Kanzleramtsminister Helge Braun hat den Beschluss zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes im Bundestag verteidigt.Bild: IMAGO / Political-Moments
Deutschland
Lange wurde über die bundesweite Corona-Notbremse diskutiert, jetzt soll es ganz schnell gehen. Am Mittwoch stimmte der Bundestag ab, am Donnerstag entscheidet der Bundesrat. Zufrieden sind dennoch nicht alle.
22.04.2021, 07:4022.04.2021, 12:22
Vor der Entscheidung im Bundesrat über die
bundeseinheitliche Corona-Notbremse hat Kanzleramtsminister Helge
Braun die Novellierung des Infektionsschutzgesetzes gegen Kritik
verteidigt. "Das aktuelle Infektionsgeschehen ist in den meisten
Regionen viel zu hoch und droht unser Gesundheitssystem zu
überfordern", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND,
Donnerstag). "Die Maßnahmen der Bundesnotbremse sind dort deshalb
dringend erforderlich. Sie haben in vielen Ländern bereits gezeigt,
dass sie geeignet sind, das Infektionsgeschehen zu bremsen. Und sie
sind angesichts der ernsten Lage auch verhältnismäßig."
Wissing betont Ablehnung seitens der FDP
FDP-Generalsekretär Volker Wissing betonte im ZDF "heute journal" am
Mittwochabend hingegen erneut die ablehnende Haltung seiner Partei:
"Der Staat muss in einem freiheitlichen Rechtsstaat sehr gut
begründen, warum er derart massiv in Grundrechte eingreift. Diese
Begründung ist der Bundesrepublik nicht gelungen." Damit sei die
Maßnahme eindeutig unverhältnismäßig und verstoße gegen das
Grundgesetz.
Der Bundesrat will am Donnerstag ab 11.00 Uhr entscheiden. Er könnte
Einspruch einlegen und damit Nachverhandlungen notwendig machen.
Mehrere Bundesländer kündigten jedoch bereits zuvor an, keinen
Einspruch einlegen zu wollen. Zuletzt muss Bundespräsident
Frank-Walter Steinmeier das Gesetz unterzeichnen, auch das könnte
noch am Donnerstag geschehen. Die Veröffentlichung im
Bundesgesetzblatt könnte möglicherweise noch am selben Tag wie die
Unterzeichnung erfolgen.
Ausgangssperre und Homeschooling: Das bringt die Notbremse
In Kreisen und Städten mit hohen Infektionszahlen dürften die
Menschen infolge des Gesetzes ab 22 Uhr die eigene Wohnung oder das
eigene Grundstück in der Regel nicht mehr verlassen. Spaziergänge und
Joggen alleine bleiben aber bis Mitternacht erlaubt. Gezogen werden
soll die Notbremse, wenn in einem Landkreis oder einer Stadt die Zahl
der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben
Tagen an drei Tagen hintereinander über 100 liegt.
Viele Schülerinnen und Schüler müssten sich vorerst wieder auf
Homeschooling einstellen: Präsenzunterricht an Schulen soll ab einer
Inzidenz von 165 gestoppt werden. Ausnahmen für Abschlussklassen
bleiben möglich.
Ab der 100er-Schwelle dürfte sich höchstens ein Haushalt mit einer
weiteren Person treffen, wobei Kinder bis 14 Jahre ausgenommen sind.
Läden dürften Kunden nur noch empfangen, wenn diese einen negativen
Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Ab einer
Inzidenz von 150 soll nur noch das Abholen bestellter Waren möglich
sein.
Weltärztebund: Effektive Abwehr der Pandemie nur einheitlich möglich
Der Vorsitzende des Weltärztebundes hat die Maßnahme gegen Kritik
verteidigt. "Aus internationaler Sicht waren vor allem die Staaten in
der Abwehr der Pandemie erfolgreich, die konsequent und einheitlich
großflächige Maßnahmen der Kontakteinschränkungen durchgesetzt und
durchgehalten haben", sagte Frank Ulrich Montgomery der "Augsburger
Allgemeinen" (Donnerstag). "Daran können wir uns ein Beispiel nehmen
und dies tut das Infektionsschutzgesetz."
Zu den Vorwürfen, dass die im Gesetz genannten Grenzwerte willkürlich
seien, sagte Montgomery: "Natürlich kann man jeden Grenzwert streitig
diskutieren, kann jede Maßnahme hinterfragen und manche Regelungen
sind auch eher Ergebnis eines politischen Kuhhandels als
wissenschaftlicher Beratung." Aber es sei richtig und gut, jetzt
einheitlich, konsequent und kraftvoll handeln zu wollen.
Die Vorsitzende der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, Susanne Johna,
sagte der "Rheinischen Post" (Donnerstag): "Die Maßnahmen sind
richtig, kommen aber deutlich zu spät und gehen in einzelnen Punkten
nicht weit genug. Die Infektionsdynamik hätte schon früher gebrochen
werden können." Die Politik habe viel Zeit verstreichen lassen,
obwohl es aus der Intensivmedizin deutliche Hilferufe gegeben habe.
Jetzt sei das Personal in vielen Krankenhäusern wieder extrem
belastet, und Kliniken kämen an Kapazitätsgrenzen - nicht nur bei
Covid-19-Patienten.
Johna äußerte die Hoffnung, "dass die Menschen noch einmal diese
Kraftanstrengung mitmachen und mithelfen, die dritte Welle zu
brechen". Schon jetzt seien Verlegungen von Patienten in weit
entfernte Krankenhäuser an der Tagesordnung. "Eine solche
Krisenmedizin kann niemand wollen", sagte sie.
Kliniken-Chef sieht Situation leicht besser als in zweiter Welle
Weniger alarmiert äußerte sich der Chef von Deutschlands größter
Krankenhauskette Helios. "Wirklich dramatisch ist die Lage derzeit
nicht, auch wenn vor allem unsere großen Krankenhäuser jetzt wieder
sehr viele Covid-Patienten behandeln", sagte Francesco De Meo der
"Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Die Fallzahlen lägen derzeit
insgesamt noch unter dem, was die Häuser während der zweiten Welle im
Winter bewältigt hätten. Er glaube, es ergebe wenig Sinn, "den Leuten
zusätzliche Angst zu machen, solange wir uns auf dem Niveau der
zweiten Welle bewegen".
De Meo fügte an: "Unsere professionelle Wahrnehmung ist: Es gab immer
schon volle Intensivstationen, das ist nichts Neues." Es funktioniere
aber gut, Patienten auf Krankenhäuser mit freien Kapazitäten zu
verlegen. In Deutschland verlege man auch schnell Patienten auf die
Intensivstation. Ob das auch zu einer besseren Versorgung führe,
müsse man erst noch sehen.
(vdv/dpa)
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