Sänger Xavier Naidoo steht in der Kritik, in einem am Dienstag erschienenen Video rechte Verschwörungstheorien und fremdenfeindliche Ressentiments zu verbreiten.
RTL zog die Konsequenzen aus dem Video und warf Naidoo mit sofortiger Wirkung aus der "DSDS"-Jury.
Naidoo hatte zuvor auf Facebook jegliche Rassismus-Vorwürfe zurückgewiesen. Gleichzeitig untermauerte er seine Äußerungen gegenüber Migranten mit weiterer Kritik:
Watson hat mit dem Autor Tobias Ginsburg gesprochen. Er ist Experte für rechte Verschwörungstheorien, hat neun Monate undercover in der Reichsbürgerszene recherchiert und darüber ein Buch veröffentlicht. "Die Reise ins Reich: Unter Reichsbürgern", so der Titel.
Ginsburg erklärt, wie die Äußerungen Naidoos im Video zu deuten sind – und welche rechten Verschwörungstheorien der Sänger damit verbreitet.
watson: Ist Xavier Naidoo ein Reichsbürger?
Tobias Ginsburg: Das kommt ein wenig auf die Definition an, und die ist gar nicht so einfach. Noch hockt Naidoo nicht mit abgesägter Schrotflinte im Schrebergarten unter gehisster Reichskriegsflagge und hat es als Popstar bislang auch nicht nötig gehabt, sich mit Behörden oder Staatsschutz anzulegen. Aber er glaubt nun mal denselben gefährlichen Schrott, der im Zentrum der sogenannten Reichsbürgerbewegung steht.
Würden Sie sagen, dass das rassistisch ist, was er in dem Video sagt?
Ich bitte Sie, ja! Meine Güte, was gibt er denn da mit seinem schmierigen Rumgeschnulze von sich? Deutschland sei verloren, singt er, wegen "politischer Correctness" und natürlich wegen der Migranten. Die bezeichnet er als Wölfe und behauptet, jeden Tag würde ein Geflohener einen Deutschen umbringen – eine sehr beliebte Lüge unter Rechtsextremisten aller Couleur, das glaubte auch der Mörder von Hanau.
Seit wann finden sich Aussagen der Reichsbürger in Naidoos Texten und Äußerungen?
Er bezeichnete schon 2011 die BRD als "besetztes Land", das weder Friedensvertrag noch Verfassung habe, singt von quasi allmächtigen Strippenziehern und Weltregenten, besuchte einer Veranstaltung der vollkommen bekloppten Reichsbürgergruppe Staatenlos.info, benutzt immer wieder rechtsextreme Schlagworte und Chiffren und verbreitet zutiefst rassistische und antisemitische Verschwörungsfantasien. Der einzige Unterschied von Naidoo zu anderen rechtsradikalen Verschwörungstheoretikern und Eso-Nazis ist, dass Naidoo den Müll in der Regel mit schnulziger Instrumentierung unterlegt.
Sind das einfach nur harmlose Verschwörungstheorien, wie oft behauptet wird?
Um Gottes Willen, nein. Was Naidoo von sich gibt, sind die zentralen und konstituierenden Verschwörungsmythen der extremen Rechten. Im Zentrum der Reichsideologie steht der Glaube an eine finstere Weltverschwörung, die das Volk unterjochen und ihm sein Land genommen hat. Das ist eine Gruselgeschichte, die sich Nazis seit 1945 durchgängig erzählen, denn die wollten nur ungern von ihrem Reich lassen. Naidoo reiht sich da nahtlos ein, trällert in Liedern wie "Marionetten" oder "Baron Totschild" mit antisemitischen Codes von der großen Verschwörung, den geheimen Hintermännern, die es zu bekämpfen gilt.
Wo sehen Sie hier Parallelen mit Rechtsextremen?
Auch der Mörder von Hanau schreibt zum Abschluss in seinen widerlichen Aufzeichnungen, dass das Volk von einer geheimen, bösartigen "Elite" belogen und betrogen werde – diese Erkenntnis, schreibt er, sei das "Wesentliche" seiner Überlegungen. Und dann ermordete er zehn Menschen. Am bedrückendsten dürfte in dieser Hinsicht der Song "Wo sind sie jetzt" sein, den Naidoo mit dem Rapper Kool Savas 2012 rausbrachte. In dem Song knüpfen die beiden völlig ungehemmt an die antisemitische Blutmordlegende an: Sie raunen von geheimen Eliten, die sich unerkannt unter uns bewegen und in düsteren Ritualen deutsche Kinder schänden und töten um damit Macht zu generieren.
Xavier sehnt sich dann im Refrain nach "starken Führern", die dem ein Ende bereiten. Klar, das Wort "Jude" lassen die beiden nicht fallen, aber dieser düstere Fiebertraum ist ein Grundnarrativ des Judenhasses. Was Naidoo damals im folgenden Skandal gerettet hat, war ironischerweise seine krankhafte Homophobie: Denn im selben Lied singt er doch auch tatsächlich die Zeile "Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist?" Der Schwulenhass in dem Lied war so erschreckend und bescheuert, garniert auch noch mit blutrünstigen Gewaltfantasien, dass die rechtsextreme, antisemitische Verschwörungsideologie völlig übersehen wurde.
Sie haben lange in der Reichsbürgerszene recherchiert, ist da der Name Xavier Naidoo gefallen?
Natürlich wird Naidoo dort geliebt, nicht nur bei den Verschwörungsideologen, sondern in großen Teilen der rechten Szene insgesamt. Er bestärkt die Menschen in ihrem Verschwörungswahn, in ihrem Hass, ihrem Rassismus, ihrem Antisemitismus. Auch ein Mitglied der Gruppe S. – das ist die rechte Terrorzelle, die erst im vergangenen Monat hochgenommen wurde – präsentierte sich auf Facebook als Xavier-Fan. Wir müssen endlich verstehen lernen, wie unauflösbar Verschwörungsdenken und Rechtsextremismus miteinander verknüpft sind!
2018 wurde Naidoo vor Gericht recht gegeben. Er hatte sich verteidigt, in dem er sagte, dass er nicht wusste, dass er antisemitische Stereotype verwendet.
Na gut, ob er die Chiffren und Lügen selbst durchblickt oder ein Idiot ist, weiß ich natürlich nicht, aber das ist auch unerheblich. Denn welchen Schaden er damit bei Menschen anrichtet, die ihm zuhören, glauben und sich in ihrem Wahn und Hass bestätigt fühlen, das wiederum habe ich aus nächster Nähe gesehen und erlebt. Und das ist erschütternd. Da geht es nicht mehr um die Bewertung eines schmierigen Schnulzensängers. Da geht es um Leben und Tod.