Video-Vorlesungen und Zoom-Seminare vor dem eigenen Notebook, kaum Kontakt zu anderen Menschen, weggebrochene Nebenjobs: Für Millionen Studierende waren die Monate seit März 2020, seit die Covid-19-Pandemie Deutschland mit voller Härte erwischt hat, eine Zumutung.
Die Folgen bei vielen jungen Menschen: Antriebslosigkeit, Frustration, Existenzängste. Im Frühjahr endete der Corona-Lockdown nach und nach. Die Impfquoten sind seither gestiegen, die Zahl der Covid-Patienten in Krankenhäusern gesunken, an vielen Hochschulen hat der Präsenzunterricht zumindest teilweise wieder begonnen. Für viele Studierende ist das schon eine gigantische Erleichterung.
Doch wie geht es im kommenden Wintersemester weiter? Was passiert ab Oktober, angesichts steigender Infektionszahlen und der rasanten Verbreitung der Delta-Variante des Coronavirus?
watson hat nachgefragt: Bei der Studierendeninitiative "Onlineleere", die sich seit Monaten für eine Rückkehr zum Präsenzunterricht einsetzt, beim Bundesbildungsministerium – und vor allem bei den Ministerien der 16 Bundesländer, die für die Hochschulen zuständig sind.
Schon in den Wochen nach Beginn des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr 2020 haben Studierende begonnen, auf die dramatischen Folgen rein digitaler Vorlesungen und anderer Beschränkungen hinzuweisen. Seit dem zweiten Lockdown haben sich mehrere Initiativen gebildet, die auf eine Rückkehr zum Präsenzunterricht – unter Einhaltung der nötigen Hygieneregeln – drängen. In Berlin gründete sich die Gruppe "#NichtNurOnline". Bundesweiten Druck will die Initiative "#OnlineLeere" aufbauen.
"#OnlineLeere" hat Demonstrationen veranstaltet und eine Petition auf der Plattform Change.org gestartet, die bis Ende Juli knapp 5.000 Menschen unterzeichnet haben. Darin fordert "#OnlineLeere" "garantierte Präsenzlehre" im Wintersemester 2021/22.
Gegenüber watson erklärt Nicolas Battigge, Sprecher der Initiative:
Battigge ergänzt:
Er begründet die Forderungen mit dem voraussichtlich hohen Anteil an Studierenden, die bis Oktober durch eine Impfung geschützt seien. Es müsse allerdings zusätzlich Tests für diejenigen Studierenden geben, die sich nicht impfen lassen wollten oder könnten.
Andererseits: Niemand, erklärt der "#OnlineLeere"-Sprecher, solle zur Präsenzlehre gezwungen werden. Wörtlich meint er:
"Worte und Versprechen", fügt der Sprecher der Studierenden-Initiative an, reichten nicht mehr aus. Man sei "frustriert von der Konzeptlosigkeit der Politik, deren einzige Antwort auf die Pandemie lange Zeit 'Lockdown' hieß."
12 von 16 für Hochschulen zuständige Landesministerien, von Schleswig-Holstein bis Bayern, haben watson auf die Fragen zum kommenden Wintersemester geantwortet. Nur aus Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt erhielten wir keine Angaben.
Die Aussagen der übrigen Landesregierungen klingen vorsichtig bis sehr optimistisch. Das Ziel, im Wintersemester zum Präsenzunterricht zurückzukehren, sprechen alle aus.
Das in Brandenburg zuständige Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kultur teilt watson mit, es gehe "davon aus, dass das kommende Wintersemester überwiegend in Präsenz wird stattfinden können". Aus Hamburg heißt es, die Behörde für Wissenschaft, Forschung, Gleichstellung und Bezirke und die Hochschulen planten unter der Agenda "Lehre in voller Präsenz".
In Berlin teilen die Senatskanzlei Wissenschaft und Forschung und die Rektoren und Präsidenten der Hochschulen mit, man bereite sich in der Hauptstadt auf "ein Wintersemester mit Lehre und Studium vor, das zum überwiegenden Teil wieder in Präsenz stattfinden soll."
Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen teilt mit, Landesregierung und Hochschulen seien "zuversichtlich, dass spätestens mit dem Beginn des Wintersemesters Präsenzveranstaltungen an den Hochschulen in Nordrhein-Westfalen wieder zur Regel werden können."
Aus Bremen heißt es von der zuständigen Senatorin Claudia Schilling (SPD), das Bundesland setze "für das kommende Wintersemester auf Präsenzveranstaltungen an seinen Hochschulen." Und der bayerische Wissenschaftsminister Bernd Sibler (CSU) teilt gegenüber watson mit: "Präsenz wieder als Regel, nicht mehr als Ausnahme – das ist mein Ziel." Sibler bitte, so teilt es das Ministerium mit, "die Studierenden an bayerischen Hochschulen, sich wieder auf einen Aufenthalt am Studienstandort einzustellen."
Das saarländische Wissenschaftsressort antwortet watson, die Präsenzlehre solle an den Hochschulen im kleinsten Flächenland "wieder zum Regelfall werden". Aus Schleswig-Holstein kommt die Ankündigung der CDU-Ministerin Karin Prien, das Wintersemester solle "wieder mit Präsenzveranstaltungen gestaltet werden".
Optimistisch, wenn auch etwas vorsichtiger, klingt die Ankündigung aus Niedersachsen: Man plane "eine möglichst weitgehende Rückkehr zum Präsenzunterricht", heißt es gegenüber watson.
Aus Thüringen kommt eine Ansage, die wie ein Versprechen gegenüber Studierenden klingt:
Man strebe deshalb einen "möglichst hohen Anteil an Präsenzlehre an".
In Hessen, meint das Ministerium für Wissenschaft und Kunst, entwickle man gerade eine Öffnungsstrategie, mit der "Präsenzlehre wieder zum Regelfall wird". "Soviel Normalität im Hochschulleben wie möglich und verantwortbar" sei hierbei das Motto.
Aus Rheinland-Pfalz heißt es, die Hochschulen bereiteten "wieder mehr Lehrformate in Präsenz vor." Und das Wissenschaftsministerium in Sachsen meint gegenüber watson: "Es muss das Ziel sein, dass die Hochschulen ab dem Wintersemester wieder weitestgehend öffnen können."
Alle 13 Landesministerien verweisen in ihren Antworten auf die Fragen von watson auf die wachsende Zahl geimpfter Studierender, die eine sichere Rückkehr zum Präsenzunterricht trotz aktuell steigender Infektionszahlen ermöglichen soll.
In Berlin, Bremen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen weisen die zuständigen Landesministerien außerdem schon jetzt darauf hin, dass an den Präsenzveranstaltungen nur geimpfte, von Covid-19 genesene oder aktuell getestete Studierende mit einem entsprechenden Nachweis teilnehmen können werden.
In Bayern, Brandenburg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Schleswig-Holstein und Thüringen gab oder gibt es laut den zuständigen Landesministerien außerdem spezielle Impfaktionen für Studierende. In Niedersachsen werden die Studierenden laut Wissenschaftsministerium "aufgerufen, sich impfen zu lassen" und die Hochschulen "gebeten, die Impfung zu unterstützen". In Berlin, wo die Priorisierung in Arztpraxen und Impfzentren Anfang Juni gefallen ist und Impfungen auch ohne vorherigen Termin möglich sind, appelliert der Regierende Bürgermeister Michael Müller an die Studierenden, "eine der vielen Möglichkeiten in unserer Stadt" zu nutzen.
Für die Hochschulen in Deutschland sind, wie erwähnt, überwiegend die Bundesländer zuständig.
Das von CDU-Politikerin Anja Karliczek geleitete Bundesforschungsministerium (BMBF) will sich daher "auf den Fortschritt der Impfkampagne auch für Studierende" konzentrieren – zusammen mit dem Bundesgesundheitsministerium.
Was das konkret heißt? Das BMBF verweist gegenüber watson auf ein "gemeinsames Schreiben" beider Ministerien und die Hochschulrektorenkonferenz und das Deutsche Studentenwerk. Darin habe man "für eine Verstärkung der Anstrengungen der Hochschulen unter dem Motto 'Impfen für mehr Präsenz' geworben"
Karliczek steht für den Umgang mit der Corona-Krise seit Monaten in der Kritik. Kai Gehring, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag, hätte von ihr mehr Unterstützung für die Studierenden erwartet. Gegenüber watson meint er:
Ähnlich kritisch äußert sich Jens Brandenburg, der Hochschul-Experte der FDP-Fraktion. Er erklärt gegenüber watson:
Grünen-Politiker Gehring wünscht sich für das kommende Wintersemester, dass "ein generelles Zurück zur Präsenz wieder möglich wird". Es sei deshalb "allerhöchste Zeit, dass nun vordringlich Studierende geimpft werden", meint Gehring und ergänzt: "Impfstrategie und Impftempo für Studierende sind eine Garantie, aus dem digitalen Modus schnell und sicher herauszukommen, denn ein Studium ist mehr als Online-Lernen."
Auch sein FDP-Kollege Brandenburg fordert, die Präsenzlehre müsse "wieder zum flächendeckenden Regelfall an deutschen Hochschulen werden."
Brandenburg verweist ebenfalls auf die Impfungen als wichtigstes Mittel, um zum Unterricht an den Hochschulen zurückzukehren. Er erklärt:
Brandenburg fordert aber auch, digitale Formate dort weiter zu ermöglichen, wo sie sinnvoll sind. "Wo sich Onlineformate bewährt haben, hat der überfüllte Hörsaal keinen Mehrwert", meint er. Es komme "auf die Qualität der Lehre und eine intelligente Kombination digitaler und analoger Elemente an."