Am Montag dieser Woche haben sich dutzende Länder unter dem Vorsitz der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammengefunden, um insgesamt rund 7,4 Milliarden Euro für die Entwicklung und Verbreitung eines Corona-Impfstoffes zu sammeln. Nicht dabei waren unter anderem Russland und die USA.
Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen begrüßt die Initiative. Gleichzeitig fordert sie: Es müsse dafür gesorgt werden, dass ein Corona-Impfstoff allen zugänglich und auch für ärmere Länder bezahlbar sei. Sie fürchtet, dass einige wohlhabende Nationen große Teile der Impfstoffvorräte für sich selbst nutzten und ärmere Länder darunter litten.
Nach den bisherigen Erfahrungen während der Corona-Pandemie ist das keine unrealistische Vorstellung. Erst kürzlich hatte die US-Regierung unter Donald Trump versucht, eine Tübinger Firma abzuwerben und dafür zu bezahlen, exklusiv für die USA einen Impfstoff zu entwickeln.
Warum es so wichtig ist, dass gerade Entwicklungsländer schnell an einen Impfstoff kommen und wie bedrohlich Covid-19 für die afrikanischen Länder, aber auch Indien sein könnte, erklärt Elisabeth Massute von Ärzte ohne Grenzen im Interview mit watson.
"Es müssen alle Länder Zugang zu einem Impfstoff haben."
watson: Zu Beginn dieser Woche fand die Geberkonferenz zur Förderung eines Corona-Impfstoffs statt. Wie zufrieden waren Sie mit den Ergebnissen?
Elisabeth Massute: Wir begrüßen, dass so viel Geld zusammengekommen ist und es eine globale Anstrengung gibt, Impfstoffe, Medikamente und Tests zu fördern. 8 Milliarden Dollar (rund 7,4 Milliarden Euro, Anm. d. Red.) sind eine große Summe und es sollte noch weiter gesammelt werden. Für uns stellt sich nur die Frage, welche Bedingungen an diese Gelder geknüpft werden.
Was ist wichtig bei der Entwicklung eines Corona-Impfstoffs?
Weil es sich um eine globale Pandemie handelt, müssen alle Länder Zugang zu einem Impfstoff haben. Momentan werden weltweit 115 mögliche Impfstoffe entwickelt. Davon werden aber nur neun von CEPI gefördert. CEPI ist eine globale Plattform, die nach der Ebola-Pandemie gegründet wurde und unter anderem durch Staaten wie Deutschland und Stiftungen wie die Bill und Melinda Gates Foundation finanziert wird. Vor allem, da Investitionen in CEPI von öffentlicher Hand und durch philantropische Stiftungen getätigt werden, ist es essentiell, dass ein durch CEPI geförderter Impfstoff einfach zugänglich ist – insbesondere in ärmeren Ländern.
Wie wichtig ist ein Impfstoff gerade in Entwicklungsländern?
In ärmeren Ländern ist das Gesundheitssystem weniger stabil. Dort gibt es weniger Beatmungsmöglichkeiten, Krankenbetten oder Intensivstationen, wie wir es aus Deutschland kennen. Gerade hier ist ein Impfstoff eine wichtige Maßnahme, um das Gesundheitssystem zu entlasten und Gesundheitspersonal zu schützen. Wir brauchen daher einen bezahlbaren Impfstoff für alle.
Wenn der Impfstoff gefunden ist, droht das nächste Problem:
"Es können Barrieren entstehen durch Patente oder Exportbeschränkungen."
Welche Befürchtung haben Sie bei der Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen?
Es können Barrieren entstehen durch Patente oder Exportbeschränkungen. Angenommen, der Impfstoff wird in Europa entdeckt, dann stellt sich die Frage, ob er weltweit produziert werden kann. Das könnte durch Patente verhindert werden. Gerade in ärmeren Ländern gibt es oft auch keine Möglichkeiten, solche Impfstoffe selbst zu produzieren. Da wäre es wichtig, dass es keine Exportbeschränkungen gegenüber diesen Ländern gibt.
"Es ist wichtig, dass wir jetzt aktiv werden, bevor es einen Impfstoff gibt und nationale Interessen eine Rolle spielen."
Wie ist Ihre bisherige Erfahrung damit, beispielsweise bei HIV-Medikamenten?
Bei HIV war es lange so, dass Medikamente, die es in reichen Ländern gab, in ärmeren Ländern aufgrund von Patenten schwer zugänglich und zu teuer waren. Gerade in Ländern wie Indien und Südafrika sind deshalb Bewegungen entstanden, die gefordert haben, dass Medikamente auch in diesen Ländern bezahlbar werden. Letzten Endes hat dieser Aktivismus dazu geführt, dass heute durch Änderungen in internationalen Abkommen mehr Menschen behandelt werden können. Das hat damals 20 Jahre gedauert, so viel Zeit haben wir bei Covid-19 nicht. Es ist wichtig, dass wir jetzt aktiv werden, bevor es einen Impfstoff gibt und nationale Interessen einen weltweiten Zugang einschränken könnten.
Wie problematisch ist es, dass Länder wie die USA nicht beteiligt waren an der aktuellen Konferenz zur Finanzierung des Impfstoffes?
Wir würden uns natürlich wünschen, dass sich alle Länder beteiligen. Gerade die Weltgesundheitsorganisation WHO ist sehr geeignet, um die derzeitigen Anstrengungen zur Produktion und Verteilung zu koordinieren, weil dort auch ärmere Länder beteiligt werden können. Es ist schade, dass sich einige Länder wie Russland und die USA da rausnehmen.
Die USA waren bisher der größte Geldgeber der WHO. Wie kritisch ist es, dass sie die Zahlungen eingestellt haben?
Noch sind die Zahlungen ja nicht eingestellt, sondern das ist nur angekündigt. Donald Trump kann es nicht alleine entscheiden, es muss noch durch die anderen Instanzen gehen. Aber es ist natürlich ein alarmierendes Zeichen. Die Gelder, die an die WHO gehen, sind natürlich nicht nur im Rahmen der Pandemie-Bekämpfung wichtig, sondern auch bei anderen Krankheiten. Wir sehen das mit Besorgnis.
Inzwischen sind auch in Afrika aus beinahe jedem Land Corona-Fälle gemeldet worden. screenshot / johns hopkins university
"Wir müssen schauen, dass Medikamente, Tests und Schutzkleidung dort verfügbar sind, wo die Hilfe am meisten gebraucht wird."
Was bedeutet denn ein Corona-Ausbruch für die Entwicklungsländer?
Die Maßnahmen zur Covid-19-Bekämpfung beeinflussen auch die Behandlung von anderen Krankheiten wie HIV oder Tuberkulose. Gerade weil in ärmeren Ländern nicht so viel Gesundheitspersonal vorhanden ist, muss es besonders geschützt werden. Außerdem ist es so, dass Patienten, die an HIV und Tuberkulose leiden und damit zur Hochrisikogruppe bei einer Infektion mit dem Virus zählen, über einen langen Zeitraum behandelt werden müssen. Wir befürchten, dass das gerade jetzt schwierig wird, wenn sich die Gesundheitssysteme auf Covid-19 konzentrieren.
Wie wirkt sich das auf Deutschland aus, wenn das Coronavirus in den Entwicklungsländern nicht behandelt und von dort aus hierher zurückgebracht wird?
Ich finde es weniger wichtig, was das für uns in Deutschland bedeutet. Wir leben gerade hier in Deutschland in einer sehr privilegierten Situation. Wir haben viele Intensivbetten und konnten die Krise bisher sehr gut meistern. Ich mache mir eher Sorgen um die Menschen vor Ort in den ärmeren Ländern. Wir müssen schauen, dass Medikamente, Tests und Schutzkleidung dort verfügbar sind, wo die Hilfe am meisten gebraucht wird.
Ärzte ohne Grenzen unterstützen unter anderem bei Krisensituationen in Entwicklungsländern. So zum Beispiel während des Ausbruchs von Ebola in Westafrika 2014.Bild: John Moore/Getty Images
Und das ist Ihrer Meinung nach vor allem in den Entwicklungsländern der Fall?
Das wird sich im Laufe der Pandemie zeigen. Momentan sind Städte wie New York in den USA besonders betroffen. Aber wir wissen nicht, wie sich das Virus verhält, wenn es sich in den ärmeren Ländern ausbreitet und dort in Verbindung tritt mit anderen Krankheiten wie Malaria oder der Mangelernährung, die in vielen Ländern vorherrscht. Es ist schwierig zu sagen, wie sich die Ausbreitung in ärmeren Ländern auswirken wird, aber die bisherigen Berechnungen zeichnen kein gutes Bild.
Wie könnte sich die Corona-Pandemie wirtschaftlich auf die Entwicklungsländer auswirken?
Es gibt viele Länder, in denen Menschen arbeiten, um mit ihrem Tageslohn ihre Familie zu ernähren. Wenn diese Menschen nicht zur Arbeit gehen können, weil es einen Lockdown gibt, dann wirkt sich das natürlich auch direkt auf die soziale und wirtschaftliche Situation dieser Menschen aus.
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