Wer über die Grünen im Osten spricht, kommt nicht um ihren Namen herum. Franziska Schubert machte Schlagzeilen, als sie im sächsischen Görlitz als Oberbürgermeister-Kandidatin gegen den AfD-Kandidaten antrat – und knapp 30 Prozent holte. Es ist auch ihr zu verdanken, dass Deutschland nicht seinen ersten AfD-OB im Amt gesehen hat.
Sie berät die Parteichefs Robert Habeck und Annalena Baerbock bei ihrem Wahlkampf in Sachsen. Die "Zeit" betitelte sie als "Die Grüne im Osten". Aber die Zahlen für Sachsen zeigen, dass ihre Arbeit offenbar noch nicht ausreicht. Die AfD steht kurz davor, einen historischen Sieg für die in weiten Teilen rechtsradikale Partei in dem ostdeutschen Bundesland zu holen.
Watson hat während des Wahlkampf-Finales mit Schubert gesprochen. Heraus kam ein Gespräch über ein neues Missverständnis über die rechten Kräfte im Osten – und darüber, warum die Lage vielleicht doch gar nicht so düster ist, wie es den Anschein macht.
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Lest hier das Interview mit Franziska Schubert
Watson: Ist Ihr Kampf gegen die AfD schon verloren, Frau Schubert? Franziska Schubert: Das glaube ich nicht. Es stimmt, dass die AfD beachtliche Zahlen im Osten für sich verbucht. Aber gegen diese 25 Prozent stehen 75 Prozent an Menschen, die diese Partei nicht wollen. Das vergisst man gerne angesichts dieser Umfragewerte. Ich denke, dass die AfD ihr Mobilisierungspotential ausgeschöpft hat.
Eine Mobilisierung von 25 bis 30 Prozent reicht ja auch für den Wahlsieg. Wie sieht es mit Ihrem Kampf um diese AfD-Wähler aus? Es gibt Menschen, die nicht zugänglich sind für Argumente und die sich in ihren Vorurteilen eingerichtet haben. Natürlich begegne ich solchen Menschen auch auf meinen Veranstaltungen. Aber die völlig Unzugänglichen sind meiner Wahrnehmung nach in der Minderheit. Mit allen Anderen spreche ich bei Begegnungen ohne Kamera, ohne Podien, ohne Publikum.
Ich frage diese Leute nicht erst, wen sie wählen und überlege mir dann, ob ich mich mit ihnen unterhalte.
Lieber mache ich mein eigenes Angebot, erkläre die Ansichten der Bündnisgrünen und versuche, durch die direkte Begegnung Vorurteile abzubauen.
Wenn Sie so nah an den Menschen sind, müssen diese Zahlen Sie doch noch stärker frustrieren. Ich bin wie viele in meiner Generation einiges gewohnt. Wir sind in den 90ern großgeworden. Unsere Städte waren voll mit sichtbaren und gewaltbereiten Nazis. Wir hatten die immer bei uns: in den Diskotheken, auf den Schulwegen, in den Klassen. Einfach überall. Wir kennen das schon und unsere Haltung demgegenüber ist klar: Diese Probleme zu lösen, ist, wie einen Weg entlangzugehen. Umfrageergebnisse beeindrucken mich da wenig. Wir machen das aus Überzeugung, nicht für Prozente. Sonst hätten wir längst aufgegeben. Es verändert sich etwas.
Zum Beispiel? Ich sehe eine neue politisierte Jugend in Sachsen, die mir Hoffnung macht. Vielleicht darf sie noch nicht wählen, aber dann eben in fünf Jahren.
Was macht denn diese Jugend? Ein Beispiel: Ich war gerade in Ostritz. Dort engagieren sich junge Leute beim Friedensfest und haben geholfen, den Rechtsextremen das Bier aus dem lokalen Penny wegzukaufen. Das ist ein super Beispiel für eine ostsächsische Art, Widerstand gegen Rechts zu leisten. Solche Aktionen zeigen perfekt, dass wir den Osten noch nicht aufgegeben haben. Dass es auch junge Menschen gibt, die das ebenfalls nicht tun. Das zeigen auch die "Fridays For Future"-Proteste hier im Bundesland. Nicht aufgeben, das ist wichtig.
Viele haben genau das getan und sind weggezogen. Ich bin Jahrgang 1982, wovon rund 80 Prozent in die alten Bundesländer ausgewandert sind. Diese Leute sind nicht weggegangen, weil es so schön hier war. Und sie kommen nicht wieder, weil ihnen hier noch immer Vieles fehlt.
Die Regierung in Sachsen hat es jahrelang verpasst, den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken, sich stattdessen permanent weggeduckt und den Rechten nach dem Mund geredet.
Unsere Taktik ist eine andere. Wir ducken uns nicht weg, sondern suchen den direkten Kontakt und machen unser eigenes Angebot.
Im Westen scheinen die Grünen-Strategien allerdings besser zu funktionieren als im Osten? Die Bündnis-Grünen haben es im Osten schwer, keine Frage. Auch das liegt am Ministerpräsidenten, der immer wieder den rechten Populisten-Tenor aufgreift: Die Sachsen-Grünen seien Verhinderer und Blockierer. Wegen solcher Aussagen muss ich Wählern immer wieder erklären: Wir waren hier noch nie an der Regierung und konnten deshalb auch gar nichts blockieren. Viele sind dann ganz erstaunt.
Ihr Parteichef Robert Habeck ist ja gerade noch einmal durch den Osten getourt. Schwieriges Terrain für ihn. Hatten die Ost-Grünen nützliche Tipps? Jahrelang sind Politiker hier ein- und gleich wieder weggeflogen. Ich finde es gut, dass Robert Habeck und Annalena Baerbock nonstop auf Tour in der Gegend sind. Robert gibt auch selbstkritisch zu, dass ihn der Osten zu lange kaum interessiert hat. Das finde ich ehrlich. Wir Bündnisgrünen erleben in Ostdeutschland einen Generationenwechsel und wir kriegen eine zweite Chance. In persönlichen Begegnungen merken Menschen, dass wir ostdeutschen 'Stallgeruch' haben und das ist Vielen wichtig. Wir wachsen und plötzlich tauchen Leute im grünen Milieu auf, die man dort nie erwartet hätte.
In Görlitz brauchte es trotzdem eine "Allianz der Demokraten", um einen AfD-Oberbürgermeister zu verhindern. Kann so etwas auf Landesebene funktionieren? Ich finde es nie gut, Politik nur gegen etwas zu machen, auch nicht gegen die AfD. Wir sollten stattdessen überlegen, wie gute Politik für Sachsen aussehen kann und welche "Allianzen" diese ernsthaft miteinander durchsetzen wollen.
Aber was, wenn eine einfache Mehrheit gegen die AfD nicht möglich sein wird nach der Wahl? Es gibt unterschiedliche Spielarten, die man sich anschauen kann und über die müssen dann alle Parteien gemeinsam nachdenken. Ich kann mir nicht vorstellen, dass etwa die CDU und die Linke jemals miteinander regieren könnten. Nicht einmal, wenn sie damit die AfD verhindern. Ich glaube aber sehr wohl, dass wir Mehrheiten in der Sache finden können.
Sie spielen auf eine von der Opposition geduldete Minderheitsregierung an. Ja, aber ich kann Ihnen dazu nichts sagen. Momentan gibt es dazu noch zu viele Unbekannte. Aber im Wahlergebnis von Sachsen könnte auch eine Chance liegen, um herauszufinden, wo Demokratie sich hin entwickeln kann.
Eine Regierung ohne feste Mehrheit. Die AfD wird sofort auf diesen Zug aufspringen und den Verrat an eben dieser Demokratie ausrufen. Wir können zeigen, dass es keiner ist. Diese Opferrolle kann entmantelt werden. Die Linkspartei etwa war jahrelang zweite Kraft im Land und keiner ihrer Anträge wurde je angenommen. So etwas gibt es in keinem anderen Bundesland. Wir in Sachsen haben also Erfahrungen damit gemacht, dass sich der Wählerwille demokratisch nicht zwangsweise auch so niederschlägt. Eine Minderheitsregierung ist etwas ganz Anderes.
Das werden die "Alternativen" anders sehen... Populisten gab es in Sachsen schon immer. Früher war es die NPD, heute ist es die AfD. Letztere erreicht mehr Menschen, weil sie sich salonfähig gibt. Aber die demokratischen Spielregeln gelten für alle gleich.
Die NPD hat nie so eine Reichweite aufgebaut wie die AfD jetzt. Nein, so groß war die NPD nie. Die AfD hat es auch geschafft, sich strukturell zu verankern. Diese Verankerung ist auch ein Vermächtnis der sächsischen CDU. Ihrer Versäumnisse und ihres Politikstils. Und die AfD wird diese Verankerungen für eine ganze Weile halten können. Parteien verlieren doch immer dann an Zuspruch, wenn sie ihre Versprechen nicht halten und Menschen enttäuschen. Das wird bei der AfD nicht anders sein.
Moment… Soll die AfD also erst einmal regieren, damit die Leute sich von ihr abwenden? Das passiert doch schon. Die AfD sitzt seit fünf Jahren in Kommunalparlamenten und Kreistagen in Sachsen, da könnten sich Wähler ja mal anschauen, was die "Alternative" bisher so geleistet hat. Ich würde mir wünschen, dass ihre Unterstützer da mal die gleichen Maßstäbe anlegen würden wie bei allen anderen Parteien.
Die Wählerinnen und Wähler scheint das kaum zu kümmern. Noch nicht. Fünf Jahre reichen nicht aus. Bei der CDU hat es über 20 Jahre gedauert, bis die Wählerinnen und Wähler es entsprechend quittierten. Das ist menschlich.
Menschlich? Ich erwarte etwas, dann gebe ich fünf Jahre Zeit. Wenn es bis dahin keine Ergebnisse gibt, bin ich gnädig und gebe eine zweite Chance. Dann, nach zehn Jahren, kenne ich die Entwicklung einer Partei und ihrer Leute. Ich sehe klar, was sie nicht hinbekommt. So einen Prozess wird auch die AfD durchlaufen.
Ihr Motto also: In Schach halten, dann löst sich das Problem? Nicht in Schach halten, sondern Gegenangebote machen und eigene Leute nach vorne bringen. Ich bin nicht darauf aus, eine andere Partei zu bekriegen. Je mehr man das macht, desto mehr können die ihren Opfer-Mythos bestärken. Auch die Bevölkerung Sachsens will nicht dauernd belehrt werden, wer hier der Gute ist und wer der Böse.
Das Thema Klima ist ziemlich, "Gut und Böse" – was sagen Sie einem Wähler in Sachsen, der damit nichts anfangen kann. Es ist immer wichtig, die richtige Sprache zu finden und den Bezug zu den Regionen. Das Thema Klima betrifft die Heimat, die Landschaften, die eigene Gesundheit, die älter werdenden Eltern und die Kinder, die nachkommen. Wenn ich dann merke, Klima ist doch von Interesse, dann frage ich die Leute, ob sie einen Garten haben oder einen Balkon. Ich erzähle auch von meinen Erlebnissen: Ich selbst habe Bienen, habe Schafe.
Das reicht? Bei diesen 25 Prozent sind mehr Protestwähler, als es gerade den Anschein macht. Diese Wählerinnen und Wähler wollen Veränderung. Und für Veränderung stehen im Moment nur zwei Parteien, das ist die AfD und das sind die Grünen. Das sind die beiden Pole, an denen es sich festmacht. Die einen arbeiten mit Frust und Wut, die anderen mit einer echten Perspektive.
"Man kann fast sagen: Schade, dass Vance und Walz nur für den Nummer-2-Job kandidieren"
Die erste und einzige Debatte der beiden Vizepräsidentschaftskandidaten ist Geschichte. Historiker und USA-Experte Ronald D. Gerste lobt den Auftritt von J.D. Vance und Tim Walz und macht einen Vergleich mit John F. Kennedy.
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