Monate alte Aussagen des demokratischen US-Präsidentschaftskandidaten Joe Biden haben in der Türkei für Verstimmung gesorgt. Ein Sprecher von Präsident Recep Tayyip Erdoğan warf Biden am Sonntag "Ignoranz, Arroganz und Heuchelei" vor, nachdem dieser Erdoğan in einem Interview als "Autokraten" bezeichnet und sich für eine Stärkung der türkischen Opposition ausgesprochen hatte.
Das Interview mit der "New York Times" war bereits im Dezember geführt worden, Videoaufnahmen davon tauchten jedoch erst am Samstag im Internet auf. Biden kritisierte darin unter anderem die Offensive der Türkei gegen die Kurden und sagte, es sei notwendig, die Gegner des türkischen Führers zu stärken, "damit sie Erdogan herausfordern und ihn besiegen können. Nicht durch einen Staatsstreich, sondern durch Wahlen." Die schriftliche Fassung des Interviews hatte im Dezember keine große Aufmerksamkeit in der Türkei erregt.
Nach der Veröffentlichung des Videos kritisierte Erdogans Sprecher Ibrahim Kalin nun, Bidens Sicht der Türkei basiere auf "purer Ignoranz, Arroganz und Scheinheiligkeit". "Die Zeiten, in denen die Türkei herumkommandiert werden konnte, sind vorbei". Wer das versuche, "werde den Preis dafür bezahlen".
Für die türkische Opposition kommt das Auftauchen des Videos ungelegen. Erdogan bezichtigt seine Gegner regelmäßig, vom Ausland finanziert zu werden. Mehrere Vertreter der wichtigsten Oppositionspartei CHP distanzierten sich am Wochenende von Bidens Äußerungen und forderten "Respekt für die Souveränität der Türkei".
Die Beziehungen der USA zur Türkei könnten sich bei einem Wahlsieg des in Umfragen führenden Biden im November deutlich verschlechtern. Erdoğan hatte in den vergangenen Jahren versucht, einen persönlichen Draht zu US-Präsident Donald Trump aufzubauen und dessen Amtsvorgänger Barack Obama mehrfach kritisiert.
Biden war Obamas Vize. Besonders in Obamas zweiter Amtszeit bis 2016 waren die Beziehungen zwischen den beiden Nato-Partnerländern wegen unterschiedlicher Interessen im Syrienkonflikt und dem Vorgehen Erdogans gegen die Meinungsfreiheit in seinem Land angespannt.
(lau/afp)