Es wird nicht ruhig um Annalena Baerbock. Nun steht ihr kürzlich erschienenes Buch "Jetzt: Wie wir unser Land erneuern" in der Kritik. Mehrere Stellen daraus sollen wortwörtlich abgeschrieben worden sein – ohne, dass diese Passagen als Zitate markiert wurden: aus dem Magazinbeitrag eines Politologen, aus dem Blog eines Wirtschaftsverbands, aus dem "Spiegel". Es soll also ein Plagiat sein, die Anmaßung der geistigen Inhalte einer anderen Person.
Den Vorwurf gegen Baerbock hat Stefan Weber erhoben, ein österreichischer Medienwissenschaftler, Publizist und Plagiatsgutachter, der schon gegen einem Dutzend österreichischer und deutscher Politiker Plagiate vorgeworfen hat.
Auch bei Annalena Baerbocks erstem öffentlichen Auftritt nach dem Bekanntwerden der Vorwürfe am Donnerstagabend waren die Plagiatsvorwürfe Thema. In einem Live-Gespräch der Zeitschrift "Brigitte" erklärte die Grünen-Kanzlerkandidatin, dass es sich bei ihrem Buch weder um ein Sachbuch, noch um ein wissenschaftliches Werk handle und sie daher auch keine Quellennachweise im Buch untergebracht habe. Inwieweit die Textstellen wissentlich abgeschrieben wurden, wollte Baerbock nicht kommentieren. Sie erklärte stattdessen lediglich, der Vorwurf der Urheberrechtsverletzung sei falsch.
Die Grünen wechseln derweil in die Offensive, mobilisieren ihre Unterstützer und bezichtigen Plagiatsgutachter Weber einer versuchten Rufmord-Kampagne.
Watson hat Gerhard Dannemann gefragt, was an den Plagiatsvorwürfen dran ist. Er ist Professor für Rechtswissenschaften und Mitarbeiter von "VroniPlag", einer Wissenschaftsplattform, die wissenschaftliche Arbeiten nach Plagiaten untersucht und dessen Enthüllungen schon einige Politiker den Doktortitel gekostet hat.
Watson: Herr Dannemann, was halten Sie von den Vorwürfen, Annalena Baerbock habe Teile ihres Buches anderswo abgeschrieben?
Gerhard Dannemann: Ich habe mir die Nachweise von Herrn Weber, dem Plagiatsgutachter, angeschaut. Ich habe den Eindruck, dass Herr Weber da mit Maßstäben an das Buch herangeht, die normalerweise für wissenschaftliche Literatur verwendet werden. Wenn man diese Maßstäbe zugrunde legt, dann wäre es so, dass Annalena Baerbock in ihrem Buch regelwidrig verschiedene Textstellen aus anderen Werken kopiert hätte.
Sind das die falschen Maßstäbe?
Sie meinen, ob es richtig ist, wissenschaftliche Maßstäbe auf Sachbücher zu übertragen und ich denke eher nicht.
Es geht ja aber auch um die mögliche zukünftige Kanzlerin, die dieses Buch geschrieben hat.
Es ist natürlich so, dass dieses Buch von einer Politikerin geschrieben wurde. Wenn die Textstellen, die Herr Weber kenntlich gemacht hat, stimmen, wovon ich ausgehe, dann ist sie – oder wer auch immer möglicherweise noch am Buch beteiligt war – in einigen Fällen schon nahe an der Urheberrechtsverletzung.
Eindeutig ist es aber nicht?
Da kann man verschiedene Meinung zu haben, da die Rechtsprechung in solchen Fällen unterschiedlich ausfällt. Aber ich bin in jedem Fall nicht überrascht, dass Politiker Texte für ihr eigenes Sachbuch recyclen. Ich würde das selbst nicht so machen, wenn ich ein Buch schreibe, aber leider ist das nicht ungewöhnlich.
Auch, dass ganze Abschnitte wortgleich übernommen wurden?
Einige der Textbeispiele, die Herr Weber aufgeführt hat, sind wirklich auffällig deckungsgleich. Das macht es sehr wahrscheinlich, dass da entweder direkt abgeschrieben wurde oder sich beide aus derselben dritten Quelle bedient haben. Aber nicht alle Beispiele passen da rein. Das Beispiel, bei dem Ähnlichkeiten zur Wikipedia festgestellt wurde, zum Beispiel. Baerbock zitiert auch aus dem grünen Parteiprogramm, was ihr Weber zur Last gelegt hat. Das halte ich wiederum für übertrieben, es ist ja völlig klar, dass eine grüne Kanzlerkandidatin sich an das eigene Parteiprogramm anlehnt, auch wenn das nicht kenntlich gemacht wurde.
Die Grünen haben inzwischen zum Gegenangriff angesetzt und sprechen von einem versuchten Rufmord, den Weber an Annalena Baerbock verübe. Was halten Sie davon?
Herr Weber hat handwerklich ordentlich gearbeitet. Er hat die entsprechenden Passagen aus dem Buch den Texten gegenübergestellt, bei denen sich Annalena Baerbock angeblich bedient hat. Was die Anwälte von Frau Baerbock möglicherweise angreifen werden, ist, dass Herr Weber das Wort "Plagiat" verwendet hat. Ansonsten besteht die Darstellung ganz überwiegend aus Fakten. Das kommt mir von Seiten der Grünen auch etwas übertrieben vor, da nun juristisch gegen vorzugehen.
Nun ist es schon die zweite Plagiatsaffäre um Spitzenpolitiker innerhalb von wenigen Wochen. Erst im Mai legte die damalige Familienministerin Franziska Giffey ihr Amt nieder, weil klar war, dass sie bei ihrer Promotion plagiiert hat. Was für ein Bild hinterlässt das in der Öffentlichkeit von Politikern?
Politiker sind ja nun nicht die einzigen, die unerlaubt kopieren. Ich finde es bei Wissenschaftlern deutlich bedenklicher. Aber es gibt schon einen entscheidenden Unterschied zwischen den Plagiatsvorwürfen gegenüber Annalena Baerbock und denen gegenüber Franziska Giffey. Giffey hatte in einer wissenschaftlichen Arbeit unerlaubt kopiert, bei einem Sachbuch wie bei Frau Baerbock ist das eine andere Sache. Dort ist das Urheberrecht entscheidend. Wenn das verletzt sein sollte, dann ist das auch mit Gepflogenheiten im politischen Bereich nicht zu rechtfertigen.
(mit Material von dpa)