Es war ein Racheakt mit Ansage: In der Nacht zu Mittwoch schoss das iranische Militär über ein Dutzend Raketen auf US-Stützpunkte im Irak ab. Es war die erwartete Reaktion auf die Tötung des iranischen Generals Ghassem Soleimani durch die USA.
Laut offiziellen Meldungen wurden bei den Angriffen keine US-Soldaten getötet oder verletzt. Der Iran berichtet dagegen, dass angeblich 80 Amerikaner getötet wurden.
Die USA reagierten jedenfalls gelassen. Donald Trump twitterte in der Nacht: "Alles gut." US-Botschafter Richard Grenell sagte gegenüber der "Bild": "Präsident Trump wollte nie einen Krieg. Wir tun alles, um das zu verhindern. Wir machen alles, um unsere Truppen und unsere Diplomaten zu beschützen."
Am Dienstag haben wir mit dem Außenpolitik-Experten Thomas Jäger von der Uni Köln darüber gesprochen, wie groß die Gefahr eines Krieges zwischen dem Iran und den USA ist. Jäger hielt die Wahrscheinlichkeit für gering.
Am Mittwoch nun wollten wir von ihm wissen, ob sich an dieser Einschätzung nach den Raketen-Angriffen auf US-Stützpunkte im Irak etwas geändert hat.
Bemerkenswert ist demnach vor allem, dass bei dem Iran-Angriff bisherigen Informationen zufolge keine toten oder verletzten US-Soldaten gab. Das könnte darauf hindeuten, dass der Iran bewusst eine vergleichsweise harmlose Reaktion wählte, um Trump nicht zu sehr zu provozieren.
"Dann müssen die USA irgendwie gewarnt worden sein."
Watson: In unserem Interview am Dienstag haben Sie gesagt, Sie erwarten keine Eskalation des Konflikts in einen Krieg. Jetzt wurden US-Stützpunkte durch den Iran beschossen.Bleiben Sie bei Ihrer Einschätzung?
Thomas Jäger: Ja. Nach allem, was wir bisher wissen, hat der Iran eine Form der Reaktion gewählt, die nach innen als hart genug gesehen werden kann, um auf die Tötung eines wichtigen Generals zu reagieren. Aber gleichzeitig ist sie nicht so hart, dass Präsident Trump darauf reagieren müsste. Donald Trump hat das so definiert, dass er mit der Bombardierung von 52 Zielen im Iran gedroht hat, sollten Amerikaner ums Leben kommen. Das ist aber nach bisherigen Meldungen nicht passiert.
Denken Sie, dass der Iran absichtlich keine US-Amerikaner getötet hat?
Ja. Es gibt die Möglichkeit, solche Schläge vorher zu kommunizieren. Es kann gut sein, dass die mehreren hundert Amerikaner, die auf diesen Stützpunkten stationiert sind, vorher gewarnt wurden. Das wissen wir nicht.
Laut CNN waren die US-Soldaten rechtzeitig gewarnt worden und hatten sich in Sicherheit bringen können.
Wenn es, wie bisher von den USA so gemeldet, keine Opfer unter den US-Soldaten gab, dann müssen sie irgendwie gewarnt worden sein. Das Problem ist momentan die unsichere Informationslage. Der Iran spricht von 80 Opfern. Da muss man abwarten, was sich herausstellt. US-Präsident Donald Trump und auch Ayatollah Ali Chamenei wollen sich demnächst äußern, aber ich vermute, dass beide versuchen, den Konflikt zu deeskalieren.
Update:
Am Mittwochabend äußerte sich Donald Trump. Er bestätigte, dass die iranischen Raketenangriffe auf zwei US-Militärstützpunkte im Irak keine Todesopfer gefordert haben. Alle US-Soldaten seien sicher.
"Die Reaktion war eine Möglichkeit für beide Seiten, das Gesicht zu wahren. Der Iran musste reagieren. Und er musste schnell reagieren."
Also ist es für beide Seiten eine vorteilhafte Lage?
Die Reaktion war eine Möglichkeit für beide Seiten, das Gesicht zu wahren. Der Iran musste reagieren. Und er musste schnell reagieren. Es gab eine große Beteiligung an den Trauermärschen für Soleimani. Das hat auch einen Erwartungsdruck aufgebaut, und der musste jetzt kanalisiert werden.
Donald Trump hat auf Twitter reagiert mit: "Alles ist gut." Wie würden Sie das interpretieren?
Das muss man wohl als "Es ist nichts passiert“ übersetzen. Das ist die Botschaft, die er geben will. Trump ist im Kreis seiner Regierung eher zurückhaltend, wenn es um den Iran geht. Ihm wurde von seinem Außenminister Pompeo und seinem Verteidigungsminister Esper empfohlen, Soleimani zu töten. Das war nicht seine Idee. Er war auch schon in der Vergangenheit mehrfach als zurückhaltend aufgefallen. Trump hat beispielsweise nach dem Abschuss einer US-Drohne letztes Jahr selbst gesagt: "Mir wird eine scharfe Reaktion empfohlen, aber ich will das nicht".
Eine Gedenkfeier für den getöteten General Soleimani.Bild: reuters
"Donald Trump hat kein Interesse an einem Krieg im Iran."
Wieso ist das so?
Man muss immer im Hinterkopf haben, Donald Trump hat kein Interesse an einem Krieg im Iran. Er hat es selbst gesagt: "Krieg ist schlecht fürs Geschäft". Das bestimmt seine Politik. Er hat auch überhaupt kein Interesse daran, jetzt während des Wahlkampfs Soldaten in eine Region zu schicken, bei der die meisten Amerikaner sich fragen: "Was sollen wir dort überhaupt?".
Er hatte ja zunächst eine harte Reaktion angekündigt, 52 Ziele im Iran wurden genannt…
Diese 52 Ziele waren ja zunächst alles Mögliche. Er hatte auch Kultureinrichtungen genannt. Das hat zu einer heftigen Reaktion in den USA geführt. Die Vereinigten Staaten haben sich verpflichtet, so etwas nie zu tun, weil es als Kriegsverbrechen gilt. Dann wurde in der Öffentlichkeit diskutiert, was Trump mit Kultureinrichtungen meinen könnte. Da hieß es dann, das könnten Fernsehstudios sein. Aber auch das wäre ein schlimmes Ziel gewesen. Am Ende hat er es dann zurückgenommen. Er hat das einfach ohne näheres Wissen der Sachlage getwittert und ist jetzt zurückgerudert.
Würden Sie sagen, Donald Trump reagiert im Iran eher besonnen?
Also, als besonnen würde ich Donald Trump nie beschreiben (lacht). Er ist aufbrausend. Aber er hat gemeint, er könnte die Sache mit einem Schlag lösen. Das ist immer seine Idee von Dingen. Er denkt nicht daran, dass Politik ein Prozess ist, sondern möchte immer alles auf einen Schlag lösen. So war es in China und Korea, und so hat er auch zunächst jetzt beim Thema Iran reagiert. Er dachte, er könnte den Iran mit dieser Drohung abschrecken. Und das hat möglicherweise auch funktioniert. Im Iran wurde nach der Drohung Trumps, 52 Ziele zu bombardieren, doch überlegt, ob man mit den Vereinigten Staaten nicht nochmal ins Gespräch kommt.
"Wenn beide Seiten den Konflikt eskalieren lassen würden, wäre das für beide Seiten eine dumme Entscheidung."
So gesehen hat Trump sein Ziel erreicht?
Das Entscheidende ist: Was kommt am Ende dabei raus? Wenn beide Seiten den Konflikt eskalieren lassen würden, wäre das für beide Seiten eine dumme Entscheidung. Es könnte sein, dass aus der aktuellen Situation Gespräche entstehen.
Welches Ziel verfolgt der Iran?
Das strategische Ziel des Iran ist es, die Amerikaner aus der Region zu vertreiben. Die Amerikaner auf der anderen Seite haben dagegen keine Strategie. Die wissen nicht, was sie wollen. Außer vor Ort bleiben und einen Einfluss auf die Entwicklungen vor Ort zu nehmen. Im Iran hat man verstanden, dass die Bedrohung von US-Stützpunkten dazu geführt hat, dass die USA noch mehr Truppen in die Region geschickt hat. Die sind jetzt zunächst in Kuwait, aber können überall hin entsendet werden. Das ist nicht im Interesse des Iran.
Was ist denn das Interesse des Iran in der Region?
Der Iran möchte seinen Einfluss im Libanon beibehalten, in Syrien stabilisieren und den Irak als schiitischen Staat unter den eigenen Einfluss bringen. Man will einen schiitischen Block in der Region bilden. Um in der Lage zu sein, im Konflikt mit der Türkei und Saudi-Arabien die regionale Ordnung zu bestimmen.
Und welches Ziel verfolgen die USA speziell mit dem Iran? Könnte es zu einer Invasion kommen wie 2003 im Irak, als die USA das Ziel hatte, den Irak zu demokratisieren?
Momentan wird die Politik der Demokratisierung nicht von der US-Regierung verfolgt. Trump hat explizit gesagt, dass es nicht sein Ziel ist, die iranische Regierung zu stürzen. Das ist nicht bei allen in der US-Regierung so. US-Außenminister Mike Pompeo würde die Lage wahrscheinlich anders beurteilen. Das heißt, dass sich das auch wieder ändern kann. Das führt dazu, dass die Regierung des Iran in der Auseinandersetzung mit den USA auch so vorsichtig ist.
Über den Experten
Thomas Jäger ist Professor für Internationale Politik und Außenpolitik und Autor vieler Bücher zu Internationaler Politik. Sein neustes Buch "Das Ende des amerikanischen Zeitalters: Deutschland und die neue Weltordnung" ist im April erschienen.
Abstimmung zu Schwangerschafts-Abbrüchen: Bundestag trägt historische Verantwortung
Sowohl Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) als auch andere Abgeordnete von SPD und Grünen halten es für sinnvoll, Schwangerschaftsabbrüche in Deutschland bis zur zwölften Woche zu legalisieren. Eine entsprechende Empfehlung hatte auch eine Kommission an Expert:innen im April in einem Bericht geäußert.