Dieser Artikel stammt aus dem April 2019. Xavier Naidoo hat in einem aktuellen Video die Behauptung wiederholt, wonach fast täglich ein "Gast dem Gastgeber ein Leben stiehlt". Daher haben wir uns entschieden, euch diesen Faktencheck aus dem vergangenen Jahr erneut zu präsentieren. Denn er zeigte: Die Behauptung ist falsch.
Xavier Naidoo bei einem Konzert.Bild: imago images / Kadir Caliskan
Am Dienstag hat Bundesinnenminister Horst Seehofer die Polizeiliche Kriminalstatistik für das Jahr 2018 vorgestellt. Seehofers Fazit: Die Kriminalitätszahlen seien rückläufig, Deutschland werde sicherer.
Ebenfalls am Dienstag hat der rechtskonservative Publizist Roland Tichy auf dem Youtube-Kanal seines Magazins "Tichys Einblick" ein Video veröffentlicht, in dem ein gänzlich anderes Bild gezeichnet wird. Darin behauptet Tichy unter anderem:
"Wir haben das versucht zu erheben, seit 2015, in einem sehr mühsamen Prozess und sind drauf gekommen: Jeden Tag wird ein Mensch durch einen zugewanderten Schutzsuchenden umgebracht. Jeden Tag."
youtube/tichys einblick
In den vergangenen vier Jahren sei im Schnitt täglich ein Mensch in Deutschland durch einen Asylbewerber (nichts anderes bedeutet "zugewanderter Schutzsuchender") getötet worden – so die Behauptung. Wie er diese Zahl erhoben haben will, erklärt Tichy in dem Beitrag nicht. Einen Beleg für die Behauptung bleibt er schuldig.
Trotzdem wird die Aussage im Internet munter weiterverbreitet – unter anderem durch den AfD-Bundestagsabgeordneten Petr Bystron. Der postete am Mittwoch ein Leichen-Symbolbild mit dem Tichy-Zitat auf seiner Facebook-Seite. Das Bild wurde seitdem mehr als 400 mal geteilt, unter anderem von AfD-Politikern und Gebietsverbänden der Partei.
Bild: screenshot/bearbeitung: watson
Ein Blick in die Statistik zeigt: Das stimmt nicht.
Das Bundeskriminalamt betreibt eine jährliche Statistik über Straftaten, die mutmaßlich von "Zuwanderern" begangen wurden.
Unter dem Begriff "Zuwanderer" fasst das BKA Menschen mit verschiedenem rechtlichen Status zusammen: Asylbewerber, Schutzberechtigte, Asylberechtigte und Kontingentflüchtlinge, Geduldete, und Menschen, die sich unerlaubt in Deutschland aufhalten.
In den BKA-Berichten "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung" werden seit 2015 aufgeklärte Straftaten aufgeführt, bei denen mindestens ein "Zuwanderer" als Tatverdächtiger ermittelt wurde.
Bei den "Straftaten gegen das Leben" werden in den Berichten zwei Zahlen genannt. Die höhere Zahl schließt auch versuchte Tötungsdelikte mit ein. Die zweite Zahl nennt nur die "vollendeten". Wer Tichys Zahlen überprüfen will, muss also auf letztere schauen.
So viele "vollendete Tötungsdelikte", an denen "Zuwanderer" mutmaßlich beteiligt waren, gab es laut BKA in den letzten Jahren:
2018: 61
2017: 85
2016: 53
2015: 35
In diesen Fällen waren "Zuwanderer" zumindest Tatverdächtige. Ob sie tatsächlich auch die Täter waren und verurteilt wurden, geht aus der Statistik nicht hervor.
Rechnet man die BKA-Zahlen aus den Jahren 2015-2018 zusammen, ergibt das 234 Fälle. Hätte Roland Tichy recht, wäre also tatsächlich im Schnitt ein Mensch am Tag durch "zugewanderte Schutzsuchende" getötet worden, wären das 1.461 Todesopfer.
Auf eine ähnlich hohe Zahl (1.495) kommt man lediglich, wenn man auch alle versuchten "Straftaten gegen das Leben" mitrechnet. Dazu zählen übrigens neben Mord und Totschlag auch Fahrlässige Tötung oder Abtreibungen außerhalb der gesetzlichen Regelungen.
Fazit: Die Aussage ist falsch
Die Statistik des Bundeskriminalamtes weist deutlich niedrigere Zahlen aus. Weder Roland Tichy noch AfD-Politiker wie Petr Bystron haben Beweise für die Behauptung genannt.
Update: Am Freitag hat das Bundesinnenministerium auf eine watson-Anfrage zur Behauptung Roland Tichys geantwortet und unsere Recherche bestätigt. Ein Sprecher teilte mit: "Die in diesem Zusammenhang relevanten statistischen Daten werden mit dem Bundeslagebild 'Kriminalität im Kontext von Zuwanderung' veröffentlicht. Die von Ihnen zitierte Aussage ist mit den uns vorliegenden Zahlen nicht belegbar."
Ukraine-Krieg: Selenskyj und Putin äußern sich überraschend zu Friedensverhandlungen
Seit über 1000 Tagen herrscht bereits Krieg in der Ukraine. Und das, obwohl der russische Präsident Wladimir Putin das kleinere Nachbarland binnen weniger Tage einnehmen wollte. Nach bald drei Jahren herrscht eine enorme Kriegsmüdigkeit – nicht nur in der Ukraine.