Björn Höcke, Mike Mohring, Bodo Ramelow: In Thüringen geht die Suche nach einer Regierung weiter. Bild: Getty/imago images / Jacob Schröter/karina hessland/jens schicke/montage
Deutschland
02.11.2019, 11:1802.11.2019, 11:29
Die Linke hat die Thüringer Landtagswahl gewonnen, ihre bisherigen Koalitionspartner SPD und Grüne wurden von den Wählern allerdings gerupft. Doch auch fast eine Woche nach der Wahl in Thüringen ist noch vieles unklar.
Ob die FDP überhaupt in den Landtag kommt, wird sich erst am 7. November entscheiden. Aktuell hängt es an einer Handvoll Stimmen. Zuerst hatte die "Thüringer Allgemeine" berichtet, dass das FDP-Ergebnis um vier Stimmen nach unten korrigiert worden sei. Damit lägen die Liberalen eine Stimme über der Fünf-Prozent-Hürde. Laut dem MDR wurden aber auch in weiteren Wahlkreisen die FDP-Ergebnisse korrigiert – insgesamt liege die FDP 24 Stimmen über der Fünf-Prozent-Hürde. Noch aber heißt es: abwarten.
Außerdem ist die wichtigste Frage überhaupt noch nicht geklärt: Wer soll künftig in Thüringen regieren?
- Der Thüringer CDU-Chef Mike Mohring hatte bereits vor der Wahl eine Koalition mit der Linken und dem bisherigen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow kategorisch ausgeschlossen.
- Nach einigen öffentlichen Überlegungen bleibt Mohring nun beim Nein zur Linken – und brachte bei "Markus Lanz" sogar eine Minderheitsregierung ohne Linke und AfD unter CDU-Führung ins Gespräch (hier mehr dazu).
- Währenddessen denkt sein Stellvertreter Michael Heym laut darüber nach, eine Koalition mit der AfD einzugehen (hier mehr dazu).
- Und Bodo Ramelow? Der Wahlgewinner möchte gerne weiterregieren, aber noch ist völlig unklar, mit wem.
Wir haben die möglichen Koalitionen für euch einmal durchgespielt und überlegt, was sie bedeuten würden.
Linke & CDU: Die Hass-Ehe, die es noch nie gab
Die absolute Hass-Konstellation der Bundesparteien. Gab es noch nie und wird regelmäßig in Interviews ausgeschlossen.
Pro
- Stabile Mehrheit
- Nicht nur die AfD wäre in der Opposition, sondern auch Grüne, SPD und eventuell FDP. Das stärkt die Demokratie.
Contra
- Wenig inhaltliche Überschneidungen der beiden Parteien. Egal, bei welchen Themen. Fraglich, ob das lange halten kann.
- "Verwässert" das Profil der beiden Parteien. CDU und Linke müssten sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie über inhaltliche Unterschiede hinwegsehen, nur um an der Macht zu sein.
- CDU-Chef Mohring hat eine Koalition mit den Linken mehrfach abgelehnt, die Bundes-CDU sogar noch vehementer als er. Außerdem gibt es einen Beschluss vom CDU-Parteitag 2018, der eine Koalition mit Linke oder AfD ausschließt.
Das würde uns inhaltlich erwarten:
Inhaltlich wird es schwierig, bei CDU und Linken Übereinstimmungen zu finden. Zwar ist Bodo Ramelow kein klassischer Linker, sondern sehr pragmatisch unterwegs, aber die Wahlprogramme könnten gegensätzlicher nicht sein.
- Die CDU verspricht konsequenteres Abschieben von Menschen ohne Aufenthaltsrecht und möchte die Polizei vor Ort stärken.
- Außerdem möchte die CDU den ländlichen Raum stärken und die Infrastruktur sowie medizinische Versorgung vor Ort ausbauen.
- CDU und Linke setzen sich für bessere Bildung und den Schutz des Thüringer Waldes ein.
- Die Linke fordert kostenlose Kindergärten und mehr Pflegepersonal.
- Die Partei um Ramelow möchte einen höheren Mindestlohn und flächendeckende Tarifbindung. Schwierig umzusetzen mit der eher wirtschaftsliberalen CDU in Thüringen.
- Außerdem möchte die Linke die aktuellen Mieten einfrieren, mehr bezahlbaren Wohnungsbau und das Renten- und Lohnniveau an Westdeutschland anpassen.
Vielleicht könnte jeder ein bisschen was von seinem Wahlprogramm umsetzen, aber wirklich glücklich wird wohl keine der Parteien.
Linke & SPD & Grüne & FDP: Der Kompromiss
Favorisiert von Bodo Ramelow. Die bisherige Rot-Rot-Grün-Regierung plus FDP, bekannt unter dem "Star Wars"-mäßigen Namen R2G2.
Pro
- Inhaltliche Überschneidungen: Zumindest Linke, SPD und Grüne haben inhaltliche Gemeinsamkeiten und bereits bewiesen, dass sie in Thüringen regieren können.
- Mit der FDP zusammen hätte die Koalition eine absolute Mehrheit.
Contra
- Die FDP wackelt und ohne FDP würde es wohl nicht für eine absolute Mehrheit reichen, es fehlen vier Sitze im Parlament.
- Alle konservativen Parteien wären in der Opposition. Die CDU und die AfD könnten sich einen Wettstreit liefern, wer weiter nach rechts rückt.
Das würde uns inhaltlich erwarten:
- Bildung ist das Top-Thema aller vier Parteien. Die Linke und die SPD fordern kostenlose Kindergärten, die SPD sogar kostenlose Bildung bis zum letzten Bildungsabschluss. Linke, SPD und Grüne wollen die Bildung ausbauen, Schulen digital ausstatten und die FDP den Lehrermangel an den Schulen bekämpfen. Hier finden die vier Parteien Gemeinsamkeiten.
- Das Thema bezahlbare Mieten und Wohnraum haben SPD, Grüne und Linke in ihrem Wahlprogramm ganz oben. Für die FDP spielt es (laut Parteiprogramm) keine große Rolle.
- Die Grünen setzen sich zusätzlich natürlich für den Umweltschutz ein, bei SPD und Linke kein größeres Thema. Die FDP möchte "Intelligenten Umweltschutz statt Panik, Hysterie und Verbote". Eine Einigung wäre schwierig.
- Die FDP setzt sich außerdem für Bürokratie-Abbau und den Ausbau der digitalen Infrastruktur ein.
Für Linke, SPD und Grüne sind soziale Themen wie bezahlbare Mieten der große gemeinsame Nenner. Es wird jedoch schwierig, soziale Inhalte mit der wirtschaftsliberalen FDP umzusetzen. Ohne sie geht es aber nicht, möchte man eine Minderheitsregierung verhindern.
Das war es dann auch schon mit den Regierungen mit einer stabilen Mehrheit, denn sicher ist:
Wenn es keine Koalition zwischen Linke und CDU gibt und die FDP nicht in den Landtag kommt, bleibt nur die Möglichkeit einer Minderheitsregierung. Das geht, weil im dritten Wahlgang für den Ministerpräsidenten die relative Mehrheit ausreicht. Der größte Nachteil ist, dass eine Minderheitsregierung extrem instabil ist, weil sie ständig neue Mehrheiten im Parlament schaffen muss und auf die Mitarbeit der Opposition angewiesen ist. Das kann auch bedeuten, dass die Regierung bald wieder platzt und es Neuwahlen gibt.
CDU & SPD & Grüne & FDP: Das Kuddelmuddel
Das ist die Regierung, die Mohring eine "Minderheitsregierung aus der Mitte" nennt. Spöttisch könnte man sie auch als Koalition der Loser bezeichnen. Ansonsten hat sie noch den Namen "Simbabwe".
Pro
Contra
- Inhaltlich die schwierigste Koalition. So eine Regierung gab es bisher noch nicht, schon Jamaika ist ein schwieriger Balanceakt. Keine Ahnung, wie das Jamaika plus SPD zusammenhalten soll...
- Eine Minderheitsregierung. Sieben Sitze im Parlament fehlen für die absolute Mehrheit.
Das würde uns inhaltlich erwarten:
Inhaltlich sind die vier Parteien sich überhaupt nicht grün.
- SPD und Grüne wollen eine Stärkung der Bildung, mehr Lehrerausbildung und kostenlose Kindergärten. Die FDP möchte den Lehrermangel bekämpfen und die CDU will die Forschung in Thüringen fördern. Hier könnten sich Gemeinsamkeiten finden lassen.
- Eine Stärkung des Umweltschutzes wollen CDU und Grüne, allerdings sind sich beide uneinig, wie das genau passieren soll. Die FDP fordert einen intelligenten Umweltschutz statt Verbote und die SPD legt keinen größeren Fokus auf das Thema.
- CDU und FDP legen ihren Fokus auf eine Stärkung des Wirtschaftsstandorts Thüringen. Für die Grünen muss sich die gesamte Politik am Klimaschutz orientieren und die SPD fordert einen höheren Mindestlohn und eine größere Verbreiterung der Tarifbindung. Fraglich, wie das zusammenpasst.
CDU & AfD: Wer will das?
Pro
- Eine Regierung. Aber was für eine...
Contra
- Eigentlich alles. Die CDU lässt den Grundsatz, mit der AfD wird nicht zusammengearbeitet, fallen. Und dann auch noch mit Björn Höcke, dem Gesicht der Rechtsextremen in der AfD, der nun auch laut Gerichtsentscheid offiziell als Faschist bezeichnet werden darf. Das hätte schwere Konsequenzen für die CDU, auch auf Bundesebene.
- Minderheitsregierung, again. Es fehlen drei Sitze im Parlament nach heutigem Stand. Immerhin theoretisch denkbar wäre, dass sich beide Parteien daher noch die FDP ins Boot holen. Aber die Liberalen werden sicherlich nicht mit der AfD zusammenarbeiten wollen.
Das würde uns inhaltlich erwarten:
- Beim Thema Migration haben beide Parteien Schnittpunkte, vielleicht mehr, als die CDU offen zugeben möchte. Die CDU will konsequenter abschieben und mehr Polizei vor Ort. Die AfD geht noch weiter und möchte den Standard der Unterbringung von Flüchtlingen senken, um die Flucht nach Deutschland weniger attraktiv zu machen. Außerdem will die AfD Flüchtlinge nur in Ausnahmefällen integrieren und stattdessen Bundesbürger stärken, um so dem Fachkräftemangel entgegen zu wirken.
- In der Klimapolitik unterscheiden sich beide Parteien. Die CDU möchte einen besseren Klimaschutz und setzt sich für die Erhaltung des Thüringer Waldes ein. Die AfD lehnt die Energiewende ab, da sie nicht an den von Menschen gemachten Klimawandel glaubt.
Die absolut unwahrscheinlichste Konstellation, auch wenn es inhaltlich beim Thema Migration Gemeinsamkeiten gibt.
Fazit
Keine der Optionen kann überzeugen. Aber wenn es die FDP doch noch in den Landtag schaffen sollte, wäre eine Zusammenarbeit zwischen Linke, SPD, Grüne und FDP wohl die wahrscheinlichste Option.
Entweder in Form einer Koalition – oder in Form einer rot-rot-grünen Minderheitsregierung, die sich immer wieder Unterstützung sucht bei den Liberalen (oder der CDU). Bodo Ramelow hat mit dem Wahlerfolg der Linkspartei gezeigt, dass er ein beliebter Ministerpräsident ist und mit der Fortführung von Rot-Rot-Grün in Kombination mit der FDP wäre zumindest eine stabile Mehrheit sicher.
(lw)
Den USA steht im Zentrum der politischen Macht nicht nur ein programmatischer Wechsel bevor. Wenn Donald Trump im Januar nächsten Jahres wieder ins Weiße Haus einzieht, verschiebt sich nicht nur das politische Koordinatensystem. Mit der neuen Amtszeit wird Washington im wahrsten Sinne des Wortes ein neues Gesicht zeigen.