Soll in Deutschland vorübergehend Alltag werden: ein Corona-Schnelltest. Bild: dpa / Kay Nietfeld
Exklusiv
Regierung verspricht Gratis-Schnelltests – FDP-Vizechefin Suding fordert "unverzüglich" Öffnungen: "Den Menschen ist ein längerer Stillstand unseres Landes nicht mehr zuzumuten"
Der Wattetupfer könnte im Frühjahr für viele zu einem
Pflichtutensil im Alltag werden. Mit ihm sollen sich die
Menschen in ganz Deutschland voraussichtlich ab Mitte März auf Corona
testen lassen können oder sich selbst testen. Bund und Länder stellen
die Tests an diesem Mittwoch voraussichtlich mit in den Mittelpunkt
eines Öffnungsplans. Doch Hoffnungen auf schnelle Schritte aus dem
Lockdown könnten verfrüht sein.
Bund und Länder waren sich vor einem Monat einig: Erst bei höchstens 35 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner in sieben Tagen sollte es mehr Freiheiten geben. Kurz darauf begann dieser Wert mit dem Vormarsch der stärker ansteckenden britischen Virusmutation aber wieder zu steigen, am Dienstagmorgen lag die Inzidenz laut Robert Koch-Institut bundesweit bei 65,4.
Die FDP erhöht trotz dieser Zahlen den Druck auf die Regierenden in Bund und Ländern, den strikten Lockdown mit geschlossenen Geschäften, Restaurants und Kultureinrichtungen zu beenden. Katja Suding, stellvertretende Bundesvorsitzende der Liberalen, erklärte gegenüber watson:
"Während andere Länder mit funktionierenden Impfkampagnen, sicheren Hygienekonzepten und konsequenten Stufenplänen längst einen Weg gefunden haben, um gesellschaftliches Leben trotz Virus zu ermöglichen, darf unsere Antwort nicht weiterhin nur ein verlängerter Lockdown sein. Den Menschen ist ein längerer Stillstand unseres Landes nicht mehr zuzumuten."
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag, fordert unterdessen "ein verantwortungsvolles Öffnen mit Schutz". In einem Pressestatement sagte sie: "Mit Schnelltests, besserer Nachverfolgung und mehr FFP2-Masken können wir einen Weg zwischen Lockdown und Lockerung finden."
Teil jeder Öffnungsstrategie, da sind sich Regierung und Opposition weitgehend einig, ist in jedem Fall ein wesentlich besseres Testsystem als bisher, das grundsätzlich allen offensteht.
Doch wie sollen die Corona-Tests für jede und jeden funktionieren?
Jeder soll bald zwei Gratis-Tests pro Woche machen lassen können
Alle Bürgerinnen und Bürger sollen in Testzentren, Apotheken oder
Praxen laut Konzept des Bundesgesundheitsministeriums zweimal
wöchentlich kostenlos einen Antigen-Schnelltest machen lassen können
– ab einem Tag im März, den Bund und Länder nun wohl nennen wollen.
Getestete bekommen das Ergebnis schriftlich. Die Tests sollen helfen,
Infektionen zu stoppen und das Virus einzudämmen. Die Nachweise sind
laut Konzept auch "denkbar als Voraussetzung zum Betreten bestimmter
Einrichtungen".
Dazu kommen Selbsttests, die man kaufen kann. Folgt
man dem Papier aus dem Ressort von Minister Jens Spahn (CDU), sollen
auch Schulen sie für Schülerinnen und Schüler und Unternehmen für
ihre Beschäftigten bereitstellen. Selbsttests unter Aufsicht von
Veranstaltern könnten auch Voraussetzung für das Betreten von
Restaurants, Theatern oder Kinos werden.
Wie Schnelltests und Selbsttests funktionieren
Bei Schnelltests führt geschultes Personal das Wattestäbchen tief in
Rachen und Nase.
Bei Selbsttests heißt es in der Anleitung eines von
bisher drei zugelassenen Produkten: "Führen Sie die saugfähige Spitze
des Tupfers vorsichtig in Ihr linkes Nasenloch ein. Stellen Sie
sicher, dass sich die gesamte Tupferspitze in Ihrem Nasenloch
befindet (2 - 4 cm tief). Führen Sie den Tupfer nicht weiter ein,
wenn Sie einen Widerstand spüren. Rollen Sie den Tupfer mindestens 5
Mal gegen die Innenseiten Ihres Nasenlochs." Dauer bis zum Ergebnis:
15 Minuten. Die Virologin Sandra Ciesek meint: "Ich glaube, einen
Abstrich aus der vorderen Nase bekommt jeder hin."
Welche Rolle Tests für Öffnungen spielen sollen
Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) benannte bei Anne Will in der
ARD als Kernfrage für das Bund-Länder-Treffen: "In welchen Bereichen,
in denen die Ansteckungsgefahr groß ist, sollte man dann auch einen
tagesaktuellen Schnelltest vorweisen können?" Der Verband der Kinder-
und Jugendärzte lehnt flächendeckende Tests an Schulen und Kitas ab – außer für alle "erwachsenen Personen, die Kontakt mit den Kindern
haben". Und der Präsident des Handelsverbands HDE, Josef
Sanktjohanser, sagte am Montag bei einer Veranstaltung des
Arbeitgeberverbands BDA, was er von Tests im Handel hält: "Extrem
schwierig" würde es, wenn die Politik sagt, man könne nur nach einem
Selbsttest in einen Modeladen. Ein "absoluter Rückschritt an
Freizügigkeit" wäre es für ihn, dürften Lebensmittel-, Drogerie- oder
Baumärkte nur Getestete einlassen.
Was wann geöffnet werden soll
Es gibt mehrere konkrete Pläne für mögliche Öffnungen. Der Senat von Berlin hat als Vorsitzland der
Ministerpräsidentenkonferenz eine Strategie vorgelegt mit
detaillierten Öffnungsschritten je nach Sieben-Tage-Inzidenz. Trotz
Tests würde sich bei den aktuellen Inzidenz-Werten über 50 nur für
Kinder etwas ändern. Sie dürften in kleinen Gruppen draußen wieder
Sport treiben. Das Robert Koch-Institut nennt in seinem Konzept als
Voraussetzung für Öffnungen eine milde Inzidenz und wenige
Covid-19-Intensivpatienten – in einzelnen Landkreisen, "wenn ein
überwiegender Anteil der Landkreise Indikatoren mit Werten aufweist,
die dies erlauben".
Wie Kontakte nachverfolgt werden sollen
Die Gesundheitsämter sollen beim Stoppen von Infektionsketten besser
digital unterstützt werden, wie Braun deutlich machte. Ein von
NRW-Ministerpräsident Armin Laschet bestellter Expertenrat will
Lockerungen an Schutzkonzepte geknüpft sehen. Nicht nur mit Tests.
Sondern auch mit einer technologischen Plattform zur Nachverfolgung
der Infektionsketten unter Einbeziehung der Gesundheitsämter – und
mit digitaler Verfolgung von Infektionsherden. Beides steht noch
nicht. Eine verbesserte Corona-Warn-App könnte laut dem Rat helfen.
Warum man sich nicht zu früh auf Öffnungen freuen sollte
Die Tests sollen nun breit kommen. Bei den Selbsttests nennt eine
erste Drogeriemarktkette den 9. März als Verkaufsstart. Doch einen
Dämpfer könnten noch in dieser Woche erwartete neue Zahlen bringen –
zur Verbreitung der ansteckenderen und womöglich auch tödlicheren
britischen Corona-Variante. Die Klinikärzte vom Marburger Bund
warnen: Wenn die dritte Welle ungebremst auf die Millionen noch
ungeimpften Jüngeren mit höherem Krankheitsrisiko trifft, würden mehr
von ihnen zu Covid-19-Intensivpatienten, wie Verbandschefin Susanne
Johna nun der Funke Mediengruppe sagte. Gesundheitsminister Jens Spahn mahnt: "Wir würden es
uns allen nicht verzeihen, aber Sie auch Ihrer Regierung nicht, wenn
wir jetzt zu schnell lockerten und auf einmal in vier oder sechs
Wochen wieder vor ganz anderen Fragen stünden."
Was die Opposition fordert
FDP-Bundesvize Katja Suding erklärte gegenüber watson, es habe ein "monatelanges Regierungsversagen beim Testen und Impfen" gegeben. Sie kritisierte, dass nach wie vor eine "Strategie für den Weg zur Normalität" fehle – und fordert schnelle Lockerungen. Suding wörtlich:
"Die Kulturbranche, der Einzelhandel, die weiterführenden Schulen – sie alle sollten mit geeigneten Hygienemaßnahmen unverzüglich wieder öffnen. Schnell- und Selbsttest, mobile Luftfilter und FFP2-Masken machen das Virus beherrschbar."
Bund und Länder müssten "dringend die Beschaffung beschleunigen" und "das Missmanagement der vergangenen Monate korrigieren".
Amira Mohamed Ali, Fraktionschefin der Linken im Bundestag, fordert, dass bei Öffnungen Schulen und Kitas an erster Stelle kommen. Sie blickt vor dem Corona-Gipfel von Bund und Ländern vor allem auf Gesundheitsminister Spahn – und auf dessen Versäumnisse im Umgang mit der Pandemie. Gegenüber watson erklärt Mohamed Ali:
"Das Corona-Management der Bundesregierung besteht aus einer Kette schwerster Versäumnisse und hat in ein einziges Chaos geführt. Bei Öffnungen müssen Schulen und Kitas eine klare Priorität bekommen. Aber eine verantwortungsvolle Öffnung und gleichzeitiger Schutz der Gesundheit von Kindern, Lehrern und Familien hätte ein einheitliches und funktionierendes Schnelltestsystem an den Schulen sowie ausreichend vorhandene Luftfilter zur Voraussetzung gehabt. Für dieses x-te Versäumnis nach dem Impfdebakel ist insbesondere der regelmäßig scheiternde Katastrophenminister Spahn verantwortlich."
Amira Mohamed Ali, Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag.Bild: www.imago-images.de / Christian Spicker
Mehr Schnelltests und zügigere Impfungen, das sind die Forderungen von Grünen-Fraktionschefin Göring-Eckardt. In ihrem Pressestatement erklärte sie: "Wir brauchen mehr Schnelltests, die überall zur Verfügung stehen, prioritär in den Schulen und Kindertagesstätten. Schnelltests erhöhen die Sicherheit und müssen ein mehr an Kontakten begleiten."
Katrin Göring-Eckardt, Fraktionschefin der Grünen im Bundestag. Bild: dpa / Kay Nietfeld
Und sie fordert mehr Geschwindigkeit beim Impfen. Göring-Eckardt wörtlich: "Es muss schneller geimpft werden. Es darf nichts liegengelassen werden. Ein Impfstoff im Kühlschrank verhindert keine einzige Infektion und stoppt keine einzige Erkrankung."
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