Jung und ambitioniert: Mit einer Freundin gründete Verena Hubertz mit Mitte zwanzig das Start-up Kitchen Stories. Mit Anfang dreißig will sie im Bundestag sitzen.Bild: kitchenstories
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...Verena Hubertz: MdB statt CEO – Diese junge Gründerin will in den Bundestag
Verena Hubertz ist jung, erfolgreich und Chefin eines gut laufenden Start-ups mit rund 50 Mitarbeitern. Nun hängt sie ihren Job an den Nagel und kandidiert für den Bundestag – ausgerechnet für die SPD. Warum? Watson hat sie besucht.
Drei Wörter, die oft zu hören sind, wenn es um junge Talente in der Politik geht. Ein Leben finanziert von Steuergeld, das ist der Vorwurf dahinter. Auch der ehemalige Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert muss ihn sich regelmäßig anhören – er hatte vor seiner Kandidatur für den Bundestag den Plenarsaal noch nicht einmal mit Abschluss verlassen können. Für viele Tageszeitungen und Politiker ein Grund seine Qualifikation für das Amt zu hinterfragen.
Verena Hubertz können diese Gräbenkämpfe nichts anhaben. Sie hat nicht nur ein abgeschlossenes Studium vorzuweisen, mit Anfang dreißig ist sie Managing Director eines gut laufenden mittelgroßen Unternehmens mit rund fünfzig Mitarbeitern und einem Wert von mehreren zig Millionen Euro.
Was sie erreicht hat, haben auch die allermeisten alteingesessenen Bundestagsabgeordneten nicht geschafft.
Watson begleitet einen Tag lang junge Politiker, die in den Bundestag wollen.Bild: Omer Messinger / getty images / watson-montage
Junge Stimmen für den Bundestag – Die watson-Reihe zu jungen Politikern
Wer Verena Hubertz kennenlernt, ahnt zunächst nicht, was sich hinter ihr und dem niedlich anmutenden Namen Kitchen Stories verbirgt. Ginge man nach dem Äußeren, könnte man den beiden Geschäftsführerinnen Mengting Gao und Hubertz selbst aufgrund ihrer jugendlichen Erscheinung schnell die Kompetenz absprechen. Solche Assoziationen sind Quatsch, den beiden aber nicht fremd.
Sie sei es gewohnt, unterschätzt zu werden, erklärt Verena Hubertz gegenüber watson. Ein Besuch beim Hauptquartier der AJNS New Media GmbH, der Firma hinter der Marke, zeigt jedoch, was für ein Koloss das junge Unternehmen ist – und was Hubertz zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin hier geschaffen hat.
Abseits der eigentlichen Start-up Bubble in Berlin-Mitte, am Rande des Viertels Prenzlauer Berg, in einem Gewerbegebiet mit vielen Plattenbauten und in einem Gebäude, in dem die Bezirksverwaltung Büros ausgelagert hat, führt ein muffig riechender Fahrstuhl in den fünften Stock. Doch sobald sich die Türen öffnen, verlässt man DDR-Chic und tritt ein in das Berliner Silicon Valley. "Vorher sah das hier sehr nach Behörde aus, wir haben alle Wände rausgebrochen und komplett umgestaltet", erzählt Hubertz bei unserem Rundgang.
Verena Hubertz beim Besuch von watson in ihrem Start-up in Berlin Prenzlauer Berg. Bild: watson / lukas weyell
Auf rund 1400 Quadratmetern hat Kitchen Stories hier nicht nur mehrere Großraumbüros, Meeting-Räume und Büroküchen untergebracht, es befinden sich auch mehrere Foto- und Filmstudios hier, in denen die Kochvideos gedreht werden. Außerdem eine Gastronomieküche, in der die Gerichte vorbereitet werden können, ebenso wie eine Kühl- und Vorratskammer mit Unmengen an Gewürzen und Zutaten. Das Hauptquartier ist halb Büro, halb Filmset. Ausgestattet sind die Filmküchen mit neuester Technik der Bosch-Tochter BSH Hausgeräte, die auch die Mehrheit der Anteile an Kitchen Stories hält. Die Möblierung hat ein Familienunternehmen aus Bayern übernommen.
Kitchen-Storytelling
Was auf den ersten Blick nach WG-Küche und Handyvideos klingt, ist hochprofessionelle Feinstarbeit. Ein internationales Team aus Fotografen, Redakteuren und Köchen stellt hier Kochvideos zusammen und erstellt Rezepte. Schilder und Arbeitssprache sind Deutsch und Englisch. Man merkt bald, das hier ist keine WG-Küche in Tübingen-Lustnau, hier wird auf dem umkämpften Markt der App-Anbieter mitgemischt.
Und das durchaus erfolgreich: Auf den neuesten Alexa-Geräten werden die Rezepte von Kitchen Stories als erstes angezeigt, wenn man die KI beispielsweise nach einer Spaghetti Bolognese fragt. Und das noch vor einer bekannten Konkurrenzseite, die dem milliardenschweren Konzern Gruner+Jahr aus Hamburg gehört, wie Verena Hubertz beim Rundgang stolz präsentiert.
Aber wie finanziert sich Kitchen Stories? Die App kostet nichts. Werbebanner finden sich auch nicht in der App. Wenn man genau hinschaut, findet man allerdings redaktionelle Inhalte von Werbepartnern. So wird ein Rezept in der App von einem Hersteller von Kochgeschirr angeboten. Im dazugehörigen Video werden dann auch explizit die Produkte des Herstellers verwendet und detailliert Logo und Produkt abgefilmt. Kochgeschirr in einem Anleitungsvideo für Kocheinsteiger – Einen besseren Werbeplatz in einem passenderen Umfeld gibt es wohl kaum.
Auch er war mal zu Gast im Berliner Büro: Verena Hubertz beim Kochen mit Apple-CEO Tim Cook (m.). Bild: kitchenstories
Zusätzlich sind in den Videos natürlich die Küchengeräte von BSH zu sehen, denen die Firma zur Mehrheit gehört und die Kochstudios eingerichtet hat. Kitchen Stories macht nun für die Bosch-Tochter das, was man Markenbildung nennt und laut dem Soziologen Andreas Reckwitz in der postmodernen Ökonomie den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmacht: Storytelling.
Der Kunde kauft nicht nur ein Küchengerät, er kauft ein Stück Lifestyle und ist Teil einer Community. Für das neue Konkurrenzprodukt von Bosch zum Verkaufsschlager Thermomix entwickelt Kitchen Stories Rezepte und stellt sie online. Einige Rezepte kann man sogar direkt auf dem Gerät aufrufen und ausprobieren. So wird der Einstieg in das neue Gerät erleichtert.
Unverputzter Beton
Vom Rundgang wird einem beinahe schwindelig. Ausrüstung, Architektur und Möblierung sind durchgehend "state of the art": Überall stehen neue Macbooks, Bildschirme und teure Video-Ausrüstung. Im Bundestag scheiterte man hingegen bis vor kurzem noch am barrierefreien WLAN-Zugang. Der Kontrast könnte kaum größer sein. Das Einzige, was diese Räume mit einem Abgeordnetenbüro zu tun haben, ist der unverputzte Beton an den Wänden.
Ob sie wisse, wie trist und beengt die Räumlichkeiten von Bundestagsabgeordneten sind? Ja, sie kennt die Büros, war schon mehrfach dort zu Gast. Abschreckend seien sie aber nicht. Man könne auch mit etwas Kreativität und Start-up-Spirit Veränderungen bewirken. Auch bei Einrichtung und Strukturen.
Kaum zu glauben, dass jemand freiwillig den schicken Arbeitsplatz im Start-up-Loft gegen ein miefiges kleines Hinterbänkler-Büro tauschen will. Aber für Verena Hubertz ist klar: Es gibt keinen Plan B. Sie wird für den Bundestag kandidieren und dafür ihren Job als Geschäftsführerin aufgeben.
Verena will wirklich was bewegen
Ihr bisheriges Leben ist also eine Erfolgsgeschichte wie sie von der Generation "Traumjob: CEO" oft erträumt wird, woran jedoch viele scheitern. Verena Hubertz hat ihr Unternehmen 2017 erfolgreich verkauft und auf gesundem Kurs übergeben, zuletzt war sie nur noch geschäftsführend tätig, auch wenn sie und Mitgründerin Gao noch einige Anteile an der Firma halten. Sorgen um die eigene Existenz wird sich Verena Hubertz nicht mehr machen müssen, überlegt man, in welchen Größenordnungen sich die Anteile an Kitchen Stories bewegen. Sie hat ausgesorgt. Und jetzt? Sie hat das Start-up-Game durchgespielt, kommt jetzt das Politik-Game? Warum kandidiert Verena Hubertz?
Aus ihrem politischen Umfeld heißt es, sie habe eine neue Herausforderung gesucht und sie sei Idealistin. Sie will wirklich was bewegen. Geld sei bei ihr kein Antrieb: Im Gegensatz zu vielen anderen geht es bei der Kandidatur nicht um ein warmes steuerfinanziertes Plätzchen, "Verena will gestalten". Sie selbst sagt: "Ich habe eine Menge gelernt durch die Unternehmensgründung. Ich habe aber auch gemerkt, wo wir noch Nachholbedarf in Deutschland haben."
So fing alles an: Die Gründerinnen Mengting Gao (.l.) und Verena Hubertz.Bild: kitchen stories / Verena Hubertz
"Ich weiß, was etwas Startkapital für einen Unterschied im Leben machen kann."
Verena Hubertz
Hubertz macht sich für ein Chancenkonto stark, ein Konzept, bei dem jeder nach dem Schulabschluss statt Bafög einen bestimmten Betrag erhält, den er selbst in Bildung investieren kann. Das Konzept hatte die SPD bereits im vergangenen Bundestagswahlkampf vorgestellt. Die Resonanz war allerdings verhalten. Umgesetzt wurde es bis heute nicht. Verena Hubertz findet das Konzept trotzdem gut und möchte mit dem Geld auch Start-up-Gründungen ermöglichen: "Ich weiß, was etwas Startkapital für einen Unterschied im Leben machen kann", erklärt sie.
Für sie ist Unternehmensgründung kein Projekt, dass sie zur FDP-Unterstützerin machen muss. Im Gegenteil. Sie empfindet es als Demokratisierungsprozess und sieht sich selbst als Unternehmerin auch in der Verantwortung, bessere Arbeitsmodelle für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu schaffen. Gerade das sei in Start-ups deutlich einfacher realisierbar: "Heute ist es sehr wichtig, dass man flexibel arbeiten kann. Wenn ich ein Kind habe oder Eltern pflegen muss, dann sollte ein Unternehmen das auch zeitlich ermöglichen können."
Dass Start-ups auch in der Kritik stehen, die flachen Strukturen für Ausbeutung von Mitarbeitern, unbezahlte Überstunden und unqualifizierte Mehrarbeit zu missbrauchen, kann Hubertz nachvollziehen, allerdings sei das nicht der Regelfall und werde sich auch in Zukunft nicht durchsetzen. "Natürlich gibt es oftmals Vorurteile zu Arbeitsbedingungen in Start-ups", erzählt Hubertz. Gleichzeitig erklärt sie: "Ich bin davon überzeugt, dass es ein Arbeitnehmermarkt ist und die Arbeitsbedingungen auch in Start-ups so attraktiv sein müssen, damit nicht alle Talente direkt abwandern."
"Trier ist meine Heimat, meine Familie und viele Freundinnen und Freunde wohnen hier."
Verena Hubertz
Das mag für die junge pulsierende Metropole Berlin gelten, die sich ständig im Wandel befindet und in der ein ständiger Zuwachs an jungen qualifizierten Arbeitskräften stattfindet. Wie ist es aber in der ältesten Stadt Deutschlands? Hubertz kandidiert für den Wahlkreis ihrer Heimatstadt Trier. Die Stadt lebt nach wie vor hauptsächlich vom Dinosaurier (der Tabakindustrie) und der Sekt- und Weinproduktion in der Region.
Dass sich ihre Lebensrealität in Berlin von der ihres Wahlkreises in ihrer Heimat Trier unterscheidet, ist auch der jungen Gründerin bewusst. Seit vielen Jahren ist sie Mitglied im SPD-Ortsverein. Sie hat sich dort den Mitgliedern als Bundestagskandidatin vorgestellt und für sich geworben. Wie war die Reaktion? Gut, sagt sie. Und gab es Menschen, die sich daran störten, dass da jetzt jemand aus Berlin kommt und sagt, wo es langgehen soll? Gibt es Zweifler? "Trier ist meine Heimat, meine Familie und viele Freundinnen und Freunde wohnen hier", erklärt sie. Und weiter: "Ich habe die letzten Jahre in Berlin gelebt, kenne mich aber in der Region Trier in jeder Ecke aus, bin bereit zuzuhören und die Herausforderungen noch besser kennenzulernen."
Noch einmal Praktikantin
Um ihren Wahlkreis noch besser zu verstehen, hat sie sich das Jahr 2021 freigenommen, um den Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz im März zu begleiten. Außerdem will sie Praktika vor Ort machen. Ab Januar will sie sich in ihrer Heimat mit Menschen treffen, austauschen und natürlich ihre Wahlkampagne vorbereiten. Hierfür hat sie einige Veteranen des SPD-Bundestagswahlkampf 2017 für sich gewonnen. Noch sei das kein richtiges Team, aber viele Freunde und Bekannte, die sie unterstützten und bei denen jeder seine Stärken miteinbringt.
Dafür erhält sie professionelle PR von anderer Seite: Gerade erst hat sie mit ihrer Mitgründerin Gao das passende Kochbuch zur App herausgebracht und ist damit durch einige Fernsehsendungen getingelt. Für viele in ihrem Wahlkreis die beste Möglichkeit, um sie kennenzulernen. Denn: Der durchschnittliche SPD-Wähler in Trier hat wenig Berührungspunkte mit der Start-up-Bubble in Berlin. Ein Auftritt bei der Landesschau Rheinland-Pfalz kann hingegen wahre Wunder bewirken in Sachen Reichweite. Stolz zeigt die junge Bundestagskandidatin Fotos aus dem TV-Studio auf ihrem Smartphone. Von ihrem Auftritt bei der NDR Talkshow schwärmt die künftige SPD-Politikerin bei unserem Besuch in ihrem Büro am meisten:
"Fernsehen hat für mich immer noch etwas magisches."
Verena Hubertz
Die Auftritte könnten ihrer Bekanntheit in der Region noch einmal einen ordentlichen Push geben.
Sollte alles gut gehen und sie gewinnen, würde sie zur Feier des Tages eine Currywurst zubereiten, scherzt sie. "Die ist rot, wie die SPD", erzählt Hubertz. Neu ist die Idee nicht. Martin Schulz ließ sich bereits bei seinem Wahlkampf 2017 mit einer Currywurst ablichten.Mit dem ehemaligen SPD-Kanzlerkandidaten teilt sich Hubertz einen ähnlichen Akzent. Beide sprechen das CH in einer Weise aus, die man nur aus der Gegend um Trier, Aachen und eben Schulz' Heimat Würselen kennt.
"Würselen liegt in NRW, Trier ist südlicher in Rheinland-Pfalz" verbessert Hubertz. Sie möchte sich lieber in einer Linie mit Katarina Barley und Malu Dreyer sehen. Erstere kandidierte mehrfach erfolgreich für den Wahlkreis Trier. Am Ende kam sie allerdings nur über die Landesliste in den Bundestag. Das Direktmandat konnte die CDU in Trier seit 2002 jedes Mal verteidigen.
Ob es dieses Mal für die SPD reichen wird? Trier ist definitiv kein sicherer Wahlkreis für die SPD und selbst ein vorteilhafter Listenplatz muss beim aktuellen Stand der Umfragen kein Bundestagsmandat bedeuten. Hubertz lässt sich aber nicht verunsichern. "Es gibt keinen Plan B", wiederholt sie. Nun hat sie ein dreiviertel Jahr, um Trier von sich zu überzeugen.
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