Die USA haben gewählt, aber noch weiß niemand, wer gewonnen hat. Fest steht: Joe Biden ist mit über 70 Millionen Stimmen der amerikanische Präsidentschaftskandidat mit den meisten Stimmen überhaupt. Gewonnen hat er damit aufgrund des amerikanischen Wahlsystems noch nicht. Denn da geht es um die Mehrheit in den jeweiligen Bundesstaaten und den damit verbundenen Stimmen der Wahlmänner. Donald Trump hatte sich noch während der laufenden Auszählungen als Sieger ausgerufen und einen Gang zum Supreme Court angedroht.
Beste Voraussetzungen also für einen kontroversen Talk bei Sandra Maischberger in ihrer Sondersendung "Die US-Wahl 2020". Es diskutieren:
Die Amerikanerin Gayle Tufts lebt seit 1991 in Berlin. Seit 2017 hat sie die deutsche Staatsbürgerschaft. Auch wegen Donald Trump. Nun erklärt die Deutsche mit "Ami"-grationshintergrund den Zuschauern das US-Wahlspektakel in ihrer alten Heimat. "Trump kommt aus dem Showbusiness", sagt sie und erinnert an seine Karriere in der Reality-Show "The Apprentice". Er lebe auch heute noch nach dem Motto: "Es ist meine Show, und ich mach das." Und da ist der Effekt dann offenbar wichtiger als die Substanz. So hat Trump seinen Herausforderer Joe Biden als Sozialisten bezeichnet, um ihn zu diskreditieren. Doch Tufts stellt klar:
An bewaffnete Ausschreitungen von Trump-Anhängern oder sogar einen Bürgerkrieg nach einer Trump-Niederlage glaubt sie aber nicht. "Ich glaube doch an die Vernunft der amerikanischen Menschen." Stark bewaffnete Trump-Anhänger wie man sie immer mal wieder im Fernsehen sieht, seien Einzelfälle. "Die Leute mit großen Waffen bekommen mehr Aufmerksamkeit."
Ansgar Graw, Herausgeber "The European", tippt auf den knappest denkbaren Sieg für Biden – 270 von 538 Wahlleuten. Dass Trump sich voreilig zum Sieger erklärt und gerichtliche Maßnahmen angekündigt hat, sieht er seiner Verzweiflung geschuldet.
Ausschreitungen erwartet der Journalist allenfalls vereinzelt. Man müsse zwischen Trump-Anhängern und Trump-Wählern unterscheiden, die denken: "Okay, wir halten uns die Nase zu, wenn wir ihn wählen, aber wir wählen ihn".
Auch der Politikwissenschaftler Christian Hacke findet Trumps Siegeserklärung und Gerichtsankündigung "bizarr und undemokratisch." Und er ist sich sicher: "Damit kommt er auch nicht durch."
John Bolton kennt Donald Trump aus nächster Nähe. Er war bis September 2019 anderthalb Jahre lang Sicherheitsberater des Präsidenten. Dann trat er im Streit zurück. Zugeschaltet aus Amerika urteilt er über das Verhalten seines ehemaligen Chefs:
Der Präsident sei nicht in der Lage, etwas anderes zu verfolgen als seine eigenen Interessen. "Er hat keine Strategie, er handelt aus dem Bauch heraus." Ein unabhängiges Rechtssystem sei dem Präsidenten als Konzept fremd. "Er glaubt, der Supreme Court wäre ihm zu Willen – er versteht nicht, wie das Rechtssystem funktioniert." Kann man eigentlich etwas Vernichtenderes über einen Staatschef sagen? Boltons Fazit: "Der Schaden, den er angerichtet hat, ist irreparabel."
Wie absurd Trumps Verhalten ist, sieht man allein schon daran, dass Trump Parteifreund Ralph Freund von den Republicans Abroad Germany freimütig zugibt, dass er für das Ansinnen seines Präsidenten keine Chance sehe. Nur der Parteiensolidarität wegen schickt er nach. "Aber vielleicht sehen Juristen sie."
Fast scheint es, als habe sich Freund schon mit der Niederlage Trumps abgefunden. Und er glaubt auch, dass sein Präsident entgegen aller Anzeichen damit umgehen können wird. Unruhen werde es nicht geben, wenn Trump verliert, meint er. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass er aufruft zu zivilem Ungehorsam. Wenn er die Wahl verliert, wird er von der politischen Bildfläche relativ schnell verschwinden."
Kenton Barnes von den Democrats Abroad Germany sagt überraschenderweise ähnlich optimistisch:
Das Ende von Trumps Präsidentschaft sehnt er sehnlichst herbei. "Trump hat fast nichts für uns getan", sagt Barnes. "Als schwarzer Mann in den USA bin ich eine aussterbende Rasse." Ralf Freund entscheidet sich dafür, das für einen bitterbösen Witz zu halten und lacht. Es bleibt unklar, wie Barnes seine Bemerkung wirklich gemeint hat. Aber er stellt klar, Trump habe seine bewaffneten Anhänger während der Ausschreitungen wegen Polizei-Gewalt auch ohne Worte "auf jeden Fall bestärkt – seine Anhänger verstehen genau, was er meint".
Das zweite Streitgespräch des Abends plätschert weniger harmonisch dahin. Es treffen FDP-Politiker Alexander Graf Lambsdorff und Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht aufeinander. Lambsdorff befindet wenig überraschend: "Trump ist unberechenbar und Biden wäre ein Partner, jemand der weiß um den Wert von Freundschaften und Bündnissen."
Das sieht Wagenknecht ganz anders. Sie warnt vor Biden: Es sei ein völliger Trugschluss, dass der Demokrat eine weniger rücksichtslose Außenpolitik macht, sie glaubt "dass sich nicht viel ändern wird", allenfalls werde Politik "in höflicheren diplomatischen Formen stattfinden".
Und wenn Trump weiterregiere und wie schonmal überlegt, aus der Nato auszutretem, sieht sie das sogar positiv: "Das Letzte, was die Welt braucht, ist noch mehr Aufrüstung". Die von Nato-Staaten geforderten 2 Prozent der Wirtschaftsleitung für Rüstung seien "der pure Wahnsinn – wo soll das hinführen". Sie beklagt die von der amerikanischen Air Base in Ramstein durchgeführten "exterritorialen Tötungen" per Drohne. Das sei illegal.
Sie lobt: "Er ist immerhin seit dem Ende des Kalten Krieges der erste US-Präsident, der nicht selber einen neuen Krieg angefangen hat. Er hat ja auch aus anderen Konflikten Truppen zurückgezogen."
Dass Trump Soldaten abziehe, auch aus Deutschland, sei doch gut.
Mehrfach reibt man sich bei Wagenknecht die Augen. 2016 nannte sie Trumps Wahlsieg "keine Totalkatastrophe" und das scheint sie auch heute noch zu sehen. Sie lobt seine "konsequente Industriepolitik", die sie in Deutschland vermisst, zum Beispiel bei der Stahlindustrie, die es sehr schwer durch Dumpingimporte habe.
Und weiter sagt sie über Trump: "Er war der erste seit vielen Jahren, der den Leuten, die keinen Hochschulabschluss haben und einfache Jobs brauchen, das Gefühl gegeben hat, er nimmt ihre Sorgen ernst."
Wagenknechts Appell: "Europa muss gucken: Wo sind unsere Interessen? Wir müssen nicht darauf warten, dass uns Amerika in die Arme nimmt." Einen eventuellen Wahlsieg der Demokraten sieht sie hingegen sehr kritisch: "Wenn Biden jetzt gewählt wird, wird genau die Politik gewählt, die Trump damals an die Macht gebracht hat."