Polens alter und neuer Präsident Andrzej Duda. Bild: imago images / Jan Graczynski
Exklusiv
13.07.2020, 18:5314.07.2020, 10:49
Polens nationalkonservativer Präsident Andrzej Duda konnte bei der Stichwahl am Sonntag einen knappen Sieg verbuchen: Wie die Wahlkommission am Montag in Warschau nach Auszählung fast aller Stimmen bekannt gab, setzte sich der 48-jährige Amtsinhaber mit einem Vorsprung von 2,4 Prozentpunkten gegen seinen Herausforderer Rafal Trzaskowski durch. Im Wahlkampf war Duda mit EU- und Deutschland-feindlichen Parolen aufgefallen, Kritiker mahnen auch immer wieder an, die Rechtsstaatlichkeit in Polen sei nicht mehr voll gewährleistet.
Wir haben mit dem Politikwissenschaftler Kamil Marcinkiewicz von der Universität Hamburg gesprochen. Er erklärt, wie Duda die Wahl gewonnen hat, welche Folgen sein Sieg hat und warum es aus seiner Sicht trotzdem Hoffnung auf ein weniger konservatives Polen gibt.
watson: Duda konnte sich in der Stichwahl knapp gegen seinen Herausforderer durchsetzen. War dieser Wahlausgang so zu erwarten?
Kamil Marcinkiewicz: Angesichts der Tatsache, dass der Wahlkampf Dudas eigentlich nicht so gut war wie im Jahr 2015 ist es ein sehr gutes Ergebnis für ihn. Das hat meines Erachtens primär damit zu tun, dass die Opposition keinen Zugang zu öffentlich-rechtlichen Medien hatte. Die haben Duda massiv unterstützt in diesem Wahlkampf, das darf man nicht unterschätzen. Es gab nicht einmal den Versuch, den Gegenkandidaten zu zeigen. Stattdessen wurde er beschimpft.
"Insbesondere in ländlichen Gebieten empfangen viele Menschen nur öffentlich-rechtliche Medien. Und was diese da gesehen haben, ist in einer westlichen Demokratie eigentlich unvorstellbar."
Haben die Öffentlich-Rechtlichen in Polen denn so eine große Reichweite?
Insbesondere in ländlichen Gebieten empfangen viele Menschen nur öffentlich-rechtliche Medien. Und was diese da gesehen haben, ist in einer westlichen Demokratie eigentlich unvorstellbar. Der Wahlausgang zeigt, wie schwierig es ist in einem Land, in dem die Rechte der Opposition nicht ernst genommen werden, sich gegen die Meinung der regierenden Partei durchzusetzen.
Und die Opposition hatte keine Möglichkeit, dagegen etwas zu unternehmen?
Wir beobachten in Polen seit fünf Jahren, wie der Rechtsstaat und seine Institutionen immer mehr von der Regierungspartei übernommen und ihr untergeordnet werden. Die Gewaltenteilung wird angegriffen. Die Judikative wurde bereits 2015 geschwächt, ganz konkret das Verfassungsgericht. Alle staatlichen Institutionen, bis auf die zweite Parlamentskammer, den Senat, sind der PiS untergeordnet.
Angesichts dessen ist es aber doch sehr beachtlich, dass der liberal-konservative Gegenkandidat fast genauso viele Stimmen wie Duda bekommen hat.
Vor fünf Jahren wäre es noch undenkbar gewesen, dass ein Kandidat mit einem so progressiven Profil so gut bei einer Wahl abschneidet. Das zeigt, dass sich das Land ändert. Ich würde Trzaskowski auch nicht als liberal-konservativ bezeichnen. Seine Partei, die Bürgerplattform, ist zwar eine Schwesterpartei der CDU, hat sich aber in letzten Jahren eher in der Mitte des politischen Spektrums positioniert. Innerhalb seiner Partei gehört Trzaskowski auch zu den Progressivsten. Das ist, als ob in Deutschland jemand vom linken Flügel der CDU antreten würde. Oder aus dem Grenzgebiet zwischen den Grünen und der CDU.
Was sind denn so seine Positionen?
Trzaskowski hat sich als Bürgermeister von Warschau offen für die Rechte von Schwulen und Lesben ausgesprochen. Das ist in Polen eine Seltenheit. Gut, vielleicht nicht in großen Städten. Es ist ihm gelungen, die Unterstützung von den Linken zu bekommen, auch von anderen kleinen, demokratischen Parteien.
Also kommen seine linksliberalen Positionen bei den Menschen in Polen gut an?
Positiv für ihn ist, dass er bei den jüngeren Wählerinnen und Wählern eine erstaunlich große Zustimmung bekommen hat. Mehr als 60 Prozent der Stimmen in der Gruppe der 18- bis 29-jährigen gingen an ihn. Duda hat dagegen eigentlich nur in der Gruppe der über 50-Jährigen gewonnen. Das haben wir vorher nicht gesehen, diese Altersunterschiede. 2015 haben sich noch viele junge Wählerinnen und Wähler für Duda ausgesprochen. Dass sich das jetzt geändert hat, ist eine große Errungenschaft von Trzaskowski. Es reichte aber noch nicht, um zu gewinnen.
Aber es gibt für die Opposition in Polen Anlass zur Hoffnung?
Ja. Nichtsdestotrotz werden die Bedingungen für die Opposition immer schwieriger. Ich war hier beim polnischen Konsulat in Hamburg und habe die Wahl dort beobachtet. In Deutschland lebende Polen durften nur per Briefwahl abstimmen. Die Mitarbeiter im Konsulat waren alle sehr freundlich, aber man hatte auch den Eindruck, dass die Wahlausschüsse sehr viel restriktiver als beim ersten Wahlgang mit der Briefwahl umgehen. Die Prozedur war sehr aufwändig. Man musste sich anmelden, die Briefe musste man dem Konsulat auf eigene Kosten binnen kurzer Zeit zurückschicken, dazu wurden einige davon sehr spät verschickt.
Warum könnte die Regierung ein Interesse daran haben, die Briefwahl zu behindern?
In Deutschland hat Trzaskowski mehr als 70 Prozent der Stimmen bekommen. So war es auch unter den Auslandspolen in Großbritannien. Lediglich in den Vereinigten Staaten sind die dort lebenden Polen eher konservativer. Aber sonst konnte man auch außerhalb Polens einen großen Wandel sehen. 2015 hatten die Auslandspolen noch eher für Duda abgestimmt.
Auch bei den Polen im Ausland verändert sich also etwas.
Ja. Daran sieht man auch die Wirkung der Propaganda von staatlichen Medien. Wenn man sich auch über andere Kanäle informiert und mit anderen Menschen in Berührung kommt, ist es schwieriger, Feindbilder aufzubauen und zu sagen, dass die Juden, die Deutschen und die Homosexuellen an allem Schlechten in Polen Schuld sind. Denn diese drei Gruppen wurden im Wahlkampf von einigen Medien für alles verantwortlich gemacht. Das ist wirklich traurig.
"Menschen, die einen Hauptschulabschluss haben oder sogar nur in die Grundschule gegangen sind, haben zu 70 bis 80 Prozent für Duda gestimmt."
Bei den Deutschen ist ja noch historisch nachvollziehbar, dass so etwas funktioniert.
Das Tragische ist aber, dass die Beziehungen recht gut waren vor fünf Jahren und das Ansehen der Deutschen in Polen viel besser war. Wir sehen auch, dass in den Gebieten, die näher am Westen liegen, wo die Wahrscheinlichkeit des Kontakts mit Menschen aus dem Ausland höher ist, diese Klischees nicht funktionieren. Die funktionieren hauptsächlich im polnischen "bible belt", also im Südosten, wo die Menschen seit hunderten Jahren in denselben Dörfern leben und wenig Kontakt mit der Außenwelt haben. Ich würde daher sagen, dass diese Feindbilder ganz bewusst aufgebaut wurden.
Das klingt, als ob es auch große Unterschiede zwischen Stadt und Land gibt.
Ja, die Exit-Polls zeigen, dass es so ist. Duda hat fast ausschließlich in ländlichen Gebieten gewonnen, insbesondere in den sehr konservativen Gebieten im Osten Polens. In großen und mittelgroßen Städten hat er nicht so gut abgeschnitten. Und es gibt es noch einen weiteren Unterschied: Bildung. Menschen, die einen Hauptschulabschluss haben oder sogar nur in die Grundschule gegangen sind, haben zu 70 bis 80 Prozent für Duda gestimmt. Demgegenüber haben sich die Menschen mit Hochschulabschluss zu beinahe 70 Prozent für Trzaskowski ausgesprochen.
Was wir auch nicht vergessen dürfen: Die Nationalkonservativen setzen sehr stark auf den Sozialstaat. Die früheren liberalen Regierungen haben dagegen eher auf die Schwarze Null gesetzt. Dadurch haben viele Menschen, vor allem aus den ländlichen Gebieten, zum ersten Mal das Gefühl, sie bekommen etwas von der Regierung zurück. Das ist einfach Zuckerbrot und Peitsche. Damit soll die Aufmerksamkeit der Menschen von anderen Sachen abgelenkt werden. Aber natürlich hat die Regierung so das Argument, bei den liberalen Regierungen hattet ihr zwar die politischen Freiheiten, aber das Soziale habt ihr erst von uns bekommen. Das ist für das linksliberale Spektrum in Polen ein Problem.
"Den Preis werden Minderheiten bezahlen, vor allem die Schwulen und Lesben. Die wurden schon im Wahlkampf zum Sündenbock gemacht."
Welche Auswirkungen wird die Wahl haben?
Den Preis werden Minderheiten bezahlen, vor allem die Schwulen und Lesben. Die wurden schon im Wahlkampf zum Sündenbock gemacht. Deren Position wird sich im Land nicht verbessern, solange die jetzige Regierungspartei an der Macht bleibt und immer wieder Gegner präsentieren muss.
Und abgesehen davon?
Vermutlich kommt jetzt die Polonisierung der Medien. Das heißt: Medien, an denen ausländische Unternehmen Anteile haben, werden gezwungen, diese Anteile an die Regierung zu verkaufen. Dadurch werden die Medien immer stärker durch die Regierungspartei kontrolliert werden.
Die polnische Regierung hat ja kürzlich auch den deutschen Botschafter wegen eines Zeitungsberichts einbestellt. Hatte das auch damit zu tun?
Im Wahlkampf hat die Boulevard-Zeitung "Fakt" den Präsidenten stark kritisiert. Die Zeitung gehört dem Axel-Springer-Verlag. Deswegen kamen dann auch diese Angriffe gegen Deutschland. "Fakt" ist vergleichbar mit der "Bild", die Nachrichten haben keine sehr hohe Qualität, aber in diesem Fall hat sie nur berichtet, da wurde nichts manipuliert. Es ging darum, dass der Präsident einen verurteilten Pädophilen begnadigt hat, der seine Tochter über längeren Zeitraum missbraucht hat und zwar mit dem Argument, dass es sich um eine "Familienangelegenheit" handelt. In der Öffentlichkeit präsentiert sich aber Duda als Gegner der Kinderschänder, die es laut PiS-Rhetorik eigentlich nur unter Homosexuellen gibt.
Sie glauben also, dass die PiS die Medien vollständig unter ihre Kontrolle bringen will?
Ja. Das Gleiche gilt auch für einen der zwei privaten Fernsehsender TVN. Der hat sich immer kritisch über PiS geäußert. An ihm haben Aktionäre aus den Vereinigten Staaten Anteile, die können möglicherweise auch unter Druck geraten, ihre Aktien zu verkaufen. Bisher hat das aber der Druck aus den USA, mit denen Polen nahe Beziehungen pflegt, verhindert.
Was könnte die Regierung noch tun, um die Chancen der Opposition zu verkleinern?
Sie wird versuchen, möglichst wenig Geld an die Lokalregierungen in den Städten zu geben, wo Oppositionsparteien regieren. Anschließend wird sie dann diese Regierungen für das Versagen verantwortlich machen. Das gilt insbesondere für Großstädte. Und drittens die Universitäten, die Hochschulen. Das sind immer noch Inseln der Freiheit. Da ist zu befürchten, dass die Regierung immer stärkeren Einfluss auf die Besetzung der Professuren und die Verteilung der Mittel nehmen wird.