Am heutigen Mittwoch könnte Viktor Orbans rechtsnationale Fidesz-Partei aus dem Parteienverbund der Europäischen Volkspartei ausgeschlossen werden.Bild: E+/imago/watson montage
EU
20.03.2019, 07:3520.03.2019, 08:07
Die parteiinterne Diplomatie läuft bis zuletzt auf Hochtouren. Kann
ein Ausschluss der Orban-Partei aus der EVP verhindert werden? Und
gibt es überhaupt eine Lösung, die für alle gesichtswahrend ist?
Die Europäische Volkspartei ist die mächtigste Gruppe
im Europaparlament – und trägt seit Wochen einen offenen Streit mit
der Partei des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban aus. Am
heutigen Mittwoch könnte dessen rechtsnationale Fidesz-Partei aus dem
Parteienverbund, dem auch CDU und CSU angehören, ausgeschlossen
werden.
Wir haben zu der Entscheidung, die am heutigen Mittwoch fällt, die 9 wichtigsten Fragen und Antworten für euch:
Warum stehen der Fidesz und die Orban-Regierung in der Kritik?
Kritiker werfen Orban seit Jahren vor, Demokratie und Rechtsstaat
auszuhöhlen. Die Organisation Freedom House stuft das Land nur noch
als "teilweise frei" ein. Die EU-Kommission leitete mehrere Verfahren
wegen mutmaßlicher Verletzung von EU-Recht ein. Und das
Europaparlament startete ein Strafverfahren wegen der mutmaßlichen
Bedrohung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechten. Diese
Entwicklung bewerten Teile der EVP schon länger als bedenklich.
Und warum steht die EVP-Mitgliedschaft des Fidesz jetzt erst infrage?
Das Fass zum Überlaufen gebracht hat eine Plakat-Kampagne der
ungarischen Regierung, mit der Orban das Land überzogen hatte. Auf
den Plakaten wurden EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und der
US-Milliardär George Soros als Förderer illegaler Migration
diffamiert. Daraufhin forderten 13 EVP-Parteien den Rauswurf oder
die zeitweise Suspendierung des Fidesz. Orban setzte noch eins drauf
und beschimpfte die Kritiker als "nützliche Idioten", die das
Geschäft der Linken und Liberalen betrieben.
Wie kann Orban einen Rauswurf noch verhindern?
EVP-Fraktionschef Manfred Weber hatte zuletzt drei Bedingungen
aufgestellt, um zumindest weiter im Gespräch zu bleiben: ein Ende der
Plakat-Kampagne, eine Entschuldigung an die anderen EVP-Parteien und
Sicherheit für die Universität CEU in Budapest. Zudem müsse die CEU
wieder amerikanische Diplome in Budapest ausstellen können. Die CEU
war im Dezember unter Druck der ungarischen Regierung nach 26 Jahren
Tätigkeit in Budapest nach Wien umgezogen.
Wie hat Orban zuletzt auf den drohenden Rauswurf reagiert?
Im Zickzackkurs. Wegen der "nützlichen Idioten" hat er um
Entschuldigung gebeten, die Anti-Juncker-Kampagne hat er vorerst
eingestellt. In Sachen CEU hat er öffentlich noch kein Entgegenkommen
gezeigt. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder sagte am Dienstag
jedoch, in der Sache habe es ein positives Signal von Orban gegeben.
Nach Angaben der Staatskanzlei reagierte Orban schriftlich auf das
bayerische Angebot, Lehrstühle der CEU in Budapest zu finanzieren.
"Seine Antwort geht in die richtige Richtung."
Die von ihm kontrollierten Medien ließ Orban zuletzt das Ausscheiden
des Fidesz aus der EVP als folgerichtig und wünschenswert darstellen.
Am Dienstag sprach der Leitartikel des Orban-Sprachrohrs "Magyar
Nemzet" der EVP die Zukunftsfähigkeit ab. Tenor: Ungarns Politik
werde sich von niemandem reinreden lassen, schon gar nicht von
Bruderparteien, die "gar keine Brüder" sind.
Worüber wird an diesem Mittwoch abgestimmt? Und wer stimmt ab?
Über einen möglichen Ausschluss entscheidet der EVP-Vorstand. Er
setzt sich aus rund 260 Delegierten zusammen. Die CDU stellt als
größte Mitgliedspartei etwa 19 Stimmberechtigte. CDU-Chefin Annegret
Kramp-Karrenbauer wird erwartet, ob CSU-Chef Söder kommt, war unklar.
Worüber genau abgestimmt wird, war bis zuletzt offen. EVP-Präsident
Joseph Daul sagte bei einer Fraktionssitzung in der vergangenen Woche
nur zu, dass abgestimmt werde. Er wird am Mittwoch wohl einen
Vorschlag vorlegen, von dem er glaubt, dass er eine Mehrheit findet.
Wie könnte dieser Vorschlag aussehen?
Ausschluss, Suspendierung, gar nichts – diese Optionen stehen im
Raum. Am Dienstag verdichteten sich allerdings die Zeichen, dass die
Fidesz-Mitgliedschaft zeitweise ausgesetzt werden könnte und
Bedingungen an die Partei gestellt werden könnten. Das Ergebnis wird
allerdings auch von Orban und seinem Entgegenkommen bis zur
Abstimmung abhängen.
Wie positionieren sich die beiden deutschen EVP-Mitglieder?
Die Stimmen von CDU und CSU könnten ausschlaggebend sein. Öffentlich haben die deutschen Unionsparteien bislang nicht klar
Position bezogen. Die CDU-Spitze hat Orban aber deutlich gemacht,
dass sie es nicht dulden werde, wenn er sich mit dem politischen
Gegner, etwa den Rechtspopulisten von der AfD oder der italienische
Lega, gemein macht. Allerdings befürchten die Unions-Parteien eine
weitere Ost-West-Spaltung der EU – und tun sich mit einem
Orban-Rauswurf deshalb schwer.
Welche Folgen könnte ein Rauswurf der Fidesz-Partei haben?
Die langfristigen Folgen sind kaum absehbar. Kurzfristig hätte die
EVP-Gruppe im Parlament nach der Europawahl ohne den Fidesz
allerdings rund ein Dutzend Mitglieder weniger. Auch andere Parteien
könnten die EVP wegen des Orban-Ausschlusses verlassen. Zusammen mit
dem Fidesz könnten sie sich der EU-skeptischen EKR-Parteienfamilie
anschließen, in der schon jetzt die rechtsnationale polnische
Regierungspartei Pis ist.
Einige befürchten, dass ein Orban-Rauswurf langfristig die
Ost-West-Spaltung Europas vorantreiben könnte. Der
CDU-Europaabgeordnete Daniel Caspary verweist zudem auf das Beispiel
der britischen Tories, die die EVP vor einigen Jahren verlassen
haben. Auch das habe zum Brexit beigetragen. "Die EVP könnte sich das
Leben sehr leicht machen und den Fidesz rausschmeißen. Damit wäre
aber niemandem geholfen", sagt Caspary. Er sei dafür, bis zuletzt mit
Orban im Gespräch zu bleiben und auf ein Entgegenkommen zu setzen.
Welche Rolle spielt CSU-Politiker Manfred Weber?
Weber tritt für die EVP als Spitzenkandidat bei der Europawahl Ende
Mai an – und steckt in der Zwickmühle. Einerseits kann er die
Fidesz-Stimmen gut gebrauchen, wenn er im Herbst Nachfolger von
EU-Kommissionschef Juncker werden will. Andererseits bietet das Thema
Angriffsfläche für die politische Konkurrenz. Immer wieder muss er
sich bei seinen Terminen in Europa für den Fidesz rechtfertigen.
(as/dpa)
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