Mehr als 530.000 Fälle zählen die USA inzwischen und führen damit unangefochten die Liste mit Corona-Fällen weltweit an. Zunächst hatte US-Präsident Donald Trump das Virus noch belächelt und gesagt, man würde das schon in den Griff bekommen. Inzwischen spricht selbst er von möglichen 200.000 Corona-Toten in den USA.
Trotz des politischen Schlingerkurses befindet sich Donald Trump im Umfragehoch. Über 60 Prozent bewerten das Krisenmanagement des US-Präsidenten positiv. Aus der Ferne ein merkwürdiges Phänomen. Watson hat einen Experten gefragt, der sich bereits sehr lange mit der Politik und der Gesellschaft in den USA beschäftigt, damit er uns einen Einblick in die amerikanische Seele verschafft.
Michael Hochgeschwender ist Professor für Amerikanistik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Interview mit watson erklärt er, warum Donald Trump inzwischen seinen Kurs in der Bekämpfung des Virus geändert hat, welche Chancen der US-Präsident auf eine zweite Amtszeit hat und warum er Probleme bekommen könnte, wenn das Virus die amerikanische Provinz erreicht.
watson: Es ist erstaunlich, wie gut die Umfragewerte für Donald Trump sind – trotz seines bisher eher unglücklichen Agierens in der Krise. Können Sie sich das erklären?
Michael Hochgeschwender: Krisen sind die Stunde der Exekutive. Donald Trump inszeniert sich als starker Mann. Er hält Pressekonferenzen und zeigt "Leadership". Das wird in den USA sehr positiv gesehen. Wenn man aber mal genauer hinschaut, merkt man, dass das nicht stimmt. Er ist gar nicht so ein starker Anführer.
Wie meinen Sie das?
Tatsächlich hat er es am Anfang gegen die Wand gefahren, als er verkündet hat, er – also er persönlich – habe das Virus voll im Griff und das sei alles gar nicht so schlimm. Letztlich hängt er stark von seinen Beratern ab, wie Vizepräsident Mike Pence. Und die haben anscheinend inzwischen das Heft in die Hand genommen und es hinbekommen, dass Trump eine Linie fährt, die wenigstens halbwegs rational ist. Wobei auch hier seine Selbstinszenierung an erster Stelle steht: Er kündigt Maßnahmen an, die Mitte Mai erst greifen und im Moment noch gar nichts bringen. Und das werden die Menschen auch bald merken.
Was sie aber jetzt schon merken, sind die wirtschaftlichen Auswirkungen. In den vergangenen zwei Wochen haben sich zehn Millionen Amerikaner arbeitslos gemeldet. Ein absoluter Rekord. Wird die US-Wirtschaft das wieder auffangen können?
Längerfristig schon. Ökonomen deuten darauf hin, dass wir es nicht mit einer klassischen Rezession zu tun haben. Die Leute wollen ja gerne Geld ausgeben, aber dürfen es aktuell eben nicht. Verglichen mit anderen Krisen, wo Produktion und Konsum eingebrochen sind, haben wir es hier mit einer Krise zu tun, die auch in absehbarer Zeit vorüber sein wird. 1918 grassierte die spanische Grippe und sorgte für einen Stillstand in den USA. Trotzdem kamen anschließend die goldenen 1920er Jahre, eine Zeit, in der Wirtschaft und Kultur aufblühten. Eine Pandemie muss nicht bedeuten, dass die Wirtschaft dauerhaft einbricht.
Donald Trump macht Wahlkampf mit dem Versprechen, Jobs zu generieren. Was ist, wenn die Wirtschaft bis zur Präsidentschaftswahl im November nicht wieder in Schwung gekommen ist?
Wenn die Pandemie länger andauert und im November keine Wende absehbar ist, wäre das ein Problem für Donald Trumps zweite Amtszeit. Aber davon gehe ich nicht aus. Wenn die Wirtschaft im November langsam wieder anläuft, könnte ihm das sogar in die Hände spielen. Auch seine Aussage, man gehe von 200.000 Toten aus, hilft ihm. So zynisch es klingen mag, aber jeder Tote weniger kann von Trump als Erfolg verkauft werden. Er kann gestärkt aus der Angelegenheit hervorgehen.
Was, wenn es schlimmer wird als erwartet?
Im Moment sieht es so aus, dass außer New York auch Detroit, New Orleans, Chicago und San Francisco Zentren der Pandemie werden. Von dort aus verteilt sich die Krankheit dann aufs flache Land, in die Provinz. Dort sitzen Trumps Wähler. Wenn sich dort dann auch zeigt, dass die Krankenhauskapazitäten der Krankheit nicht gewachsen sind, hat Trump ein echtes Problem. Und das ist wahrscheinlich, wenn selbst New York der Krankheit nicht Herr wird.
Teil des Problems ist auch, dass es in den USA keine Krankenversicherung gibt, die eine medizinische Behandlung für alle ermöglicht. Warum haben die Amerikaner solche Probleme damit, eine allgemeine Krankenversicherung einzuführen?
Das gilt als Angriff auf die Freiheit. Es gibt einige Vertreter der demokratischen Partei, die eine Krankenversicherung haben möchten und dafür eintreten. Das ist nicht nur im Umfeld von Bernie Sanders der Fall. Joe Biden möchte ein System, das sich an dem deutschen Vorbild orientiert und Sanders eher eines, das sich am englischen Gesundheitssystem orientiert. Letztlich ist es aber so, dass selbst viele Demokraten in einer allgemeinen Krankenversicherung den Versuch des Staates sehen, auf Gelder zuzugreifen. Das ist sehr tief in der amerikanischen Tradition verwurzelt: das Misstrauen gegenüber dem Staat und der Bürokratie.
Ändert sich das vielleicht nach der aktuellen Krise?
Das hat sich nach anderen Krisen auch nicht geändert. Aber es gibt innerhalb der USA schon viele Stimmen, die sich mehren und eine allgemeine Krankenversicherung fordern. Man muss nur wirklich auch aufpassen, da kein bürokratisches Monster zu erschaffen. Denn da haben die Kritiker einen Punkt: In den USA neigt die Bürokratie oft dazu, zum Selbstzweck zu werden.
Die USA sind in vielen Punkten doch überraschend anders als Europa: Es gibt Videos von Menschen aus den USA, die trotz Coronavirus Gottesdienste feiern und der Meinung sind, Gott schütze sie. Das ist schon merkwürdig…
Das ist bei den Pfingstchristen weit verbreitet. Diese glauben, dass Religion etwas Heilendes beinhaltet. Sie denken, dass der Glaube Krebs oder Corona heilen könnte. Die gibt es in Europa auch. Aber in den USA hat Religion immer noch eine enge Verbindung zum Alltag der Menschen. Da geht es viel um Hoffnung und Heilung. Im Glauben vieler Amerikaner ist Gott eben unmittelbar beteiligt und greift ein. Wenn ich krank werde, ist es Gottes Wille. Daher gibt es auch diese Vorstellung dort noch, dass Krankheiten eine Strafe Gottes sein können.
Und diese streng religiösen Gruppen sind aber auch potenzielle Wähler von Donald Trump, richtig?
Nicht unbedingt. Die weißen Evangelikalen und konservativen Katholiken haben zuletzt nicht mehr so viel Zustimmung für Trump gezeigt, da viele auch seine Art nicht mögen. Die streng Konservativen auch nicht. Auch die Mormonen können mit Trump gar nichts anfangen. Aber die würden alle niemals die Demokraten wählen, solange die sich für das Recht auf Abtreibung stark machen. Dadurch zwingen die Demokraten die religiösen Gruppen an die Seite von Trump, obwohl diese das eigentlich nicht wirklich wollen.
Nach der Wahl der letzten beiden Präsidenten, Obama und Trump, hat sich die amerikanische Gesellschaft sehr stark gespalten. Könnte die Corona-Krise das Land wieder einen?
Es ist eine Chance. Wenn man sich aber die Medienreaktionen anschaut, dann eher nicht. Konservative erzählen die Trump-Geschichte und die liberalen Medien erzählen ihre eigene Geschichte. Beide sind sehr einseitig und parteiisch. Da sehe ich keinerlei Annäherung. Und Donald Trump selbst macht auch rein gar nichts, um das Land zu einen. Da müsste man abwarten, inwieweit er es irgendwann hinbekommt, einmal staatsmännische Größe an den Tag zu legen. Selbst in der aktuellen Krise bleibt er der Narzisst, der er immer war. Sein Universum dreht sich nur um Donald Trump und es ist erstaunlich, wie viele darauf hereinfallen.
Die USA waren für viele Deutsche immer ein Sehnsuchtsort. Wir sind gerne dorthin in Urlaub gefahren oder zum Schüleraustausch. Jetzt dürfen Europäer nicht mehr einreisen. Wird das auch nach dem Einreisestopp dazu führen, dass weniger in die USA fliegen?
Ich glaube, das wird sich wieder einrenken. Man hat allerdings auch schon vor der Pandemie gesehen, dass die USA nicht mehr das Top-Ziel von Schüleraustauschen sind. Viele Schüler wollen lieber nach Kanada oder haben exotischere Ziele wie Südamerika, Australien oder Neuseeland. In meiner Generation und in den 1950er Jahren war es noch der große Traum, ein Jahr in die USA zu gehen. Das ist heute nicht mehr so sehr der Fall.