Nach tagelanger Blockade durch einen quergestellten Riesenfrachter gibt es im Suezkanal wieder Schiffsbewegung. Bis zum Dienstagmorgen um 06 Uhr MESZ sollen 113 Schiffe ihre Wartepositionen verlassen und den Kanal durchqueren, sagte Osama Rabie, Leiter der Kanalbehörde, am Montagabend nach Medienberichten in Kairo. Die ersten Schiffe hätten bereits am frühen Montagabend Kurs aufgenommen. Nach Rabies Worten werde nunmehr "rund um die Uhr" daran gearbeitet, den Stau von fast 370 Schiffen, die auf beiden Seiten des Kanals wegen der Blockade auf Reede warteten, auszulösen.
Trotz des Endes der Blockade kann es nach Angaben von Reedereien noch mehrere Tage dauern, bis sich die gesamte Warteschlange aufgelöst haben wird. Rabie sagte, der Rückstau solle möglichst innerhalb von vier Tagen aufgelöst werden. Durch die Blockade habe die Kanalbehörde täglich bis zu 14 Millionen Dollar (rund 11,9 Mio Euro) an Einnahmen verloren.
Das Containerschiff "Ever Given" wurde am Montagnachmittag wieder vollständig flottgemacht. Nach Angaben des Bergungsunternehmen Boskalis hatten Helfer dafür rund 30 000 Kubikmeter Sand weggebaggert. Die niederländische Firma hatte Ägypten bei der Freilegung des quergestellten Frachters unterstützt.
Die Hilfs- und Bergungsteams am Suezkanal hatten mit Schleppern und Baggern über Tage versucht, das Schiff eines japanischen Eigentümers zu befreien, das am Dienstag auf Grund gelaufen war. Von Vorteil war dabei die hohe Flut bei Vollmond in der Nacht zum Montag. Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi hatte bereits angeordnet, die teilweise Entladung von Containern vorzubereiten, falls die Versuche zur Freilegung weiterhin erfolglos bleiben sollten.
Nach der Erfolgsmeldung vom Montagmorgen kursierten im Internet Videos von erleichterten Crewmitgliedern der anderen Schiffe im Kanal. "Das Boot schwimmt", sagt ein Mann an Bord eines Schiffs und streckt seinen Daumen nach oben. Auf einem der Videos ist immer wieder der Ausspruch "Alhamdulillah" (Gott sei Dank) zu hören.
Von der Blockade waren in Deutschland insbesondere die Chemie- und Autoindustrie sowie der Maschinen- und Anlagenbau betroffen. Die Branchen bekommen Bestandteile für ihre Produktion aus Asien, die über den Suezkanal transportiert werden, hieß es aus dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag. Unternehmen planen demnach bei Seetransporten zwar zwei bis fünf Tage als Puffer ein. Bei einer längeren Sperrung drohe aber zeitweise ein Stillstand der Produktion. Die Lage für die deutsche Industrie sei auch ohne die Sperrung bereits angespannt gewesen.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie hat die Freilegung als eine "sehr erfreuliche Nachricht" für die globalen Lieferketten bezeichnet. "Ohne die zeitige Freilegung wären die Probleme im Seeverkehr zwischen Europa und Asien mit jedem weiteren Tag exponentiell gewachsen", sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Holger Lösch am Montag in Berlin.
Die Abfertigungsdauer der Containerschiffe setzte die Lieferketten in den nächsten Wochen aber unter zusätzlichen Druck, so Lösch. "Der Druck im Seeverkehr wird weiterbestehen", sagte er und weiter: "Es kann nicht mit einer Entspannung der maritimen Lieferketten vor dem dritten Quartal gerechnet werden."
"Schon die Corona-Krise hat für Verwerfungen im maritimen Handel gesorgt und die Preise für den Container-Transport explodieren lassen", sagte Vincent Stamer, Experte für maritimen Handel beim Institut für Weltwirtschaft (IfW). Die Schiffshavarie im Suezkanal und ihre Nachwirkungen seien als zusätzliche Belastung hinzugekommen.
Der Suezkanal verbindet das Mittelmeer mit dem Roten Meer und bietet damit den kürzesten Schifffahrtsweg zwischen Asien und Europa. 2020 durchfuhren nach Angaben der Suezkanal-Behörde fast 19.000 Schiffe die wichtige Wasserstraße. Durch die tagelange Blockade gingen dem Kanal täglich Einnahmen von rund 13 bis 14 Millionen Dollar verloren.
(andi/lfr//AFP/dpa)