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Interview

Experte zu Olaf Scholz' Kritik an Spahn: "SPD versucht, Kapital zu schlagen"

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Es kriselt in der GroKo: Vize-Kanzler Olaf Scholz hat Fragen.Bild: Getty Images Europe / Pool
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Experte zu Scholz' Kritik an Impf-Chaos: "Die SPD versucht, politisches Kapital aus der Situation zu schlagen"

06.01.2021, 09:19
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Gut eine Woche nach Impfstart in Deutschland hapert es an der Durchführung. Nicht nur wird weniger schnell geimpft als geplant, die bestellten Mengen an Impfdosen liegen auch weit hinter dem zurück, was benötigt wird.

Die EU-Kommission, welche für die Beschaffung zuständig war, hatte laut Informationen der "Bild"-Zeitung aus Rücksicht auf französische Produzenten nur eine geringe Anzahl an Impfdosen vom Mainzer Hersteller Biontech bestellt. Angeblich hatte der französische Präsident Emmanuel Macron darauf gepocht, dass nicht mehr aus Deutschland bestellt werden dürfe als aus Frankreich. Der Impfstoff des französischen Herstellers Sanofi verzögert sich nun allerdings bis in den Herbst und die EU-Länder stehen mit leereren Händen als gedacht da – allen voran: Deutschland.

Nun führt der Fehlstart beim Impfen wohl auch in Deutschland zum Koalitionskrach zwischen SPD und Union. In einem mehrseitigen Brief macht Vize-Kanzler Olaf Scholz laut Informationen des "Tagesspiegel" Angela Merkel und Jens Spahn Vorwürfe. Er wirft Fragen auf, warum es keine nationale Impfstrategie gegeben habe.

Die Frage, die sich stellt: War es ein Fehler, die Bestellung des Impfstoffes der EU-Kommission zu übertragen?

Watson hat mit jemandem gesprochen, der sich mit europäischer Politik auskennt wie kein Zweiter: Werner Weidenfeld ist Professor für Politikwissenschaft und Herausgeber sowie Autor zahlreicher Standardwerke zu Politikwissenschaft und europäischer Einigung. Im Interview erklärt er, warum solche Vorgänge auf EU-Ebene nicht ungewöhnlich sind.

"Dass die SPD versucht, aus der Situation politisches Kapital zu schlagen, kann ich nachvollziehen."

watson: Herr Weidenfeld, Vize-Kanzler Olaf Scholz hat zu den mangelhaften Bestellungen von Impfdosen gegen den Coronavirus einen mehrseitigen Brief mit Fragen an die Kanzlerin übergeben, der laut CDU-Kreisen "einem Untersuchungsausschuss" gleichkomme. Können Sie nachvollziehen, dass die SPD so hart ins Gericht geht mit dem Koalitionspartner?

Werner Weidenfeld:
Ob das strategisch sinnvoll ist, weiß ich nicht. Dass die SPD aber versucht, bei ihrer leidvollen Erfahrung in der GroKo politisches Kapital aus der Situation zu schlagen und in den Angriff übergeht, kann ich nachvollziehen.

Und halten Sie das Vorgehen auch für richtig?

Nun ja, die SPD ist bekanntlich Teil der Regierung. Warum hat sie vorher nicht mit der Kanzlerin darüber gesprochen? Es ist einfach, sich jetzt zu beschweren. Die SPD hat selbst riesige Probleme und es ist leichter, sich nun über den Koalitionspartner zu echauffieren.

Trotzdem scheint der Fall brisant: Laut "Bild"-Bericht hat Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich interveniert, um dafür zu sorgen, dass die Impfstoffbeschaffung durch die EU-Kommission geschieht und nicht einige in der Forschung führende Länder sich darum kümmern. Ist das nicht respektlos ihrem Gesundheitsminister Jens Spahn gegenüber, der bereits alles in die Wege geleitet hatte, um Impfstoff einzukaufen?

Das würde ich nicht sagen. Es gab in den vergangenen Jahrzehnten keine vergleichbar scharfe Krisenerfahrung wie die aktuelle Pandemie. Es ist klar, dass die Kanzlerin in so einer elementaren Frage Verantwortung übernimmt.

Die Konsequenz ist nun allerdings, dass wir in Deutschland zu wenig Impfdosen haben…

Das ist natürlich ein Problem, aber wenn Sie so etwas nicht auf europäischer Ebene lösen, bringt uns der Impfstoff sowieso nichts.

"Das sind die klassischen Interessenkonflikte auf europäischer Ebene."

Wie meinen Sie das?

Selbst wenn Deutschland komplett durchgeimpft wäre, hätten wir schließlich noch den Umstand, dass der Rest der Welt von der Pandemie betroffen ist. Die Corona-Pandemie ist ein internationales Problem. Es geht hier eben auch nicht nur um Nationalstaaten. Daher ist es wichtig, dass wir so etwas international lösen oder wie in diesem Fall zumindest europäisch.

Diese Solidarität kostet aber auch: Angeblich ist der Grund für die mangelhafte Anzahl an bestellten Impfdosen beim Mainzer Hersteller Biontech, dass Frankreich gefordert hatte, dass man gleich viele Dosen bei einem französischen Produzenten bestellt. Der kann nun allerdings noch nicht liefern. Wundert Sie so etwas?

Nein. Das sind die klassischen Interessenkonflikte auf europäischer Ebene. Es herrscht nun einmal leider noch ein gewisses nationalstaatliches Denken vor und ein Stolz auf nationale Erzeugnisse.

Über den Experten
Prof. Dr. Dr. hc Werner Weidenfeld ist Professor für Politikwissenschaft und berät Politiker auf höchster Ebene. Er war in beratender Funktion für Angela Merkel und Helmut Kohl tätig. Aktuell ist er Direktor des Centrums für angewandte Politikforschung der Universität München, Rektor der Alma Mater Europaea der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste (Salzburg) und Vizepräsident des Cyber-Sicherheitsrats Deutschland (Berlin).
"Die französische Mentalität ist in solchen Dingen doch anders als die deutsche."

Wäre es denkbar gewesen, dass die gleiche Situation passiert wäre, hätte Frankreich zuerst einen aussichtsreichen Impfstoff produzieren können?

Das kann ich mir nicht vorstellen. Die französische Mentalität ist in solchen Dingen doch anders als die deutsche.

Wie denn?

Ich kann Ihnen das vielleicht besser in einer Anekdote erklären: Ich war vor Jahrzehnten als Berater bei Gesprächen zwischen dem damaligen französischen Präsidenten François Mitterrand und dem deutschen Kanzler Helmut Kohl beteiligt. Wann immer Helmut Kohl gemerkt hat, dass ein Teil des gemeinsamen Beschlusses besonders prestigeträchtig sein würde oder besonders viel Anerkennung in der Öffentlichkeit versprach, hat er es Mitterrand überlassen, damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

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Galten als Inbegriff der deutsch-französischen Freundschaft, wohl auch aufgrund des Respekts für die Schwächen des anderen: Altkanzler Helmut Kohl (l.) und Frankreichs Staatspräsident François Mitterrand.Bild: www.imago-images.de / imago stock&people

Das war Teil seines diplomatischen Gespürs?

Ihm war klar, dass es für den französischen Staatspräsidenten weit wichtiger war, nationales Prestige zu nähren und hatte genug Feinsinn, ihm das zuzugestehen.

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