Bosnier trauern um ihre Toten: Am Samstag wurden neun Särge auf dem Friedhof von Potocari, im Osten Bosniens, beigesetzt. Bild: AP / Kemal Softic
International
Die gezielte Tötung von rund 8000 bosnischen Muslimen gilt als der erste Völkermord auf europäischem Boden seit 1945. 25 Jahre später sind die Wunden nicht verheilt. Lautstarke Leugner des Genozids streuen beständig Salz hinein.
Ein Vierteljahrhundert nach den Massaker von Srebrenica ist am Samstag der rund 8000 getöteten muslimischen Männer und Jungen gedacht worden. Sie waren am 11. Juli 1995 im Bosnien-Krieg von bosnisch-serbischen Soldaten ermordet worden. Hinterbliebene der Opfer, bosnische Spitzenpolitiker und
ausländische Diplomaten legten Blumen am Denkmal nieder. Särge mit
den sterblichen Überresten von neun weiteren Opfern, die erst in den
vergangenen Monaten identifiziert worden waren, wurden auf dem
Friedhof von Potocari in frisch ausgehobene Gräber gelassen.
Hohe ausländische Staatsgäste konnten wegen der Corona-Pandemie nicht
kommen, dafür gab es Video-Botschaften, etwa von UN-Generalsekretär
António Guterres, EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen,
Bundespräsident Walter Steinmeier, US-Außenminister Mike Pompeo und
dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton.
Die im Bosnienkrieg
(1992-1995) verübte Gräueltat gilt als der erste Völkermord auf
europäischem Boden seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges 1945.
Der Genozid ereignete sich nach der Einnahme der belagerten Enklave,
die eigentlich als UN-Schutzzone definiert war, durch die bosnischen
Serben. UN-Truppen und Nato-Luftverbände verteidigten die Schutzzone
nicht. Der bosnisch-serbische Armeeführer Ratko Mladic hatte den
bosnischen Muslimen in den Enklaven wie Srebrenica bereits zuvor die
Auslöschung angedroht.
"Genozid unter Strafe stellen"
Nach dem Fall der Stadt flohen deshalb Zehntausende Zivilisten in
eine Fabrik in Potocari bei Srebrenica, damals das Basislager der
niederländischen UN-Truppen, seit 2003 Ort des Gedenkzentrums. Die
Frauen und Kinder ließ Mladic mit Bussen deportieren. Rund 15.000
Männer und Jugendliche versuchten sich zu Fuß in die 100 Kilometer
entfernte Stadt Tuzla durchzuschlagen. Weniger als die Hälfte
schaffte es bis dorthin. Die anderen wurden von den Mladic-Truppen
gefangen genommen, erschossen und in anonymen Massengräbern
verscharrt. Rund 1000 von ihnen gelten noch als vermisst.
Die Vorsitzende des Opferverbandes Mütter von Srebrenica, Munira
Subacic, wandte sich an die Garantiemächte des Friedensvertrags von
Dayton, der den Bosnien-Krieg im November 1995 beendete, darunter die
USA und Deutschland. "Sorgen Sie für Gesetze (in Bosnien), die das
Leugnen des Genozids unter Strafe stellen", erklärte sie. "Nur das
wird die Anstifter des Krieges besiegen und das Erbe schützen, das
Sie uns als den Frieden von Dayton hinterlassen haben."
Bundespräsident Steinmeier sagte am Samstag in seiner
Video-Botschaft: "Erinnern an das Leid und den Schmerz ist ein
zentraler Baustein für Versöhnung." Die strafrechtliche Aufarbeitung
der Geschehnisse sei dafür unumgänglich. Zugleich sei aber der Blick
auch nach vorn zu richten: "Es gilt, neue Brücken zu bauen, wo alte
zerstört wurden. Vertrauen zu schaffen, wo hasserfüllte
Kriegsrhetorik gegeneinander aufgewiegelt hat. Das Gespräch zu
suchen, wo lange kein Wort mehr gesagt wurde."
Taten bis heute geleugnet
Das Internationale Jugoslawien-Tribunal in Den Haag (ICTY)
verurteilte die zwei Hauptdrahtzieher des Massakers, General Mladic
sowie den damaligen bosnisch-serbischen Präsidenten Radovan Karadzic
wegen Völkermords. Die lebenslange Haftstrafe für Karadzic ist
rechtskräftig. Mladic hatte in erster Instanz 40 Jahre bekommen und
wartet auf das Berufungsurteil voraussichtlich im Herbst.
Nichtsdestotrotz leugnen Spitzenpolitiker im serbischen Landesteil
von Bosnien, der Republika Srpska, den Genozid bis heute. Der dort
bestimmende Machthaber Milorad Dodik stellt das Massaker von
Srebrenica verzerrend als "konstruierten Mythos" dar. Dabei stellte
eine staatliche Untersuchungskommission der Republika Srpska im Jahr
2004 fest, dass bosnisch-serbische Verbände in Srebrenica
Kriegsverbrechen an mehr als 8000 muslimischen Männern und
Jugendlichen begangen hatten.
Dodik ließ diesen Bericht als Präsident der Republika Srpska für
ungültig erklären. Heute ist er Mitglied des dreiköpfigen
Staatspräsidiums von Bosnien-Herzegowina. Als einziger Repräsentant
dieses Gremiums blieb er am Samstag der Feier in Srebrenica fern.
(pcl/rtr/dpa)
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