Die US-Präsidentschaftswahl bleibt auch am zweiten Tag nach Schließung der Wahllokale umkämpft. Der demokratische Herausforderer Joe Biden hat mehrfach betont, man müsse noch geduldig sein – während Amtsinhaber Donald Trump den Sieg schon für sich reklamiert und, ohne jeden Beweis, von angeblichem Wahlbetrug spricht.
Was verrät diese Wahl jetzt schon über die Menschen in den USA? Wie gefährlich ist es, dass Trump auf Eskalation setzt? Watson hat darüber mit Rüdiger Bachmann gesprochen, Wirtschaftswissenschaftler mit deutscher und US-amerikanischer Staatsbürgerschaft, der an der Notre-Dame-Universität im US-Bundesstaat Indiana (dessen Wahlmänner an Trump gehen) lehrt – und in der Stadt Ann Arbor im Nachbarstaat Michigan wohnt (wo Biden gewonnen hat).
watson: Was ist die wichtigste Lektion, die wir jetzt schon aus den Ergebnissen dieser Wahl lernen können?
Rüdiger Bachmann: Es sind vier Lektionen. Erstens: Das alte Bonmot aus Bill Clintons Präsidentschaftswahlkampf im Jahr 1992, "It’s the economy, stupid", hat sich wieder einmal bewahrheitet. Wir wissen aus den Umfragen der Wähler direkt nach der Wahl, dass die Sorge um die wirtschaftliche Situation für viele mindestens genauso wichtig war wie die Sorge um die Pandemie. Zweitens: Die alte Legende, dass Wahlen mit hoher Wahlbeteiligung automatisch den Demokraten helfen, ist wohl tatsächlich nur eine Legende. Es gibt auch für zumindest einen populistischen Republikaner die Möglichkeit, ein nicht wahlaffines Publikum zu mobilisieren, genau wie das Demokraten immer bezüglich Minderheiten glaubten. Drittens: Joe Biden schnitt gegenüber Hilary Clinton sehr schlecht bei Latinos ab. Deswegen ging der Bundesstaat Florida schon früh am Abend verloren und der Bundesstaat Nevada ist noch immer eine potenzielle Bedrohung für das Biden-Team.
Der Unterschied läuft vielmehr quer durch die Ethnien: Männer, Arbeiter, Kleingewerbetreibende, Gläubige wählen Trump, der Rest die Demokraten. Viertens: Die professionellen Wahlumfrageinstitute müssen sich ihre Verfahren wirklich einmal genauer anschauen. Die Vorhersagefehler sind einfach zu groß.
Eines ist schon sicher: In absoluten Zahlen haben Millionen mehr Menschen Trump gewählt als 2016. Wie hat er das aus Ihrer Sicht geschafft?
Er ist einfach ein sehr guter Wahlkämpfer. Das muss man mal neidlos anerkennen. Er mobilisiert, er bekommt große Loyalität von seinen Anhängern. Er strahlt einfach Energie aus. Das mag mir persönlich überhaupt nicht gefallen, aber man muss anerkennen, dass es aus demokratietheoretischer Sicht auch gut ist, wenn er Menschen politisiert und sie im politischen Prozess partizipieren lässt.
Donald Trump hat schon begonnen, seine Basis anzuheizen, will die Wahl anfechten, falls er nicht gewinnt. Wie große Angst haben Sie, dass die Situation tatsächlich eskaliert, dass es Gewalt auf den Straßen gibt?
Die Angst schwingt natürlich immer mit. Weswegen es ja auch gut wäre, wenn Trump abgewählt würde. Aber jetzt warten wir mal das vorläufige amtliche Endergebnis ab. Es kann durchaus noch so sein, dass das Ergebnis am Ende etwas deutlicher wird, als zur Zeit gedacht. Nur wenn es sehr knapp wird, wächst die Gefahr einer Eskalation.
Glauben Sie, die Menschen in den USA müssen jetzt um ihre Sicherheit fürchten, wenn Trump mit seiner Wahlbetrugsrhetorik weiter eskaliert?
Noch bin ich ruhig.
Wie ist die Lage an Ihrem Wohnort, Ann Arbor im politisch umkämpften Bundesstaat Michigan, momentan?
Völlig ruhig. An meinem Wohnort muss man Republikaner allerdings mit der Lupe suchen.
Für wie groß halten Sie die Gefahr durch rechtsradikale Milizen wie den "Proud Boys"?
Darüber kann und will ich nicht spekulieren. Ich halte das aber für ein weniger wahrscheinliches Szenario. Etwas wahrscheinlicher sind endlose Gerichtsschlachten oder Tricks mit dem veralteten Wahlrecht der USA. Wenn es am Ende knapp wird, könnte einer der Wahlmänner auch einfach falsch abstimmen. Was dann?
Was macht Sie optimistisch, dass es in den USA friedlich bleibt?
Dass es die USA sind.
Und was pessimistisch?
Dass es die USA sind.