Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will den Zugang zur Grundsicherung deutlich erleichtern. Bild: dpa / Bernd von Jutrczenka
Deutschland
Mehr als 15 Jahre nach Inkrafttreten der
Hartz-IV-Reform hat Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) mit
neuen Reformplänen eine Debatte um die Zukunft der Sozialleistung
angestoßen. Heil will die Regeln für Langzeitarbeitslose mit einem
Gesetz entschärfen. Dabei stieß er am Sonntag auf Widerspruch beim
Koalitionspartner CDU.
Somit wird es wahrscheinlich, dass es vor der
Bundestagswahl nicht zu einer grundlegenden Neuausrichtung von Hartz
IV kommt – und sich die Parteien mit dem Thema im Bundestagswahlkampf
zu profilieren versuchen.
Heil will, dass den Beziehern der Grundsicherung künftig keine
außergewöhnlichen Härten mehr durch Sanktionen bei
Pflichtverletzungen drohen. Ein bereits als Reaktion auf die
Corona-Pandemie eingeführter vereinfachter Zugang zur Grundsicherung
für Arbeitsuchende soll zudem "verstetigt" werden, wie es in dem der
Deutschen Presse-Agentur in Berlin vorliegenden Gesetzentwurf heißt.
Im "Spiegel" hatte Heil angekündigt:
"Die Grundsicherung soll ein soziales Bürgergeld werden, für das sich niemand schämen muss, der es braucht."
Der CDU-Sozialexperte Peter Weiß sagte am Sonntag der dpa
hingegen, die Union sei gesprächsbereit, die Corona-bedingten
Sonderregelungen zu verlängern, wenn es nötig sei. "Wir stehen aber
weiterhin zu dem Grundsatz 'Fördern und Fordern' und lehnen auch eine
Entfristung dieser Sonderregelungen ab." Weiß betonte: "Eine
schleichende Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens ist mit
uns nicht möglich. Denn dadurch wird Arbeit abgewertet und die
Vermittlung in Arbeit weitgehend unattraktiver."
Ähnlich argumentierte die FDP. "Der Verzicht auf Sanktionen und
die Erhöhung der Leistungen sind die Einführung des bedingungslosen
Grundeinkommens durch die Hintertür", sagte ihr Sozialexperte Pascal
Kober der dpa.
Das Modell eines bedingungsloses Grundeinkommens sieht
vor, dass jeder Bürger staatliche Unterstützung bekommt. Dies ist im
Heil-Entwurf nicht vorgesehen. Die Kritiker argumentieren aber, Heils
Pläne seien eine so weitgehende Abkehr von der Grundsicherung heute,
dass dies in Richtung eines solchen Grundeinkommens gehen würde.
So sehen Heils Pläne zu Hartz IV im Detail aus:
Sanktionen: Nur noch maximal 30 Prozent weniger Geld
Die Sanktionspraxis der Jobcenter hatte das
Bundesverfassungsgericht bereits im November 2019 nach jahrelanger
Kritik stark eingeschränkt. Nach dem Prinzip "Fördern und Fordern"
hatten die Jobcenter seit 2005 unkooperative Hartz-IV-Empfänger
diszipliniert, indem sie ihnen den Geldhahn zudrehten. Das
Verfassungsgericht entschied am 5. November 2019, dass monatelange
Minderungen um 60 Prozent oder mehr mit dem Grundgesetz unvereinbar
sind. Die Jobcenter dürfen die monatlichen Leistungen aber weiter um
bis zu 30 Prozent kürzen, wenn Hartz-IV-Empfänger ihren Pflichten
nicht nachkommen.
Seit dem Urteil wurde die alte Sanktionspraxis bereits durch
Weisungen des Arbeitsministeriums und der Bundesagentur entschärft.
Durch die Corona-Pandemie gab es zudem ohnehin immer weniger
Sanktionen. Nun will Heil dauerhaft gesetzlich regeln, dass
monatliche Minderungen 30 Prozent des Regelbedarfs nicht
überschreiten. Dies soll laut dem Entwurf gelten, wenn
Leistungsberechtigte ohne wichtigen Grund wiederholt ihre Pflichten
verletzt oder persönliche Meldetermine nicht wahrgenommen haben.
Bei jeder Leistungsminderung soll geprüft werden, ob sie im
Einzelfall eine außergewöhnliche Härte darstellt. Viel gestritten
wurde über Jahre über schärfere Sonderregelungen für Unter-25-Jährige
– diese sollen dauerhaft entfallen.
Erleichterter Zugang: Mietkosten sollen zwei Jahre lang nicht geprüft werden
Für einen erleichterten Zugang zur Grundsicherung in der
Corona-Krise ist derzeit eine Prüfung der Jobcenter zu Wohnung und
Vermögen ausgesetzt – nämlich wie groß die Wohnung der Betroffenen
ist und ob diese Ersparnisse bis zu 60.000 Euro haben. Während einer
Karenzzeit von zwei Jahren sollen nun dem Entwurf zufolge Vermögen
bis zu der genannten Summe geschützt und Mietkosten nicht auf ihre
Angemessenheit geprüft werden.
Aus Heils Ministerium hieß es dazu: "Wir wollen einen Sozialstaat
auf Augenhöhe, der mehr Sicherheit bietet und neues Vertrauen
schafft." So sollten jene, die vorübergehend auf Arbeitssuche sind
und durch die Grundsicherung aufgefangen werden, darauf vertrauen
können, sich vorerst nicht um das Ersparte und die Wohnsituation
sorgen zu müssen.
Politische Bedeutung: Die SPD will Schröder-Agenda hinter sich lassen
Bereits auf ihrem Parteitag im Dezember 2019 hatten die
Sozialdemokraten die Forderung beschlossen, mit einer Abkehr von
Hartz IV die Agenda 2010 ihres früheren Bundeskanzlers Gerhard
Schröder in zentralen Punkten zu überwinden. Die SPD-Vorschläge dazu
waren noch weit über die nun gesetzliche geplante Hartz-Reform
hinausgegangen.
Begeistert reagierten bereits die Gewerkschaften auf Heils Pläne.
DGB-Chef Reiner Hoffmann sagte der dpa: "Das ist ein
sozialpolitischer Meilenstein." Damit könne der jahrelang schwelende
Konflikt um das Hartz-IV-System, das von vielen als diskriminierend
erlebt werde, entschärft werden. "Jetzt ist es an der Unionsfraktion,
diese Reformpläne konstruktiv zu unterstützen." Die Hartz-Reformen
waren zwischen 2003 und 2005 von der rot-grünen Bundesregierung unter
Schröder eingeführt worden.
(se/dpa)
Nach dem Ampel-Aus war abzusehen, dass die Rot-Grüne Minderheitsregierung ohne ihren Ex-Partner FDP nicht mehr viele Projekte im Bundestag umsetzen kann. Denn auch die Union zeigte bei den meisten Themen wenig Interesse an einer Zusammenarbeit.