Berliner feiern ohne das ausgeschnittene Emblem aus der DDR-Fahne den Fall der Berliner Mauer rittlings auf eben jener sitzend im nächtlichen Berlin.Bild: imago stock&people, via www.imago-images.de
Deutschland
03.10.2019, 12:4603.10.2019, 12:48
In diesem Jahr jährt sich der Mauerfall zum 30. Mal. Am 3. Oktober wird die Deutsche Einheit
gefeiert. Doch wie steht es um Ost und West heute? Stimmt es, dass die
Gräben wieder tiefer geworden sind?
Wer mit dem Fahrrad durch Berlin fährt, spürt an einem
kleinen Holpern, dass die Stadt 28 Jahre lang von einer Mauer geteilt
war. Eine Schwelle mit Pflastersteinen zeichnet die Grenze zwischen
Ost und West nach. Ein Blick auf die Straße, dann der Gedanke an
einen berühmten Satz: Als vor 30 Jahren die Mauer fiel, hat Willy
Brandt gesagt, dass jetzt zusammenwächst, was zusammengehört.
Danach war viel von der "Mauer in den Köpfen" die Rede.
Die 90er
Jahre waren die Zeit der Klischees: Vom Jammerossi, der Opfer der
Besserwessis wurde, der sich die "neuen Länder" einverleibte. Seit
dem Ende der DDR ist im Osten alles anders, im Westen wenig. Wer
heute nach Köln oder Mainz fährt, könnte denken: Das ist die alte
BRD, aber mit Latte Macchiato. Ex-Innenminister Thomas de Maizière
brachte es in einer ZDF-Doku so auf den Punkt:
"Für die Ostdeutschen hat sich mit der Wende alles geändert, für die Westdeutschen nur die Postleitzahl."
Fast alle Ostdeutschen (95 Prozent) waren laut einer Umfrage schon im
Westen. Für nicht wenige Westdeutsche ist der deutsch-deutsche
Tourismus aber eine Einbahnstraße, jeder Fünfte war noch nie im
Osten. Wobei man das einschränken sollte: Die DDR war viel kleiner
als die BRD, im ganzen Osten leben etwa so viele Menschen wie in
Nordrhein-Westfalen. Zu den Klischees: Ein Drittel der Wessis sagt,
dass Ostdeutsche immer jammern. Das sagt allerdings auch ein Viertel
der Ostdeutschen über sich selbst.
Das Klischee vom Besserwessi hält sich ebenfalls, genauso wie der
nostalgische Blick auf DDR-Zeiten, wenn es um Solidarität und
Nachbarschaft geht. Was vielen im Osten nicht bewusst scheint:
Dörfliches Miteinander und Oma-Tugenden wie Vorräte horten oder
Einkochen hat es auch im Westen früher mehr gegeben. Es war
vielleicht nicht so überlebensnotwendig wie in der DDR.
Gerade in jüngster Zeit heißt es oft, die Gräben zwischen Ost und
West würden wieder tiefer. Wie sieht es heute mit den
Befindlichkeiten aus? Nachgefragt bei zwei Autoren aus West und Ost.
West:
Die Schriftstellerin Tanja Dückers (50, "Hausers Zimmer",
"Himmelskörper") kann sich gut an das Lebensgefühl in West-Berlin
erinnern, als die Stadt noch eine schwer zugängliche Insel war. "Ich
habe 21 Jahre hinter dieser Mauer gewohnt. Erst nachdem die Mauer
gefallen ist, habe ich richtig begriffen, wie absurd das war",
erzählt sie. "Für mich gab es so einen retrospektiven Schreck, und
den habe ich tatsächlich vor der Wende nicht gehabt, weil ich nichts
anderes kannte. In den 90ern habe ich dann oft gedacht: Bin ich da
wirklich aufgewachsen?"
Bild: picture alliance/dpa
Sie weiß, wie unterschiedlich sich Ost und West wahrnehmen. Klar
werde sie noch als Wessi angeguckt: "Das ist nicht unbedingt negativ,
sondern eher ein Distanzmoment", sagt Dückers. "Du bist aus dem
Westen", das bedeute eigentlich erst mal nur: "Du bist anders."
Für ein Missverständnis auf Ostseite hält sie, dass es den Westlern
immer gut gegangen sei und sie immer Geld gehabt hätten. "Es ist eine
Überschätzung der Situation des Westens. Vom Westen her betrachtet
hat man es individualbiografisch unterschätzt: Nicht jeder, der bei
der SED war, war ein Monster."
Dass sich Gräben zwischen Ost und West vertiefen, findet sie etwas
populistisch als Aussage. "Ich bin anderer Meinung. Ich sehe, dass
sehr viele Ehen zwischen Ost und West geschlossen werden und sich
viele Kinder überhaupt nicht mehr darüber definieren, wo die Eltern
herstammen. Ich glaube aber, dass man die Zeit unterschätzt hat, die
dieses Zusammenwachsen braucht." Ihrer Meinung spielt eine andere
Kluft in Deutschland eine größere Rolle als die zwischen Ost und
West: die zwischen Stadt und Land.
Ost:
Der in Dresden geborene Schriftsteller Ingo Schulze (56, "Adam und
Evelyn", "Simple Storys") hat in vielen Büchern Ost-West-Geschichten
erzählt. "Nach meiner Erfahrung konnte man Ende der 90er Jahre
gelassener über den Osten sprechen als heute", sagt er. "Dann kam
eine Politik, für die Hartz IV zum Synonym geworden ist und die
tatsächlich Armut säte, darauf folgte die Finanzkrise von 2008." Die
habe das jetzige System in Frage gestellt.
(Archivbild)Bild: dpa
Er sei überzeugt, dass die Erfahrungen von Beginn der 90er Jahre
keinesfalls weniger prägend gewesen seien als die Erfahrungen in der
DDR. Diese hätten ja auch die Erfahrung gebracht, ein System
friedlich ändern zu können. Natürlich werde die Herkunft immer eine
Rolle spielen, findet Schulze. Es komme halt auf den Kontext an. "Die
Frage ist, wie damit umgegangen wird. Und ob immer nur die eine Seite
in Frage gestellt wird."
(hd/dpa)
Die Geschichte des Bundestages in 17 Daten
1 / 19
Die Geschichte des Bundestages in 17 Daten
Ab jetzt AfD-Osten? So ein Quatsch!
Video: watson
Als wäre der russische Angriffskrieg in der Ukraine nicht schon genug, eskaliert der Konflikt weiter. Nach russischen Angaben hat das Land am Donnerstagmorgen mit einer neu entwickelten Mittelstreckenrakete die ukrainische Großstadt Dnipro beschossen, eine "Hyperschall-Rakete". Sechs Sprengköpfe schlugen dort ein. Der russische Präsident Putin sagte, es seien keine Atomsprengköpfe gewesen.