Die Politik muss beim Klimaschutz nachbessern, um die Freiheitsrechte künftiger Generationen zu schützen. Das Bundes-Klimaschutzgesetz greife zu kurz, urteilte das Bundesverfassungsgericht am Donnerstag. Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber, bis Ende kommenden Jahres die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Verfassungsbeschwerden mehrerer Klimaschützer waren damit zum Teil erfolgreich.
Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden seien durch die Regelungen in dem Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt, erklärten die Richter. "Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030."
Mehrere Spitzenpolitiker begrüßten das Urteil. "Für den Klimaschutz ist das erstmal ein Ausrufezeichen", sagte zum Beispiel Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) kurz nach Bekanntwerden des Urteils. So reagierten Politik und Umweltverbände auf das Urteil:
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Klimaklagen zu parteiübergreifender Zusammenarbeit für den Klimaschutz aufgerufen. Alle demokratischen Parteien müssten sich mit glaubwürdigen Konzepten an der Debatte beteiligen, sagte Altmaier am Donnerstag in Berlin.
Altmaier sprach von einem "großen, historischen Urteil". Es sei von großer Bedeutung für den Klimaschutz und die Rechte junger Leute, aber auch für die Planungssicherheit der Wirtschaft. "Das Bundesverfassungsgericht hat uns heute ins Stammbuch geschrieben, dass die Frage, wie es nach 2030 weitergeht, nicht offenbleiben darf", sagte Altmaier.
Er selbst habe sich schon im September für konkrete Minderungsziele für jedes Jahr ausgesprochen. Dies sei ein wichtiger Punkt. "Daran entscheidet sich die Glaubwürdigkeit unserer Klimapolitik." Altmaier will in der kommenden Woche Vorschläge dazu machen, wie die Bemühungen um mehr Klimaschutz trotz des anlaufenden Wahlkampfs nicht unterbrochen werden können. Er hoffe, dass sich ein parteiübergreifender Konsens für die notwendigen Maßnahmen finde, sagte er.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Bundes-Klimaschutzgesetz zu kurz greift, als "historische Entscheidung" gefeiert. "Klimaschutz schützt unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel", erklärte Baerbock am Donnerstag auf Twitter. "Deshalb konkreter Auftrag für das Hier und Heute: Klimaschutzgesetz jetzt überarbeiten. Die nächsten Jahre sind entscheidend für konsequentes Handeln." Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner nannte das Urteil ein "vernichtendes Zeugnis für den Klimaschutz der Groko".
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mehr Ehrgeiz beim Klimaschutz gefordert. "Dieses Urteil ist ein klarer Auftrag, dass ambitionierter Klimaschutz überall oben auf der Agenda stehen muss", erklärte der Unions-Kanzlerkandidat am Donnerstag nach einer Videokonferenz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Das Urteil markiere einen "historischen Moment". Nachhaltigkeit und Klimaschutz seien Pflicht jeglicher Politik gegenüber den Bürgern von morgen. "Ambition, Aufbruch und Anstrengung – das muss uns beim Klimaschutz leiten", sagte der CDU-Bundesvorsitzende. NRW gehe dafür beim Kohleausstieg voran.
SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz hat Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) angesichts des Verfassungsgerichtsurteils zum Bundes-Klimaschutzgesetz zum Handeln aufgefordert. "Nach meiner Erinnerung haben Sie und CDU/CSU genau das verhindert, was nun vom Bundesverfassungsgericht angemahnt wurde. Aber das können wir rasch korrigieren. Sind Sie dabei?", schrieb der Bundesfinanzminister und Vizekanzler am Donnerstag auf Twitter. Zuvor hatte Altmaier bei dem Kurznachrichtendienst geschrieben, dass das Bundesverfassungsgericht ein "bedeutendes Urteil" erlassen habe, das "epochal für Klimaschutz" sei und für "Planungssicherheit für die Wirtschaft" sorge.
Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) hat infolge des Verfassungsgerichtsurteils angekündigt, Eckpunkte für ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz im Sommer vorzulegen. Die Entscheidung der Richter sei eine "deutliche Stärkung" für den Klimaschutz, betonte die SPD-Politikerin am Donnerstag per Twitter. "Das Bundesverfassungsgericht bestätigt damit auch den Mechanismus, den wir mit dem Klimaschutzgesetz eingeführt haben, und der jährlich sinkende Klimaziele für alle Sektoren vorsieht", schrieb die Ministerin. Kurz nach Bekanntwerden bezeichnete die SPD-Politikerin das Urteil aus Karlsruhe auf einem Pressetermin als "Ausrufezeichen" für den Klimaschutz.
FDP-Chef Christian Lindner betrachtet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts als "Anlass für einen klimapolitischen Neustart in Deutschland". "Wir brauchen nach Auffassung der Karlsruher Richter mehr Verbindlichkeit bei den Reduktionszielen für Treibhausgase", sagte er der "Heilbronner Stimme". "Diese Haltung vertritt auch die FDP", so Lindner.
Zugleich müsse die Politik aber stärker "auf Ideenwettbewerb und einen Technologieschub" setzen, verlangte Lindner. "Bisher hat sich die deutsche Klimapolitik planwirtschaftlich verzettelt und technologisch festgefahren." Lindner sagte, seine Partei schlage einen Deckel für das Treibhausgas CO2 vor, bei gleichzeitiger Offenheit und Wettbewerb um die effektivsten Wege zu dessen Vermeidung. "Was Spitzeninnovation wie Biontech in der Pandemie ist, das sollten neue Green-Tech-Unternehmen beim Klimaschutz werden."
CSU-Chef Markus Söder hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts eine Generalrenovierung des Bundes- und auch des bayerischen Klimaschutzgesetzes gefordert und angekündigt – und das schnell. Man müsse jetzt handeln und dürfe das nicht auf die lange Bank schieben, sagte Söder am Donnerstag nach turnusmäßigen gemeinsamen Beratungen der CSU-Spitze mit der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft. Und dabei müssten die Unionsparteien "Schrittmacher" sein und dürften nicht anderen hinterherlaufen.
Umweltverbände feiern das Urteil des Bundesverfassungsgerichts. Der Chef von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, sprach am Donnerstag von einem "sensationellen Urteil". Maßnahmen dürften demnach nicht länger aufgeschoben werden, weil dies die Freiheitsrechte künftiger Generationen gefährde.
"Mit diesem Urteil ist klar, dass der Kohleausstieg in Deutschland deutlich vorgezogen werden muss, dass klimaschädliche Verbrennungsmotoren viel schneller von der Straße müssen und wir eine Landwirtschaft brauchen, die Klima und Natur nicht weiter schädigt sondern künftig schützt", erklärte Kaiser. "Heute ist ein historischer Tag, ein Feiertag für all die vor allem jungen Menschen, die unermüdlich für besseren Klimaschutz auf die Straße gegangen sind."
Linken-Chefin Susanne Hennig-Wellsow hat das Karlsruher Urteil zum Klimaschutz als "mutmachend" bezeichnet. "Umso wichtiger ist es, das wir jetzt umsteuern", sagte die Parteichefin am Donnerstag der Nachrichtenagentur AFP. Es gehe um "gute Klimapolitik und soziale Gerechtigkeit, damit unsere Gesellschaft fit für die Zukunft wird."
Hennig-Wellsow kritisierte insbesondere CDU und CSU. "Die Union als Chefbremser beim Klimaschutz bürdet den Jungen nicht Lasten auf, sie erdrückt sie", sagte sie. "Parteien, die den nachfolgenden Generationen Zukunft und Freiheit verweigern, weil sie beim Klimaschutz nicht liefern wollen, sind nicht regierungsfähig."
Der frühere Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) hat das Klima-Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich begrüßt. "Es schlägt ein ganz neues Kapitel im grundrechtlichen Schutz der Bürger gegen freiheitsgefährdende Untätigkeit des Gesetzgebers auf", sagte Röttgen am Donnerstag dem Nachrichtenportal t-online. "Das Bundesverfassungsgericht hat sich als Garant von Zukunfts- und Freiheitsschutz betätigt."
Der Präsident des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), Jörg-Andreas Krüger, betonte: "Freiheit bedeutet jetzt gerichtlich verbrieft eine hohe Artenvielfalt und ein stabiles Klima." Das Urteil müsse dazu führen, dass die gesamte Politik auf die Begrenzung der Arten- und Klimakrise ausgerichtet werde. "Eine bloße Nachbesserung des vom Gericht bemängelten Klimaschutzgesetzes von 2019 wird nicht ausreichen." Das Kabinett müsse das Klimaschutzgesetz noch vor der Bundestagswahl reformieren und wirksamer machen, "mit einem Klimaziel von minus 70 Prozent bis 2030".
FDP-Vize Wolfgang Kubicki griff die große Koalition an. "Die Schludrigkeit, mit der die Koalition aus Union und SPD Gesetze formuliert, zeugt von einer ausgeprägten Unprofessionalität", sagte er den Zeitungen der "Funke Mediengruppe"
(vdv / mit Material von dpa)