Bürger kaufen Gemüse auf einem Markt in Wuhan.Bild: Xiao Yijiu/XinHua/dpa
International
23.01.2020, 21:4923.01.2020, 22:12
Das Virus hat die
Elf-Millionen-Metropole Wuhan in eine Sperrzone verwandelt. Es fahren
keine Busse, keine Bahnen. Der Flugbetrieb ist eingestellt. An den
Ausfallstraßen errichtet die Polizei Straßenblockaden. Millionen
Menschen stecken fest, dürfen nicht raus. Sollen am besten nicht vor
die Tür gehen - und wenn, dann nur mit Mundschutz. Sonst droht
Strafe.
Die drastischen Maßnahmen sollen eine weitere Ausbreitung der
Lungenkrankheit verhindern. Die Straßen sind entvölkert, Märkte und
Einkaufszentren wie leergefegt.
Die Abschottung ist eine beispiellose Maßnahme. "Das ist einmalig
in der neueren Geschichte, sagte Jonas Schmidt-Chanasit vom
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin (BNITM). Auch der
Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist nach Angaben eines Sprechers
kein vergleichbarer Fall bekannt.
Von einer "Geisterstadt" ist die Rede – ein Szenario wie in einem
Science-Fiction-Film, der in Wuhan plötzlich Realität wird.
Wie sich die Quarantäne auf Wuhan auswirkt
In den
Krankenhäusern gibt es einen Ansturm von Patienten mit Fieber und
Atemwegserkrankungen. Die verzweifelte Frage: Was ist eine normale
Erkältung oder die saisonale Grippe, was die neue Lungenkrankheit?
Ärzte und Schwestern, vermummt in weißen Schutzanzügen, sind
überfordert, müssen Kranke heimschicken, weil sie nicht genug Betten
haben.
"Die Lage ist sehr bedrohlich", schildert Wu Chao, Manager einer
Spirituosenkette in Wuhan, der sich große Sorgen macht. "Ein Freund,
der im Krankenhaus arbeitet, rief mich gestern Abend an und riet mir,
ganz schnell die Stadt zu verlassen, weil es wirklich sehr ernst
werde." Sein Freund habe ihn gewarnt, dass sich die Krankheit jetzt
erst so richtig ausbreite. "Die Hospitäler schaffen es nicht mehr."
Soldaten der chinesischen paramilitärischen Polizei stehen mit Mundschutz vor dem geschlossenen Bahnhof Hankou.Bild: CHINATOPIX/AP/dpa
Die Stadtregierung habe anfangs Informationen verschwiegen, bis
es nicht mehr ging, glaubt der Manager. Krankenhäuser hätten zu
Beginn des Ausbruchs auch Kranke mit Fieber und Husten abgewiesen.
"Solange sich der Patient noch bewegen konnte, wurde er nicht
aufgenommen oder isoliert. Er wurde einfach nach Hause geschickt, wo
er sich ausruhen sollte", weiß Wu Chao zu berichten. Heute gehe in
den Hospitälern die Angst um. "Es ist jetzt sehr ernst."
Die Geschichte der mysteriösen Lungenkrankheit
Die ersten Infektionen Mitte Dezember werden auf einen Markt in
Wuhan zurückgeführt, auf dem neben Fischen auch Wildtiere verkauft
werden. Auch das Sars-Virus bei der Pandemie 2002/2003 kam aus der
Tierwelt, wohl von wilden Schleichkatzen, die heute immer noch auf
solchen Märkten als exotische Delikatesse verkauft werden. Als wenn
die damalige Pandemie nie passiert wäre. Damals wurden 8000 Menschen
infiziert, fast 800 starben.
Nun verbreitet wieder ein neuartiges Virus – in ganz China und
mit Flugreisen auch ins Ausland. Mehr als 600 Infektionen sind
chinaweit bereits erfasst, mehr als 15 Menschen starben – zumeist
ältere mit schweren Vorerkrankungen. Wie vor gut 17 Jahren werden in
der Not ungewöhnliche Mittel ergriffen.
Über Nacht verkündet die
Stadtregierung, dass Wuhan – ein großes Industriezentrum und ein
wichtiger Verkehrsknotenpunkt im Herzen Chinas – abgeriegelt wird. Am
Donnerstag folgen die benachbarten Metropolen Huanggang und Ezhou.
Zusammen sind fast 20 Millionen Menschen betroffen.
"Ich sah es um fünf Uhr früh, und war überrascht", sagt Zhang
Lin, Professorin der Wuhan Universität. "Das Reiseverbot hat mich
etwas geschockt." Ihre Eltern waren eigentlich nach Wuhan gekommen,
um in der Provinzhauptstadt Arztbesuche zu machen. "Aber
Krankenhäuser sind jetzt gefährliche Orte." Einfach flüchten und
zurück nach Hause in die Nachbarprovinz Henan fahren könnten sie
jetzt auch nicht mehr.
"Wir stecken in Wuhan fest und können die Stadt nicht verlassen",
sagt die Professorin. "Ich verstehe die Entscheidung, aber ich
persönlich habe etwas Panik", räumt Zhang Lin ein. Die Stimmung in
der Familie sei schlecht – und das ausgerechnet vor dem chinesischen
Neujahrsfest, dem wichtigsten Familienfest in China, das von Samstag
an praktisch zwei Wochen lang gefeiert wird.
"Ich weiß nicht, was richtig und was falsch ist"
Wie die Behörden mit dem Ausbruch umgegangen sind, wird
kontrovers diskutiert. Bei allem Misstrauen herrscht weitgehend
Einigkeit, dass es besser ist als bei der Sars-Pandemie 2002/2003,
die zunächst über Wochen vertuscht worden war. Diesmal fließen die
Informationen schneller, herrscht mehr Transparenz. Aber ob gerade
auf lokaler Ebene immer die ganze Wahrheit gesagt wurde, wird
hinterfragt - gerade was die Gefahr einer Ansteckung von Mensch zu
Mensch angeht.
Ärzte großer Krankenhäuser in Wuhan berichten dem renommierten
Magazin "Caixin", dass die Zahl der Infizierten nach ihren
Schätzungen auf mehr als 6000 klettern könnte. Von offizieller Seite
sagt keiner was dazu. Im Volk herrscht Verwirrung. "Ich weiß nicht,
was richtig und was falsch ist", sagt Professoring Zhang Lin zur
Informationspolitik. "Einige Leute sind zufrieden, andere finden,
dass Wuhans Stadtregierung ein bisschen hinterherhinkte."
Einige wissen offenbar aber auch mehr als andere. "Ein paar
Verwandte von mir sind Beamte und wussten schon Tage vor der
offiziellen Ankündigung, dass die Stadt abgeriegelt würde", zitierte
die Hongkonger "South China Morning Post" einen Alex Wang aus Wuhan.
"So haben meine Cousins schon am Montag die Stadt
verlassen."
(ll/dpa)
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