Politik
Interview

Iran: Experte über Gefahr eines Krieges: "Iran ist für die USA viel zu stark"

Iranische Demonstranten bei einem Gedenken für den getöteten General Soleimani. Ihr Feindbild: die USA.
Iranische Demonstranten bei einem Gedenken für den getöteten General Soleimani. Ihr Feindbild: die USA.Bild: imago images / ZUMA Press
Interview

Iran-Konflikt: "Iran ist für die USA ein viel stärkerer Gegner als der Irak"

07.01.2020, 14:2611.04.2024, 16:41
Mehr «Politik»

Die Welt ist in Aufruhr: Seit der Tötung des iranischen Top-Generals Kassem Soleimani durch einen US-amerikanischen Luftschlag am Freitag brodelt der Konflikt zwischen den USA und dem Iran. Viele sprechen von einem drohenden Krieg.

  • Der Iran schwört Rache und hat das Atomabkommen inzwischen de facto aufgekündigt.
  • US-Präsident Donald Trump warnt auf Twitter, dass die USA im Falle eines Angriffs auf amerikanische Bürger oder Einrichtungen 52 Ziele im Iran bombardieren würden, einige davon "mit hohem Wert für den Iran und die iranische Kultur".

In Deutschland wird derweil diskutiert, ob sich die Bundeswehr, die im Irak Soldaten ausbildet, aus der Region zurückziehen soll. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland: "Deutsche Soldaten können nur dann im Irak bleiben, wenn die irakische Regierung sagt, dass sie das weiterhin will". Der Irak hat bereits darum gebeten, dass die USA ihre Truppen aus dem Irak abzieht.

Wir haben mit dem USA- und Außenpolitik-Experten Thomas Jäger von der Uni Köln über den schwelenden Konflikt, die Rolle Europas und die Taktik Trumps gesprochen.

"Jetzt geht es um den Einfluss im Irak. Und da treffen die Interessen der USA und des Iran voll aufeinander."

watson: Was passiert da gerade zwischen dem Iran und den USA?

Thomas Jäger:
Das ist ein Konflikt, der mehrere Dimensionen hat. Die eine ist die bilaterale. Die USA und der Iran sind seit Jahrzehnten im Konflikt. Das hängt mit ihrer Geschichte zusammen. Der Iran wird regiert durch ein revolutionäres Regime, das die Ordnung, die die USA international etabliert hat, in Frage stellt. Da ging es immer auch um Gewalt, seitdem der Iran im Rahmen der Revolution 1979 gut ein Jahr lang die US-Botschaft in Teheran besetzt hatte. Außerdem ist es so, dass ein wichtiger Verbündeter der USA, Israel, sich durch den Iran bedroht fühlt. Die zweite Dimension ist eine regionale.

Sie meinen das Pulverfass Naher Osten?

Ja, seit dem Irak-Krieg 2003 und dann später während des arabischen Frühlings 2011 ist die Konkurrenz zwischen den regionalen Mächten im Nahen Osten neu ausgebrochen. Außer dem Iran ist dort auch Saudi-Arabien und die Türkei aktiv, zwei Verbündete der USA. Da geht es um geopolitische Interessen und Rohstoffe. Der Iran will seinen regionalpolitischen Einfluss ausbauen. Man hatte lange die Vermutung, dass der Konflikt zwischen den USA und Iran am ehesten in Syrien eskalieren würde. Im Oktober haben sich die USA aber aus Syrien zurückgezogen. Jetzt geht es um den Einfluss im Irak. Und da treffen die Interessen der USA und des Iran voll aufeinander. Die USA wollen dort präsent bleiben und der Iran will den Irak beherrschen. Der Iran will einen schiitischen Block zusammen mit dem Irak und Syrien bilden.

"Der Iran ist für die USA viel zu stark, zu gerüstet und kampferfahren. Das ist ein viel stärkerer Gegner als der Irak."
Proteste nach der Tötung des iranischen Generals Soleimani.
Proteste nach der Tötung des iranischen Generals Soleimani.Bild: Getty

Wie nahe sind wir an einem Krieg?

Wir sind von einem gewollten Krieg zwischen zwei Staaten weit entfernt. Das ist nicht vergleichbar mit dem Irak-Krieg 2003. Der Iran ist für die USA viel zu stark, zu gerüstet und kampferfahren. Das ist ein viel stärkerer Gegner als der Irak. Und andersherum sind die USA für den Iran ein noch viel stärkerer Gegner. Da sieht keine Seite einen Nutzen in einem Krieg. Es gibt aber andere Arten von Kriegen, hybride oder asymmetrische Kriege, die verdeckt geführt werden. Und in so einem Krieg befindet sich der Iran schon seit Jahrzehnten mit den USA und Israel. Es finden gezielte Tötungen statt. Dabei werden bestimmte Personen getötet, so wie jetzt General Soleimani. Auch Cyber- und Terror-Attacken werden ausgeführt. Das hat nie aufgehört.

War die Tötung des iranischen Generals Soleimani durch die USA eine gezielte Provokation?

Die Vereinigten Staaten nehmen seit vielen Jahren diese Tötungen vor. Das machen sie, weil niemand sie daran hindern kann. Das ist unter Trump nicht anders als unter Obama oder Bush. Für die USA gehört das zum Konzept der präventiven Verteidigung. Das meint, dass man auch dann zuschlagen darf, wenn der Gegner möglicherweise einen Angriff vorbereitet. Präventiv eben. Das ist völkerrechtlich nicht erlaubt. Aber die USA können sich das herausnehmen, weil sie niemand daran hindern kann. Warum die USA jetzt so ein hochrangiges Mitglied getötet haben, können wir nur vermuten. Es ist auch möglich, dass sie gar nicht wussten, wer in diesem Auto saß, das sie da beschossen haben. Vielleicht haben sie das erst im Nachhinein festgestellt.

Und wenn nicht?

Angenommen sie haben es gewusst, dann war es ein deutliches Signal an die Mitglieder der iranischen Führung. Die Nachricht ist dann: Wir können euch identifizieren und die politisch Verantwortlichen ganz direkt ausschalten. Das ist eine neue Qualität.

"Was die Europäer machen, ist schlicht und ergreifend 'Wünsch-dir-was-Politik'."

Bei wem sehen Sie die Schuld für die Eskalation?

Die Tötung von General Soleimani ist nicht der Anfang der Ereignisse. Die Truppen der USA liegen seit Wochen unter Raketenbeschuss. Bei so einem Angriff wurde dann auch ein US-Amerikaner getötet. Außerdem wurde die Botschaft angegriffen. Das ist sehr heikel und ruft bei den USA Erinnerungen an die Botschaftsbesetzung in Teheran 1979 und den Anschlag auf die US-Botschaft in Bengasi 2012 hervor. Das konnten sie nicht zulassen. Sie standen vor der Wahl: Entweder sie ignorieren die Provokationen oder holen zum Gegenschlag aus. Sie haben sich dann für letzteres entschieden. Ob die Lage weiter eskaliert oder nicht, hängt jetzt vom Iran ab.

Was wären mögliche Reaktionen des Iran?

Da ist einiges denkbar. Von Cyber-Attacken in den USA bis zum Angriff auf amerikanische Soldaten in der Region, in Israel und in Europa. Da stellt sich die Frage, was sind die weichen Ziele, wo kann man wehtun und was will man damit kommunizieren. Dann könnte es wiederum eine Reaktion durch die USA geben, so wie Trump bereits getwittert hat, dass es 52 Ziele gibt, die man treffen wolle.

Welche Rolle spielt Europa in dem Ganzen?

Die Europäer haben das Atom-Abkommen mit dem Iran ja auch unterschrieben. Aber dieses Abkommen war ab dem Moment tot, als die USA ausgetreten sind. Was die Europäer machen, ist schlicht und ergreifend "Wünsch-dir-was-Politik". Das hatte nie etwas mit der Realität zu tun. Man hat sich da etwas vorgemacht. Außerdem hat Europa derzeit überhaupt sehr wenig Einfluss im Nahen Osten und Nordafrika.

"Die Gefahr für Europa ist real. Nicht weil die Europäer sich aktiv einmischen, aber weil sie als Spielball zwischen den Mächten zum Opfer werden könnten."

Welche Auswirkungen könnte der Konflikt für uns in Europa haben?

Die europäischen Gesellschaften könnten jetzt ein mögliches Ziel für den Iran sein. Das hätte den Zweck, die Beziehungen zwischen Europa und den USA zu schädigen. Dass die Europäer nach einem iranischen Angriff sagen: "Wenn wir nicht so dick mit den USA wären, dann wäre das hier gar nicht passiert". Da könnten die Iraner möglicherweise der russischen Regierung in die Hände spielen. Die Gefahr für Europa ist deshalb real. Nicht weil die Europäer sich aktiv einmischen, aber weil sie als Spielball zwischen den Mächten zum Opfer werden könnten.

Gibt es innenpolitische Gründe für die Eskalation? Braucht Trump diesen Konflikt einfach nur, um abzulenken?

Die innenpolitischen Gründe sind in beiden Ländern unterschiedlich. In den Vereinigten Staaten ist Wahlkampf und der Präsident hat überhaupt kein Interesse an einer militärischen Auseinandersetzung. Da will keiner, dass Trump den starken Mann macht, sondern die Bevölkerung möchte, dass Trump die USA aus Konflikten im Nahen Osten heraushält. Trump sagt das auch selbst. Jetzt wird er allerdings mit hineingezogen, weil der Iran die Provokation übertrieben hat. Nach diesen Angriffen musste Trump reagieren, das ging überhaupt nicht anders.

Warum?

Sonst wäre ihm vorgeworfen worden, dass er die Sicherheit der Vereinigten Staaten vernachlässigt. Er war im Zugzwang. Ansonsten kommt dieser Konflikt Trump überhaupt nicht gelegen, weshalb er jetzt mit so einer großen Drohung kommt, 52 Ziele zu attackieren. Er will das Ganze vom Tisch haben. Trump ist wichtig, dass die Börse gut läuft und die Wirtschaft brummt. Die leidet aber unter so einem drohenden Konflikt.

Und im Iran?

Die Iraner sehen das anders. Sie dachten nach Trumps Syrien-Rückzug, dass die USA sich aus dem Nahen Osten zurückziehen würden. Das wäre dem Iran gelegen gekommen, schließlich will er dort seine Macht ausweiten. Die Iraner haben die USA provoziert und sich verkalkuliert. Sie dachten, dass Trump seine Truppen aus dem Irak abzieht und das Gegenteil ist der Fall.

Daher die Eskalation.

Der Iran kann sich außenpolitisch anders verhalten als die USA, weil es dort keine freien Wahlen gibt. Im Iran hatte sich Protest formiert und so ein Konflikt kann nun auch dazu dienen, die Reihen fester zu schließen und sich als Großmacht darzustellen. Das kann den Vorteil haben, dass der Iran unter den Sanktionen durch die USA weniger leiden muss, weil er sich für andere Großmächte, die den USA auch kritisch gegenüberstehen, wie China und Russland, interessanter macht.

Über den Experten
Prof. Dr. Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik und Autor vieler Bücher zu Internationaler Politik. Sein neustes Buch, "Das Ende des amerikanischen Zeitalters: Deutschland und die neue Weltordnung" ist im April erschienen.
Tradwives for Trump: Die Macht der Religion auf junge Frauen in den USA

Die Küche ist ihr Revier. Hier zaubern sie Brot, Eintöpfe und Torten. Mit einer Schürze schützen sie ihre schönen Kleider; das Haar ist kunstvoll frisiert.

Zur Story