Weizenernte in Sahl ar-Ruj. Die Dürre bereitet Beobachtern Sorge.Bild: dpa / Anas Alkharboutli
International
19.06.2021, 09:0019.06.2021, 11:30
Die Hungerkrise im Bürgerkriegsland Syrien droht
sich wegen einer monatelangen Dürre weiter zu verschlimmern. Die
UN-Landwirtschaftsorganisation FAO rechnet in dieser Saison im
Vergleich zum Vorjahr mit einer "deutlich geringeren" Ernte von
Weizen, dem wichtigsten Grundnahrungsmittel, wie der FAO-Vertreter in
Syrien, Michael Robson, der Deutschen Presse-Agentur erklärte.
Die Welthungerhilfe warnte, die Zahl der Notleidenden, die auf
humanitäre Hilfe angewiesen seien, werde sich dramatisch erhöhen.
"Die Hungersituation der Menschen in Syrien ist bereits heute absolut
katastrophal", sagte Syrien-Koordinator Konstantin Witschel.
Erwartung: Bis zu 45 Prozent weniger Weizen
Genaue Zahlen zur Ernte nennt die FAO noch nicht. Ein Vertreter der
kurdische Selbstverwaltung im Nordosten Syriens erklärte, er rechne
damit, dass die Weizenernte dort um rund 45 Prozent einbreche. Diese
von Kurden kontrollierte Region gilt als "Brotkorb" Syriens.
In dem Land herrscht seit zehn Jahren Bürgerkrieg. Hunderttausende
Menschen kamen ums Leben, rund zwölf Millionen wurden vertrieben,
etwa die Hälfte davon innerhalb des Landes. Das Land ist in Gebiete
unter Kontrolle der Regierung, von Rebellen und der Kurden geteilt.
Welthungerhilfe: Regierung verweigert Hilfe
Syrien leidet zudem seit 2019 unter einer schweren Wirtschaftskrise.
Viele Menschen können sich Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten
hat. Immer wieder gibt es Berichte über lange Schlangen an
Tankstellen und Bäckereien mit subventioniertem Brot. Nach Angaben
des Welternährungsprogramms WFP haben mehr als zwölf Millionen Syrer
und damit fast 60 Prozent der Bevölkerung nicht genug zu essen. Die
Zahl an hungernden und akut unterernährten Kindern steigt.
Witschel sagte, die Welthungerhilfe blicke mit großer Sorge auf die
Ernte. "Die Menschen haben keinerlei Reserven mehr und dürfen mit
dieser Dürre nicht allein gelassen werden", forderte er.
"Nahrungsmittel werden noch knapper werden und die Preise für Brot,
Gemüse und Früchte weiter steigen." Syriens Regierung verweigere
gezielt humanitäre Hilfe und setze Hunger als Waffe ein.
Regenmenge bis zu 80 Prozent unter langfristigem Durchschnitt
Der FAO zufolge setzte der Regen in dieser Saison spät ein und endete
bereits Mitte April. Er lag um 30 bis 80 Prozent unter dem
langfristigen Durchschnitt. Zugleich seien die Temperaturen
gestiegen, was sich auf die Qualität der Ernte auswirke. Wegen
Treibstoffmangels hätten Felder nicht bewässert werden können,
erklärte die FAO weiter. Auch der Wasserstand des Euphrats sei auf
ein kritisches Niveau gesunken. Syriens Kurden werfen der Türkei vor,
Wasser in ihren Staudämmen zurückzuhalten. Ankara weist das zurück.
Die Verfügbarkeit von Brot in Gebieten der Regierung werde von deren
Fähigkeit abhängen, Weizen zu importieren, sagte Syrien-Experte Sam
Heller. Allerdings sind die Devisenvorräte wegen des Verfalls der
Währung geschmolzen. Syriens Verbündeter Russland will der syrischen
Regierung zufolge in diesem Jahr eine Million Tonnen Weizen an diese
liefern. Westliche Staaten haben Sanktionen gegen Damaskus verhängt.
Die nächste wegweisende Entscheidung für die humanitäre Lage in
Syrien fällt Anfang Juli: Dann muss der UN-Sicherheitsrat über den
letzten Grenzübergang abstimmen, über den UN-Hilfe auch in Teile
Syriens gebracht werden kann, die nicht von der Regierung
kontrolliert werden. Beobachter befürchten, Russland könnte mit einem
Veto auch diesen schließen. Dann dürfte UN-Hilfe für Rebellengebiete
und die kurdischen Gebiete nur noch über Syriens Regierung laufen.
(andi/dpa)
Vor mehr als 1000 Tagen fing es mit 5000 Helmen an. Russland startete völkerrechtswidrig einen Großangriff auf die Ukraine – und Deutschland antwortete mit der Lieferung von Militärhelmen.