sehr über das super Ergebnis für die Grünen, wir haben als Grüne Jugend entschieden dazu beigetragen, dass vor allem junge Menschen sich für echte soziale Gerechtigkeit und Klimaschutz entschieden haben", schreibt Nicola Dichant, Landessprecherin der Grünen, auf watson-Nachfrage.
Dichant freue sich besonders darüber, dass gleich drei Kandidierende der Grünen Jugend (GJ) in den Düsseldorfer Landtag einziehen und "die Jugend endlich eine Stimme im Parlament hat." Die GJ habe für linke Mehrheiten gekämpft – also für eine Rot-Grüne Regierungskoalition – "dafür hat es heute knapp nicht gereicht. Wir können aber auch feststellen, dass die schwarz-gelbe Stillstandskoalition heute abgewählt wurde", meint Dichant.
Aus ihrer Sicht sehen weder die CDU noch die FDP den notwendigen Aufbruch. Dichant ergänzt: "Die Menschen in NRW haben aber ganz klar gezeigt: Sie wollen echte Veränderung."
Die Grünen-Spitzenkandidatin Mona Neubaur bescheinigt der CDU ein moderneres Auftreten im zurückliegenden NRW-Landtagswahlkampf. Auf die Frage, was nach der Wahl vom Sonntag für die CDU spräche, sagt sie am Wahlabend in den ARD-Tagesthemen:
Entscheidendes Kriterium der Grünen sei nun aber, wie viele eigene Inhalte man am Verhandlungstisch mit anderen Parteien erstreiten könne.
Die CDU und ihr Spitzenkandidat Hendrik Wüst sind bei der Landtagswahl mit einem Abstand von neun Prozentpunkten zur SPD ganz klar die stärkste Kraft. "Das ist der Auftrag, eine künftige Regierung zu bilden und zu führen", sagt Wüst. Gefeiert wird auf der CDU Wahlparty mit 500 Litern Bier.
Bisher regierte die CDU in NRW gemeinsam mit der FDP. Diese Koalition ist durch die Wahlflaute der Liberalen abgewählt worden. Jetzt steht ein schwarz-grünes Bündnis im Raum: "Es gibt zwei Gewinner heute Abend. Das sind die Grünen und das ist die CDU, meine Partei", sagt Wüst am Wahlabend. Er kündigt an, mit allen Fraktionen außer der AfD über die Regierungsbildung zu sprechen.
34 Prozent der befragten Stimmberechtigten haben in einer ARD-Statistik der Infratest dimap angegeben, eine Schwarz-Grüne Koalition gut für NRW zu finden. Die meisten Wählenden hat die CDU in den Altersgruppen ab 40 Jahren. Bei den Erst- und Jungwählern hingegen haben nur 19 Prozent den Christdemokraten ihre Stimme geschenkt.
Bei einer möglichen Regierungsbildung werden CDU und Grüne sicherlich über klimapolitische Themen streiten müssen – viel Kritik übten die Grünen im Vorfeld der Wahl beispielsweise am langsamen Windkraftausbau von CDU und FDP.
Die SPD hat mit 26,7 Prozent der Stimmen ihr historisch schlechtestes Ergebnis in der einstigen Herzkammer der Sozialdemokraten eingefahren. Das muss für die Partei ähnlich enttäuschend sein, wie das Ergebnis in Schleswig-Holstein. Dort hat die Kanzler-Partei noch mehr an die CDU verloren, allerdings war es dort weniger überraschend.
Die Stimmung auf der Wahlparty ist entsprechend getrübt. Und trotzdem hoffen die Genossinnen und Genossen darauf, die Landesregierung künftig anzuführen. "Ich bin bereit", sagt der SPD-Spitzenkandidat Thomas Kutschaty. Der Sieg der CDU und das starke Ergebnis der Grünen bedeuteten nicht automatisch, dass beide eine Regierung formten, sagt er. Es seien durchaus noch andere Optionen denkbar.
SPD-Bundeschef Lars Klingbeil sieht das ähnlich, formuliert aber am späteren Abend in der ARD-Sendung "Anne Will" zurückhaltender als noch unmittelbar nach Wahlschluss:
"Wir haben geschafft, dass Schwarz-Gelb abgewählt wurde", sagt der Landesvorsitzende der Jungsozialisten (Jusos), Konstantin Achinger, im Gespräch mit watson, kurz nach Veröffentlichung der ersten Hochrechnungen. Und weiter: "Wir wünschen uns eine Fortschrittskoalition in Nordrhein-Westfalen – und die sehen wir mit den Grünen gemeinsam, jetzt müssen wir schauen, ob das möglich sein wird."
Trotz allem müsse man nun an die Analyse des Wahlergebnisses gehen, denn klar sei auch, dass die SPD damit nicht zufrieden sein könne. Er wagt eine vorsichtige Einschätzung: "Natürlich hat der Krieg in der Ukraine den Wahlkampf überstrahlt – es ist uns nicht gelungen, landespolitischen Themen den Raum zu geben."
Aus Sicht von Achinger schlage sich dieses Problem auch in der geringen Wahlbeteiligung nieder. Rund 13 Millionen Menschen waren in NRW – dem bevölkerungsreichsten Bundesland – zur Wahl aufgerufen. Gerade mal ein bisschen mehr als die Hälfte (55,5 Prozent) haben ihr Recht wahrgenommen: Die Wahlbeteiligung ist damit auf einen historisch niedrigen Wert gefallen.
Gerade einmal 5,9 Prozent der Stimmen haben die Liberalen laut dem vorläufigen amtlichen Endergebnis eingeholt. Das ist zumindest mehr, als nach den ersten Hochrechnungen. Dort wurde die FDP noch bei exakt fünf Prozent eingestuft. 2017 war die Partei allerdings mehr als doppelt so stark – und in den vergangenen fünf Jahren Teil der Landesregierung.
Alexander Steffen, der Landesvorsitzende der Jungen Liberalen NRW, sagt im Gespräch mit watson, kurz nach der ersten Hochrechnung:
Was Steffen trotz allem positiv stimme, sei ein Blick auf die Statistiken. Und zwar auf jene, die aufschlüsseln, wie die verschiedenen Altersgruppen gewählt haben. Steffen sagt: "Wir haben bei den jungen Menschen im Vergleich mit 2017 kaum verloren." Anders sehe es bei den anderen Altersgruppen aus – bei den Menschen über 40 Jahre hat die FDP die fünf-Prozent-Hürde nicht geknackt. "Bei den jungen Menschen sind wir immerhin nach wie vor sehr stabil zweistellig. Das heißt für mich, dass wir uns anschauen müssen, was wir da besonders gut gemacht haben", fasst Steffen zusammen.
Mit Blick auf eine mögliche Regierungsbeteiligung in einer Ampelkoalition sagt er: "Bei einer Partei, deren Ergebnisse sich mehr als halbiert haben, würde ich diese Frage erst einmal nicht stellen."
Ähnlich äußert sich der FDP-Spitzenkandidat und bisherige Vize-Ministerpräsident Joachim Stamp. Angesprochen auf eine denkbare Beteiligung der FDP in einer Ampel-Koalition sagt Stamp im WDR: "Sie glauben doch nicht, dass wir angesichts dieses Ergebnisses jetzt hier über Regierungsbeteiligung spekulieren." Unter Demokraten schließe man zwar nie Dinge grundsätzlich aus. Aber es seien "andere am Zug, hier die Regierung zu bilden."
(Mit Material von dpa)