Finden die Kommunen gar nicht gut: Die geplanten Kürzungen von Finanzminister Olaf Scholz Bild: imago/watson-montage
Deutschland
01.04.2019, 10:2401.04.2019, 10:32
Wenn der Eppinger Oberbürgermeister
Klaus Holaschke derzeit an Olaf Scholz denkt, wird er sauer. Zwar
liegen mehr als 600 Kilometer zwischen Holaschkes Rathaus in dem
beschaulichen Städtchen im Kreis Heilbronn und dem SPD-geführten
Finanzministerium in Berlin. Aber Holaschke fürchtet, dass Scholz und
seine Politik das Zusammenleben in seiner 22.000-Einwohner-Stadt
verändern wird. Ihm gehe es nicht nur ums Geld. Der soziale
Zusammenhalt sei in Gefahr, warnt er.
Scholz will den Großteil der Flüchtlingsgelder des Bundes an die
Länder streichen. Ende 2019 laufen mehrere Regelungen der
Kostenübernahme für Flüchtlinge aus: die 670-Euro-Pauschale für
Ausländer im Asylverfahren, die Integrationspauschale und die
Übernahme der Unterkunftskosten für anerkannte Flüchtlinge.
Stattdessen plant das Finanzministerium eine Pauschale von 16.000
Euro pro Flüchtling für die ersten fünf Jahre nach der Ankunft. Damit
würde der Bund seine Unterstützung nach Berechnung der Hamburger
Senatskanzlei von derzeit 4.7 Milliarden auf rund 1.3 Milliarden Euro
im Jahr 2022 senken. Scholz begründet seine Pläne damit, dass längst
nicht mehr so viele Asylbewerber nach Deutschland kommen wie noch
2015. Und er verweist darauf, dass CDU, CSU und SPD im
Koalitionsvertrag Aufwendungen von 8 Milliarden Euro zur Entlastung
von Ländern und Kommunen vereinbart haben. Wenn wieder mehr
Flüchtlinge kämen, stiegen nach seinem Modell auch die Kosten für den
Bund.
Die Länder stoßen sich unter anderem daran, dass das Geld nur
noch für anerkannte Flüchtlinge fließen soll und nicht für
Asylbewerber. Wie lange so ein Asylverfahren dauert, hängt aber am
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) - einer Bundesbehörde.
Und viele Migranten bleiben trotz abgelehntem Asylantrag noch lange
im Land und verursachen Kosten. "Die Länder haben keinen direkten
Einfluss darauf, die Verfahren zu beschleunigen", sagt der Hamburger
Senatssprecher Marcel Schweitzer. Die Länder laufen Sturm gegen seine
Pläne, auch die Städte und Gemeinden begehren auf - von Bremen bis
Baden-Württemberg.
Eppingen, Baden-Würtemberg
"Die Kommunen sind die Orte der Wahrheit, weil hier die Menschen
aufschlagen", findet Klaus Holaschke. Er ist seit 15 Jahren
Oberbürgermeister der Gemeinde mit dem Motto "Fachwerk mit Pfiff"
nördlich von Stuttgart, direkt an der Grenze zwischen Baden und
Württemberg. Klar, es kämen nicht mehr so viele Flüchtlinge wie 2015,
räumt er ein. Aber viele Asylbewerber, die bereits hier sind, würden
erstmal bleiben – auch wenn ihr Antrag abgelehnt wurde. Holaschke
erzählt, dass erst am Dienstag ein geduldeter Nigerianer ins Rathaus
spaziert sei und einen Antrag auf Familienzusammenführung für seine
Frau und vier Kinder gestellt habe.
Nach zwei Jahren der vorläufigen Unterbringung sind im Südwesten
die Gemeinden für die Anschlussunterbringung zuständig. "Jetzt kommen
die Menschen zu uns", sagt Holaschke. Bereits jetzt könne Eppingen
Dutzende Flüchtlinge nicht unterbringen. Aber es geht Holaschke nicht
nur ums Wohnen. Er sorgt sich auch um seine Integrationsmanagerin.
Martina Xander steht im örtlichen Jugendzentrum, hinter ihr
sitzen Frauen an einem langen Tisch und murmeln Sätze wie: "Keinen
Kaffee, bitte" oder "Haben Sie auch einen Hund?" Deutschkurs für
geflüchtete Frauen, Anfängerniveau. Martina Xander kennt viele der
Frauen. Die 53-Jährige arbeitet seit 2019 als Integrationsmanagerin
in Eppingen. Die ausgebildete Krankenschwester kümmert sich um
Lebensläufe, Arztbesuche, schwer verständliche Behördenpost.
Rund 1250 solcher Integrationsmanager sind in Baden-Württemberg
im Einsatz, um Flüchtlingen vor Ort zu helfen. Xanders Job steht nun
auf der Kippe. Ihre Stelle ist auf zwei Jahre befristet. Wenn ihr
Vertrag nicht verlängert wird, will sie wieder als Krankenschwester
arbeiten, sagt sie. Der baden-württembergische Sozialminister Manne
Lucha (Grüne) hält die Kürzungspläne von Scholz deshalb für ein
"fatales Signal". "Integration hört nicht auf, wenn Geflüchtete die
Erstaufnahmeeinrichtungen verlassen – im Gegenteil, sie fängt dann
erst richtig an und dauert über Jahre hinweg."
Im baden-württembergischen Landeshaushalt sind knapp eine
Milliarde Euro für 2019 für Flüchtlings- und Integrationsausgaben
vorgesehen – mit stark rückläufiger Tendenz. Gleichzeitig würde die
Integration an Bedeutung gewinnen, heißt es in der mittelfristigen
Finanzplanung. Eppingen erhielt vom Land allein 2017 und 2018 knapp
300.000 Euro an Pauschalen für die Anschlussunterbringung und 200.000
Euro für das Integrationsmanagement für zwei Jahre.
"Was vom Bund nicht kommt, kann vom Land nicht weitergegeben
werden", sagt Klaus Holaschke. Er hofft auf weitere Verhandlungen in
Berlin. "Ich bin sicher, dass Scholz damit nicht durchkommt."
Integration sei eine gesamtgesellschaftliche Daueraufgabe, sagt er.
Auch ein reiches Bundesland wie Baden-Württemberg könne das nicht
allein bewerkstelligen.
"Integration ist ein Marathon" – die Lage in Bremen
Wenn schon ein reiches Bundesland wie Baden-Württemberg die
Kürzungen der Flüchtlingsmittel fürchtet, wie sieht es dann in einem
armen Land wie Bremen aus? Die Freie Hansestadt sitzt auf 20
Milliarden Euro Schulden. Ihr Haushalt gilt als notleidend und ist
jahrelang unter strenger Aufsicht des Bundes saniert worden. Erst
2020 zeichnet sich etwas finanzieller Spielraum ab.
Wie überall sind die Zahlen neuer Asylbewerber in Bremen
gesunken. Nach dem Höchststand von 10.274 Geflüchteten 2015 waren es
2018 noch 1358 Neuankömmlinge. 2018 wurden statt geplanter 212
Millionen Euro für Flüchtlinge nur 164 Millionen Euro ausgegeben.
Allerdings sind besonders viele unbegleitete minderjährige
Flüchtlinge an die Weser gekommen. Bremen erfülle seine Aufnahmequote
allein schon durch die Härtefälle unter diesen Jugendlichen, sagt ein
Sprecher von Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne).
Die rückläufigen Zahlen änderten nichts daran, dass immer noch
viele Flüchtlinge versorgt und integriert werden müssten, sagte
Stahmann: "Integration ist ein Marathon. Er ist nicht beendet, wenn
die Flüchtlinge aus den Schlagzeilen verschwunden sind." Eine Kürzung
stelle die Weichen falsch. "Wer am Anfang nicht massiv investiert,
darf sich am Ende über die Folgekosten nicht wundern."
Mit besonderen Sorgen sehen Nichtregierungsorganisationen in der
Flüchtlingshilfe mögliche Kürzungen. Refugio in Bremen beispielsweise
bietet psychotherapeutische Behandlungen für Flüchtlinge und
Folteropfer. Das ist wichtig, doch im Asylbewerberleistungsgesetz so
nicht vorgesehen. "Wir haben etwa 450 Ratsuchende im Jahr, und wir
haben in den vergangenen Jahren keinen Rückgang wahrgenommen", sagt
Refugio-Sprecher Marc Millies. Refugio finanziert sich neben Spenden
und eigenen Einnahmen auch zu 18 Prozent aus Mitteln des Bremer
Senats. Wenn der Bund weniger Geld gibt, könnten solche Zuwendungen
auf der Kippe stehen. "Da würde an Erstversorgung und Prävention am
falschen Ende gespart", kritisiert Millies.
Der Verein Fluchtraum baut in Bremen seit 2017 mit staatlichem
Geld ein Beratungs- und Betreuungszentrum für junge Flüchtlinge auf.
Es richtet sich an die jungen Männer und Frauen, die mit 18 Jahren
die Jugendhilfeeinrichtungen verlassen müssen. "Sie sind noch nicht
so weit, dass sie sich zurechtfinden können", sagt Claudia Schmitt,
Vereinsvorsitzende und im Hauptberuf Lehrerin für Flüchtlingsklassen.
Für die Ehrenamtlichen sei es ein "Zeichen von Wertschätzung", wenn
ihre Arbeit unterstützt werde - und sei es mit einem kleinen Betrag.
"Ich fürchte, dass diese Arbeit Gefahr läuft, nicht weiter gefördert
zu werden."
Bis zum Sommer sollen die Verhandlungen über den Bundeshaushalt
eigentlich abgeräumt sein. Den Ministerpräsidenten dürften noch
anstrengende Gespräche mit Scholz bevorstehen. Dass sie so viel
Gelder für Flüchtlinge erhalten wie bisher, gilt als sehr
unwahrscheinlich.
(ts/dpa)
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